Der unbekannte Schatz

Der unbekannte Schatz

Über den Unternehmer und Kunstmäzen Heinrich von Liebieg

12. 12. 2012 - Text: Franziska NeudertText: fn; Foto: Uwe Dettmar/Museum Giersch

 

Die Liebe zur Kunst war dem Verstorbenen ein ausgesprochenes Lebensbedürfnis“, kommentierte das Nordböhmische Gewerbemuseum in einer Mitteilung den Tod Heinrich von Liebiegs. 1904 starb der böhmische Unternehmerspross, der zu den wichtigsten Kunstsammlern der k.u.k. Monarchie gehörte. Seine Kollektion umfasste mehr als 200 Bildwerke des 19. Jahrhunderts sowie etwa 2.600 kunsthandwerkliche Exponate. Vermacht hat er die Schätze seiner Heimatstadt Liberec, dem damaligen Reichenberg. Dort werden sie bis heute in der Regionalgalerie (Oblastní galerie) und dem Nordböhmischen Museum (Severočeské muzeum) verwahrt, das heute dank der großzügigen Spenden seines Ehrenkurators Liebieg über eine der größten Kunstsammlungen des Landes verfügt. Und doch geriet Liebigs Name weitgehend in Vergessenheit, obwohl er mit der Geschichte der Stadt unauflösbar verflochten ist.

Dank dem Mäzenatentum der Familie Liebieg und anderer Industrieller entwickelte sich Liberec im 19. Jahrhundert zur zweitgrößten und zugleich einer der wohlhabensten Städte Böhmens. Großen Einfluss auf die städtische Entwicklung hatte das Webereiunternehmen Liebieg & Co., das 1822 von Heinrichs Vater Johann (1802–1870) und dessen Bruder Franz (1799–1887) gegründet worden war. Die Firma stieg zu einem der bedeutendsten Textilunternehmen Europas auf, das seine Stoffe auch über See nach Süd- und Mittelamerika lieferte. Einen Namen machten sich die Firmenbesitzer auch mit ihrer fortschrittlichen Einstellung gegenüber sozialen Fragen. Die Liebieg-Werke gehörten zu den größten Industrieunternehmen der Donaumonarchie und waren bis 1938 das größte Textilunternehmen der Tschechoslowakei.

Sammler aus Leidenschaft
1839 wurde Heinrich von Liebieg als eines von acht Kindern in die Industriellendynastie geboren. Einen Großteil seiner Jugend verbrachte er in Wien, wo die Liebiegs einen zweiten Firmen- und Familiensitz unterhielten. Schon früh entwickelte er eine ausgeprägte Passion für Kunst und Kunsthandwerk. Seinen ersten Kontakt zur Kunstwelt dürfte er in der Hauptstadt der Doppelmonarchie gemacht haben. Hier lernte er auch Eduard Charlemont kennen, der später zum Hausmaler der Familie wurde und sie in zahlreichen Porträts festhielt. Sein Interesse für Kunstgegenstände führte ihn immer wieder in die Kulturzentren Österreichs und Deutschlands, durch Reisen erweiterte er über Jahrzehnte hinweg seine Kollektion.

Private Kunstsammlungen stellten im 19. Jahrhundert keine Besonderheit dar. Seiner gesellschaftlichen Stellung durch eine solche Kollektion Nachdruck zu verleihen, war eine gängige und beliebte Praxis. Bei größeren Unternehmerdynastien verwoben sich dabei das Streben nach Prestige mit gesellschaftlich-kulturellem Engagement. Vor allem für Heinrich von Liebieg dürfte das Verantwortungsgefühl gegenüber der Gesellschaft keine unwesentliche Rolle gespielt haben, engagierte er sich doch jenseits seiner eigenen vier Wände über viele Janhre hinweg für das Kunst- und Kulturangebot im „österreichischen Manchester“, wie die Stadt damals genannt wurde. Liebieg bereicherte nicht nur materiell den Fundus des Nordböhmischen Gewerbemuseums, sondern arbeitete auch an Konzept und Ausrichtung der Institution mit.

