Der Traum von der See

Der Traum von der See

Die Prager Künstlerin Adéla Babanová lässt die Idee von einem Tunnel bis zur Adria-Küste Wirklichkeit werden

26. 3. 2014 - Text: Nina MoneckeText: Nina Monecke; Foto: GHMP

 

„Das Meer ist keine Landschaft, es ist das Erlebnis der Ewigkeit“, sagte einst Thomas Mann. Auch der tschechoslowakische Wirtschaftswissenschaftler Karel Žlábek war fasziniert von der offenen See und beneidete andere Länder um deren maritime Grenzen. Er wünschte sich für sein Volk ebenfalls die Möglichkeit, freie Tage am Meer zu verbringen. 1967 veröffentlichte er einen kuriosen Plan: Ein unterirdischer Tunnel sollte vom südböhmischen České Budějovice bis zur Adria gegraben und eine Insel namens „Adriaport“ künstlich angelegt werden.

Die Prager Künstlerin Adéla Babanová hat die historischen Fakten dieser nie realisierten Idee weitergesponnen. Dabei herausgekommen ist ein zwölfminütiges Video, das derzeit im Colloredo-Mansfeld-Palais der Stadtgalerie zu sehen ist. Auf einer großen Kinoleinwand lässt Babanová den maritimen Traum der Tschechoslowaken Wirklichkeit werden.

Der Kurzfilm beginnt mit einem Gespräch zwischen dem Ökonomie-Professor Žlábek und dem damaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei Gustáv Husák. Die Szene ist nicht mit Schauspielern nachgestellt. Stattdessen ist eine originale Standbildaufnahme zu sehen, die durch bewegte Elemente wie einen Hund, einen sich drehenden Globus oder rauschende Wellen aufgelockert wird – ein erster Kontrast zwischen Realität und Fiktion.

Žlábek präsentiert seinen Plan, die europäische Karte zu verändern. Eine Nation ohne Meer könne gar nicht glücklich werden. Für seine wahnwitzigen Ideen hätte der Architekt laut den fiktiven Worten Husáks eigentlich ins Gefängnis gehört. Der KP-Chef sieht jedoch auch ein, dass aus einem Land mit Meereszugang wohl kein Mensch mehr fliehen wollen würde. So geht es im Sommer 1980 – der Film spielt einige Zeit nach dem eigentlichen Projekt – in die Testphase. Nach weniger als zwei Stunden Anfahrt können sich die ersten Tschechoslowaken in die Fluten stürzen. Eine fiktive Zeitzeugin erinnert sich an „den schönsten Urlaub ihres Lebens“. Der Traum platzt jedoch schnell. Bereits im September desselben Jahres wird die Insel geräumt, der Tunnel gesperrt. Wer „Adriaport“ besucht hat, muss schweigen.

Humorvolle Kritik
Adéla Babanová übt mit dieser fiktiven Dokumentation auf humorvolle Art Kritik an der kommunistischen Herrschaft, dem Kapitel tschechoslowakischer Geschichte, mit dem sich die Künstlerin bevorzugt beschäftigt. Sie verbindet animierte Collagen mit archivischen Tonbandaufnahmen und Fotografien zu gestellten Gesprächen. Auch in ihrer Version der Geschichte von „Adriaport“ sind es die Russen, die den tschechoslowakischen Traum zerstören. Der Versuch sich zu einer machtvollen Nation mit eigener Insel im Meer zu erheben, war den Sowjets ein Dorn im Auge.

Wer sich für den historischen Hintergrund und die Fakten interessiert, findet im zweiten Ausstellungsraum Karten, Baupläne und zeitgenössische Dokumente wie Zeitungsartikel zu Žlábeks Vorhaben, das Ende der sechziger Jahre für Furore sorgte. Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte Žlábek an dem Projekt gearbeitet, das er ein Jahr vor der Niederschlagung des Prager Frühlings zu Papier brachte und in einem Vortrag an der University of Florida vorstellte. Die Realisierung scheiterte letztendlich an der finanziellen wie technischen Überdimensionierung des Vorhabens.

Am Ausgang der Schau ist noch einmal eine Leinwand aufgebaut. Zu sehen ist ein gealterter Mann, der am Strand liegt und von Wasser umspült wird. Das beruhigende Rauschen der Wellen ist zu hören. Ein gelungener Abschluss, denn die Ausstellung erzählt vor allem eines: die Geschichte von der Liebe der Menschen zum Meer.

„Adéla Babanová – Návrat do Adriaportu“. Colloredo-Mansfeld-Palais (Karlova 2, Prag 1), geöffnet: täglich außer montags 10–18 Uhr, Eintritt: 60 CZK (ermäßigt 30 CZK), bis 25. Mai, www.ghmp.cz