Der Geschmack des Lebens
Regisseur Petr Štindl inszeniert den Filmklassiker „Der Himmel über Berlin“ für die Bühne
16. 1. 2013 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: Patrik Borecký
Mit „Der Himmel über Berlin“ gelang Regisseur Wim Wenders vor 25 Jahren ein kleiner Filmzauber. Unerträglich leicht und tief poetisch zugleich erzählte er die Geschichte eines Engels, der seine Unsterblichkeit aufgibt, um das wahre Leben zu kosten. Für das Prager Švanda-Theater (Švandovo divadlo) hat Peter Štindl den Film nun auf die Bühne geholt. Was unmöglich erscheint, ist dem 49-jährigen Brünner gelungen: Der Schwerelosigkeit des Films wurden trotz der unmittelbaren Körperlichkeit des Theaters nicht die Flügel gestutzt.
Irren und Staunen
Wie eine Offenbarung sei der Film damals für ihn gewesen, erklärt Štindl die Wahl des Stückes für die kleine Bühne in Smíchov. „Das Thema ist so universal. Die Geschichte könnte überall stattfinden, sie ist weder an Berlin noch an irgendeinen anderen Ort gebunden.“ Deshalb siedelt Štindl das Geschehen in einer namenlosen Stadt an. Ähnlich wie Berlin bei Wenders ist die Bühne ganz in Schwarz-Weiß gestaltet. Dem Zuschauer begegnen die beiden Engel Damiel und Cassiel vor der Fassade eines Geschäftskomplexes. Die überirdischen Wesen lauschen den Gedanken der Passanten. Sie werden Zeugen der Sorgen einer Managerin, der Erinnerungen eines alten Mannes an seine verstorbene Mutter oder der Verlorenheit einer Fußgängerin im Großstadtdschungel.
Unsichtbar für die Sterblichen wandeln die Himmelsboten durch die Welt. Einzig Kinder, deren Sinn für den Zauber der Welt noch nicht von Gewohnheit und Alltag verschüttet wurde, können sie sehen. „Als das Kind Kind war, wusste es nicht, dass es Kind war, alles war ihm beseelt und alle Seelen waren eins […] Wie kann es sein, dass ich, der ich bin, bevor ich wurde, nicht war und dass einmal ich, der ich bin, nicht mehr der ich bin, sein werde?“ Mit diesen Zeilen beschwor Peter Handke in seinem „Lied vom Kindsein“ die Fähigkeit des ungetrübten Staunens. Gemeinsam mit Wenders verfasste der österreichische Schriftsteller das Drehbuch zum Film, der in den achtziger Jahren mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Die Strophen seines Gedichts tauchen auch im Bühnengeschehen immer wieder auf, kontrastieren das abgestumpfte Treiben mit dem verloren gegangenen Zauber.
Cassiel und Damiel wandeln zwischen den verschiedenen Perspektiven. Sie passieren die Gedanken der Menschen oder verweilen in deren Bewusstsein. Hin und wieder legen sie den Umherirrenden unbemerkt ihre Hand auf die Schulter, versuchen ihnen Hoffnung oder einen Anstoß in die richtige Richtung zu geben. Vor allem in Damiel wächst dabei die Faszination am menschlichen Dasein.
Zeitlose Parabel
Seine Sehnsucht nach wahrer Empfindung und Zuneigung, nach Schmerz und Trauer sowie nach dem Geschmack des Lebens wird schließlich so stark, dass Damiel seine überirdische Existenz für ein begrenztes Leben auf Erden aufgibt. „Ich möchte ein Gewicht an mir spüren, das die Grenzenlosigkeit an mir aufhebt und mich erdfest macht. Ich möchte bei jedem Schritt oder Windstoß „jetzt“ und jetzt „du denkst“ sagen können. Und nicht wie immer „seit je und in Ewigkeit“, wünscht sich der Engel. Auslöser für seinen tiefen Wunsch ist Marion, in die er sich auf Anhieb verliebt.
Anders als im Film ist die junge Frau nicht Trapeztänzerin, sondern putzt die Fenster der Stadt. In schwindeliger Höhe vor den gläsernen Scheiben hängend, fragt sie sich immer wieder, wer sie ist, was sie hier eigentlich tut und wer sie einmal sein möchte. Ihr Bruder Markus, der scheinbar geistig umnachtete Rollstuhlfahrer, erkennt sie nicht mehr. Sie wiederum kann die Gegenwart Damiels nicht spüren, der sich nichts mehr wünscht, als von ihr erkannt zu werden. Am Ende tauscht der Engel seine Unsterblichkeit gegen ein begrenztes Glück mit Marion ein.
„Der Himmel über Berlin“ ist eine Liebeserklärung an das, was wir haben und was wir sind. An alles, was so selbstverständlich scheint, aber eigentlich ein Wunder ist. An verpasste Möglichkeiten und nie beschrittene Wege. An die Kraft der Liebe, die der Frage nach Identität und dem Sinn des Daseins eine neue Dimension verleiht. Es ist eine Parabel auf die Schönheit des Lebens, die eigentlich an jeder Straßenecke darauf wartet, entdeckt zu werden und doch meist übersehen wird.
Eine (Wieder-)Entdeckung des alltäglichen Zaubers ermöglicht das Ensemble des Švandovo divadlo. Nach einem halben Jahr Vorbereitung feiert das Stück am 19. Januar seine Premiere.
„Der Himmel über Berlin“ („Nebe nad Berlinem“), Švandovo divadlo (Štefánikova 57, Prag 5), Premiere: Samstag,
19. Januar, 19 Uhr, Eintritt:
120 Kronen, Englische Übertitel, Folgetermine: 21. und 31. Januar sowie 11. und 28. Februar, jeweils 19 Uhr
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?