Eine der größten
Als besonders innovativ kann man Liebiegs Sammlung allerdings nicht bezeichnen. Die von ihm gesammelten Kunstwerke waren für das 19. Jahrhundert repräsentative aber unspektakuläre Stücke. Werke des Jugendstils sind ebenso wenig vertreten wie die Avantgarde, die mit den Impressionisten in dieser Zeit allmählich zu erwachen begann. Liebieg folgte eher allgemeinen Tendenzen auf dem Kunstmarkt. Er erwarb vor allem Werke des Realismus, darunter zahlreiche Bilder der sogenannten Schule von Barbizon. Diese Gruppe französischer Freilicht-Landschaftsmaler erfreute sich Ende des 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit und war auch jenseits ihrer Heimat durch Ausstellungen präsent. Ebenso vertreten sind Gemälde bedeutender deutscher Romantiker und Realisten wie Wilhelm Leibl, Carl Spitzweg oder Adolph von Menzel.

Begeistert sammelte Liebieg auch Kunstobjekte wie alte Truhenschlösser und Schlüssel, Gobelins, Keramiken, Metallarbeiten vom Mittelalter bis zum Historismus sowie Waffen und Möbel. Wie auch die Gemälde-sammlung spiegelte die Kollektion angewandter Kunst in erster Linie die persönlichen Vorlieben ihres Eigentümers wider und entsprach dem damaligen Zeitgeschmack. Der Öffentlichkeit war Liebiegs Leidenschaft für die Kunst weniger bekannt. Die gesammelten Werke blieben hinter der Tür seines Privatlebens verborgen – der Allgemeinheit waren sie nicht zugänglich.

Museum auf ewig
Liebieg trat eher als Kunstlieb-haber und Mäzen in Erscheinung denn als Unternehmer; Geschäftsbelangen hielt er sich, so gut es ging, fern. Mit seiner Frau und den fünf Kindern lebte er zurückgezogen in der Reichenberger Waldvilla. Erst mit dem Tod seines Vaters 1870 übernahm Liebieg gemeinsam mit seinen Brüdern die Firmenleitung. Um 1890 zog er sich aus gesundheitlichen Gründen aus der Verwaltung des Unternehmens zurück. In den Folgejahren siedelte er nach Frankfurt über. Hier ließ er sich am südlichen Mainufer eine Villa errichten, die zu seinem Ruhesitz wurde. In seinem Testament vermachte er diesen mitsamt den darin befindlichen Kunstobjekten zu einem Vorzugspreis der Stadt, mit der Auflage, „für ewige Zeiten ein öffentliches Kunstmuseum zu unterhalten“.

Den überwiegenden Teil seines Vermögens schenkte Liebieg seiner Heimatstadt. Dazu gehören nicht nur die Kunstobjekte seiner Sammlung, sondern auch Spenden für den Armutsfond, die Stadtbibliothek sowie für das Gewerbemuseum. Gingen die Bildwerke seiner Kollektion an die Regionalgalerie, so verwahrt das Nordböhmische Gewerbemuseum den riesigen Fundus angewandter Kunst. Ein repräsentativer Teil der Objekte wurde nun an die Stadt Frankfurt entliehen. Mit der Ausstellung im Museum Giersch wird erstmals eine Auswahl der beiden Kollektionen – Gemälde und Kunsthandwerk – in einer Exposition vereint vorgestellt. Sie gibt Einblick in eine außergewöhnliche Kunstleidenschaft und verbindet zugleich die beiden Städte Frankfurt am Main und Liberec. Städte, die Liebieg prägte und die noch heute von seinen Spuren künden.

Kunstschätze des Mäzens Heinrich von Liebieg, Museum Giersch (Schaumainkai 83, Frankfurt am Main), geöffnet: Di.–Do. 12–19 Uhr, Fr.–So. 10–18 Uhr, Einritt: 5 Euro (ermäßigt 3 Euro), bis 27. Januar 2013