Der geheimnisvolle Friedhof

Der geheimnisvolle Friedhof

Totenruhe im Großstadtlärm: Auf dem Kleinseitner Friedhof liegen zahlreiche Prager Persönlichkeiten begraben

25. 10. 2012 - Text: Gunnar HabitzText: Gunnar Habitz; Foto: APZ

 

In Paris, Wien und Buenos Aires tummeln sich neben den Angehörigen auch Touristen auf den Friedhöfen, um auf den Spuren berühmter Persönlichkeiten zu wandeln und ihren Idolen Tribut zu zollen. Die Friedhöfe sind entsprechend ausgeschildert, teilweise ziehen die Gräber von Edith Piaf, Jim Morrison oder Evita Peron erstaunlich große Menschenmassen an.

Prag ist trotz des ehrwürdigen Alten Jüdischen Friedhofs mit dem sagenumwobenen Rabbi Judah Löw oder des Ehrenfriedhofs auf dem Vyšehrad mit mehr als 600 Personen aus dem kulturellen Leben des Landes weit vom Friedhofstourismus entfernt. Stattdessen steht der größte Andrang wieder bevor, wenn die Prager zu Allerheiligen die Gräber ihrer Ahnen besuchen. Am meisten wird der im 17. Jahrhundert angelegte Prager Zentralfriedhof frequentiert, die so genannten Olšanské hřbitovy liegen zwischen den Metrostationen Flora und Želivského im hinteren Teil von Vinohrady. Etwas dahinter befindet sich der Neue Jüdische Friedhof mit dem Grab von Franz Kafka.

Eine der interessantesten Anlagen ist der jahrelang kaum zugängliche Kleinseitner Friedhof beim Beginn der Straße Plzeňská in Prag 5 unweit der Villa Bertramka. Der Name trügt jedoch, schließlich liegt er an der Grenze von Smíchov und Košíře; zu seiner Gründung im Jahre 1680 gehörte er jedoch zur Kleinseitner Wenzelskirche. Als Joseph II. anno 1787 die Bestattung innerhalb Prags untersagte, wurden hier die Bewohner der linken Moldauseite begraben, während Olšany für die rechte Moldauseite bestimmt war. Die Kirche der Allerheiligsten Dreifaltigkeit von 1837 am Haupteingang ist bereits das dritte Gotteshaus auf dem Friedhof.

Auch wenn sich bereits vor fast hundert Jahren damalige Prominente wie Alois Jirásek für die Beibehaltung des Friedhofs einsetzten, wurde die Kapelle des Hl. Rochus aus den Anfangsjahren des Areals abgerissen, ebenso fehlen Schutzmauern auf beiden Seiten der viel befahrenen Verkehrsstraßen. Beim Bau der Plzeňská und dessen Straßenbahngleisen wurden einige Gräber versetzt, so dass die heutige Fläche nur noch 2,2 Hektar umfasst. Wer im Vorbeigehen einen Blick über den niedrigen Zaun wirft, glaubt sich angesichts der verfallenen Grabsteine, den überwachsenen Abständen dazwischen und den vielen alten Bäumen mit flinken Eichhörnchen in eine verwunschene Märchenwelt oder direkt in einen Fantasy-Film versetzt.

Eine Vielzahl berühmter Persönlichkeiten fand auf dem Kleinseitner Friedhof ihre letzte Ruhestätte, darunter eine Vielzahl aus der der nationalen Wiedergeburt Mitte des 19. Jahrhunderts. Die an der Nordseite bestattete Eheleute Dušek waren Mozarts Gastgeber bei seinen Besuchen in der Villa Bertramka: Josefina Dušková († 1824) war damals eine gefeierte Opernsängerin, ihr Gatte František Xaver Dušek († 1799) ein bekannter Komponist. Das künstlerisch bedeutendste Grab in der Mitte des zentralen Gangs unweit der Kirche gehört dem Passauer Bischof Graf Leopold von Thun-Hohenstein († 1826), der sich sehr für den Friedhof eingesetzt hatte.

Barockbaumeister Kilian Ignaz Dientzenhofer († 1752) liegt ebenso wie sein Vater Christoph Dientzenhofer († 1722) auf dem Kleinseitner Friedhof, jedoch sind die exakten Grabstellen durch die genannten Veränderungen nicht überliefert. Die Veduten von Maler Vincenc Morstadt († 1875) zieren noch heute viele Postkarten. Nur noch bis 1884 wurde hier bestattet, teilweise mit aufwändigen Grabsteinen im Empirestil, danach verfiel der Friedhof zusehends.

Der „Klub für das alte Prag“ („Klub Za starou Prahu“) unterstützt den Kleinseitner Friedhof vor allem aufgrund seiner kunsthistorischen Bedeutung. Inzwischen gibt es sogar interessante, wenngleich lediglich auf Tschechisch verfasste Internetseiten sowie eine Beschreibung einiger Gräber. Seit wenigen Jahren ist der Friedhof regelmäßig an jedem letzten Sonntag des Monats ab 14 Uhr zugänglich. Am Freitag, den 2. November wird hier zum fünften Mal Allerheiligen begangen, und zwar von 16 bis 19 Uhr. Dann kann man gleich zwei Friedhofsbesuche auf einmal kombinieren: Von den Olšanské hřbitovy fahren die Straßenbahn-Linien 10 und 16 direkt zum Kleinseitner Friedhof bis zur Haltestelle „Bertramka“.

Malostranský hřbitov, Plzeňská Ecke U Trojice, Prag 5 (Smíchov), Tel. 251 566 684, www.malostranskyhrbitov.cz