Der Universalgelehrte, der provozierte
Mit seinen Essays würdigt Peter Demetz den Prager Theologen und Philosophen Bernard Bolzano
19. 12. 2014 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: APZ
In seinem ersten Essay nimmt Peter Demetz den Leser mit auf die Reise in das abgelegene Dorf Těchobuz, 70 Kilometer südlich von Prag. Hier hatte Bernard Bolzano (1781–1848) fast 20 Jahre lang ein Asyl gefunden.
Nachdem Kaiser und Kardinal den Studentenseelsorger aus Prag hatten ausweisen lassen, weil sie befürchteten, dass seine sozialkritischen und liberalen Predigten die Studenten zum Aufruhr anstiften könnten, kam er dort bei der Familie des Gutsbesitzers und Glasfabrikanten Josef Hoffmann unter. Anna, Hoffmanns Frau, hatte schon in Prag Bolzanos Predigten gelesen und war „ seine stille Verehrerin“ geworden. Sie erwirkte nun bei den Behörden, dass der weltberühmte Philosoph, Mathematiker und freisinnige Theologe in ihrem Haus in Těchobuz eine Bleibe erhielt.
Mit dem Essay setzt Peter Demetz Anna Hoffmann ein kleines Denkmal. Sie war nicht nur tagtäglich um sein leibliches Wohl und seine Gesundheit besorgt, sondern sie war auch seine wichtigste Gesprächspartnerin in philosophischen und theologischen Fragen, während Bolzano sie in Botanik und Astronomie unterrichtete. Anna wiederum las ihm aus Werken der Weltliteratur vor. Natürlich zirkulierten bald Gerüchte über ein intimes Verhältnis der Beiden im Dorf. Demetz selber bemerkt dazu: „Ich glaube eher, Anna und Bernard respektierten Ehe und Zölibat und bewegten sich doch, frei im Geiste und in ihrer empfindsamen Freundschaft, längst jenseits der Konventionen und Gesetzlichkeiten.“
Demetz schildert die Beziehung zwischen Bernard Bolzano und Anna Hoffmann derart anrührend, dass er bei den Lesern das Interesse weckt, sich nun von ihm auch über Bolzanos Vorstellungen und Ideen informieren zu lassen, die ihn zum bedeutendsten Aufklärer und radikalsten Denker Böhmens gemacht haben.
Im folgenden Essay beschreibt er Bolzano als Sozialkritiker, der die zu Beginn des industriellen Zeitalters wachsende Kluft zwischen Arm und Reich anprangert und mit präzisen Daten belegt.
Im Mittelpunkt des dritten Essays stehen Bolzanos drei Reden „Über das Verhältnis der beiden Volksstämme in Böhmen“ aus dem Jahr 1816, in denen er harsche Kritik an den Deutschböhmen übt, die vor allem mit ihrer Sprachpolitik die Tschechisch sprechenden Böhmen unterdrücken.
Einzigartig für seine Zeit ist schließlich Bolzanos Parteinahme für die Juden. Der katholische Priester macht die Christen für den hasserfüllten Antisemitismus verantwortlich, den sie jahrhundertelang geschürt haben. Er fordert, dass die Juden endlich die gleichen Rechte wie die Christen bekommen.
Peter Demetz: Auf den Spuren Bernard Bolzanos. Essays. Arco Verlag, Wuppertal & Wien 2013, 74 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-938375-49-5
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?