Der poetische Grafiker
Eine Retrospektive zeigt Radierungen von Bohuslav Reynek
7. 5. 2014 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: NFRF/Galerie Zdeněk Sklenář (Exponat aus Reyneks "Pieta"-Reihe
In schwierigen Zeiten suchte der gläubige Christ Bohuslav Reynek Trost und Rat in der Bibel, in der Spiritualität der Religion. Und solche Zeiten gab es nicht selten im Leben des humanistischen Poeten, Malers und Grafikers, der unter den Kommunisten aufgrund seiner oft an der Heiligen Schrift orientierten Bildmotive in Ungnade fiel. Im Waldstein-Reitsaal auf der Prager Kleinseite sind in einer ausführlichen Retrospektive weit über 100 Radierungen und Stiche Reyneks zu bestaunen, der zu den bedeutendsten tschechoslowakischen Künstler des 20. Jahrhunderts zählt.
Das Gesamtwerk des Künstlers ist vielseitig, die schiere Quantität an Grafiken und Radierungen erstaunlich. Der 1892 geborene Reynek veröffentlichte schon als 21-Jähriger erste Gedichte in der „Moderní revue“, 1914 entstand der Kontakt zu seinem Verleger und Förderer Josef Florian, der dem Realschulabsolventen so manche Tür zur intellektuelle Szene seines Heimatlandes öffnete. So ist 1917 eine erste Begegnung mit dem expressionistischen Maler, Fotografen und Schriftsteller Josef Čapek belegt. 1921 folgte die vielbeachtete Veröffentlichung der poetischen Anthologie „Žízně“ („Dürste“).
In den zwanziger Jahren lernte Reynek durch Übersetzungsarbeiten seine Frau, die französische Schriftstellerin Suzanne Renaud kennen. 1926 heiratete er und siedelte über nach Grenoble, wo er ein Jahr später zusammen mit bedeutenden Malern wie Maurice Utrillo oder František Kupka im „Salon de l’Effort“ ausstellte.
In den dreißiger Jahren und zurück in der Heimat folgten die ersten in Kaltnadelradierungstechnik erstellten Drucke. Als Motive dienten meist verträumte und verwunschene Winterlandschaften in der Nähe seines Bauernhofs im ostböhmischen Petrkov. Exponate wie „Cesta k Petrkovu“ („Weg zu Petrkov“) oder „Břízky“ („Birkchen“) von 1936 legen Zeugnis von einer äußerst intimen Entrücktheit des Künstlers ab. Reyneks expressive, an Polaroid-Aufnahmen erinnernde Bilder berühren und entführen in ferne Zeiten und märchenhaft verschneite Hügelzüge. Dabei weisen viele der Exponate Maße von nicht mehr als zehn mal 15 Zentimeter auf. Und doch kann man sich darin verlieren, in ihnen des Künstlers Spiritualität erkunden.
Im Lauf der Jahre stellte Reynek immer öfter biblische Zyklen her. Die häufigsten Motive sind die Kreuzigung Jesu sowie die trauernde Maria mit ihrem toten Sohn in den Armen („Pieta“-Serien). Reynek begann diverse Techniken zu vermengen und kolorierte seine Drucke nach. Aus dem Jahr 1952 sind über ein dutzend Bilder im „Glasklischeedruck“-Verfahren (Hybrid aus Fotografie und Zeichnung) zu sehen. Auch hier dominieren biblische Motive.
So intensiv und eindrücklich jene Darstellungen auch sind, aus soziokultureller Sicht überzeugen Reyneks Beobachtungen des Alltags noch viel mehr. In „Grenobelská květinářka“ („Grenobler Blumenmädchen“) oder „Zavírání chléva“ („Schließen des Stalls“) kommt der Betrachter in den Genuss, sich in wie beiläufig wahrgenommene, schnappschussähnliche Straßenszenen zu vertiefen.
Bohuslav Reyneks Werk erinnert an den Maler-Poeten Marc Chagall. Seinen Radierungen wohnt stets etwas Rätselhaftes, gleichzeitig aber auch viel Vertrautes, Romantisches und Geborgenheit Vermittelndes inne. Es erstaunt nicht, das Reyneks Zuhause in Petrkov in den sechziger Jahren von aufstrebenden und regimekritischen Künstlern und Schriftstellern wie Jiří Kolář oder Ivan Martin Jirous aufgesucht wurde.
Sein Schaffen beeinflusste zahlreiche Intellektuelle des Prager Frühlings und hallt bis in die Gegenwart nach. Reyneks Werk hat die schwierigen Zeiten des Sozialismus gut überstanden und beglückt nun ein zurecht zahlreich in die Schau strömendes Publikum im Hier und Jetzt.
Reynek. Ein Genie, an das wir uns erinnern sollten. Waldstein-Reithalle (Valdštejnská 3, Prag 1, Kleinseite), geöffnet: täglich 10 bis 19 Uhr, Eintritt: 150 CZK (ermäßigt 80 CZK), bis 31. Juli
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