Der Weg zum Meer
Das Verkehrsministerium bringt das alte Projekt Donau-Oder-Elbe-Kanal wieder auf den Tisch. Experten zweifeln am Nutzen
23. 10. 2013 - Text: Friedrich GoedekingText: Gerit Schulze; Foto: Jaroslav Kubec
Präsident Miloš Zeman hat ein gewaltiges Projekt auf die Tagesordnung gebracht: eine Wasserstraße, die Donau, Oder und Elbe verbindet. Das Vorhaben war in den letzten Jahrzehnten in Tschechien immer wieder diskutiert worden und dann in den Schubladen der Amtsstuben verschwunden. Mitte September nun hat das Verkehrsministerium erneut einen möglichen Zeitplan für die Einrichtung des Wasserlaufs vorgestellt. Demnach würde der 370 Kilometer lange Kanal bis zu 400 Milliarden Kronen kosten (15,7 Milliarden Euro). Er könnte bis zu 40 Meter breit sein und für Schiffe mit einem Tiefgang von bis zu 2,80 Meter ausgelegt sein. Die Länge der Binnenwasserstraßen im Land würde sich durch den Bau mehr als verdoppeln.
Bis Ende 2014 soll eine Machbarkeitsstudie angefertigt und die Auswirkungen auf die Umwelt analysiert werden. Bis 2020 könnte nach den Vorstellungen des Verkehrsministeriums die Elbe zwischen Přelouč und Děčín für die Schifffahrt ausgebaut sein. Die Errichtung der Kanalabschnitte würde dann bis 2039 erfolgen. Bevor der Wasserkorridor gebaut würde, müsste die tschechische Oder bei Ostrava schiffbar gemacht werden. Als letztes würde der Kanal bis zur Elbe nach Pardubice verlängert werden.
Die tschechische Verwaltung der Wasserwege (ŘVC) sieht den Kanal als „fehlendes Bindeglied im europäischen Wasserstraßennetz“. Er würde dem Land eine stabile Anbindung an die Weltmeere ermöglichen. Interesse an dem Projekt zeigt vor allem die Schwerindustrie in Mährisch-Schlesien. Die großen Metallurgiebetriebe wie Vitkovice Steel, ArcelorMittal Ostrava oder Třinecké železárny haben bislang keinen Zugang zu Wasserstraßen. Maschinenbauer, etwa Hersteller von Industriepressen, müssen zum Teil Großaufträge absagen, weil sie die Anlagen auf dem Landweg nicht abtransportieren können.
Nicht genügend Wasser
Auf einer Konferenz des Nationalen Maschinenbau-Clusters in Ostrava Ende September gaben die Teilnehmer ein klares Votum für den Bau des Kanals ab. Ohne Wasserwege verliere Tschechien seine Konkurrenzfähigkeit, so der Tenor. Allein die Region Mährisch-Schlesien hat jährlich einen Warenaustausch von 28 Millionen Tonnen, der bislang komplett per Lkw und Schiene abgewickelt wird. Die Binnenschifffahrt hat derzeit einen Anteil von 0,1 Prozent am Gütertransportaufkommen. Der Großteil der Frachtmenge wird über die Straße abgewickelt. Grenzüberschreitende Schiffstransporte hatten 2012 ein Volumen von unter 1,4 Millionen Tonnen. Hauptgrund für die schwache Entwicklung ist der fehlende Ausbau der Wasserwege.
Experten haben bereits davor gewarnt, dass die mährischen Flüsse nicht genügend Wasser führen, um den künftigen Kanal zu füllen. Das Wasser müsste aufwändig von der Donau in die neuen Wasserwege gepumpt werden. Außerdem sei der Höhenunterschied zwischen Donau und Oder relativ hoch, was ein komplexes System an Stauwerken, Tunneln und Aquädukten erfordere.
Zudem scheint es fraglich, ob die einheimische Industrie den Kanal in großem Stil annehmen würde. Tschechiens größter Exporteur Škoda Auto zum Beispiel setzt ausschließlich auf Straßen- und Schienentransporte, um seine Fahrzeuge zu den Überseehäfen zu bringen. „Bei unserer Logistik sind wir auf kurze Frachtwege angewiesen“, teilte Sprecher David Šikula auf Anfrage mit. „Wir gehen nicht davon aus, dass der Kanal für uns deutliche Vorteile bringen würde.“
Auch Vertreter aus der Hafenbranche sind skeptisch in Bezug auf den Kanalbau. „Wichtiger wäre es, endlich die Staustufen zwischen Děčín und der deutschen Grenze zu bauen. Denn ohne diese Investition wird sich die Binnenschifffahrt in Tschechien nicht entwickeln“, sagt Zdeněk Štol, Vertriebsleiter beim Hafen Děčín, der zur Sächsischen Binnenhäfen Oberelbe GmbH gehört.
Die Elbe ist auf tschechischer Seite ab Pardubice schiffbar. Doch der meiste Frachtverkehr findet erst ab Mělník statt, wo die Moldau in die Elbe mündet. Wegen fehlender Stauanlagen ist der Fluss bei Hoch- oder Niedrigwasser nicht befahrbar. „Auf einer Länge von 30 bis 40 Kilometer müsste die Elbe ausgebaut werden. Danach können wir über den Donau-Oder-Elbe-Kanal reden“, sagt Štol.
Elbe-Ausbau wichtiger
In Děčín und Lovosice werden große Mengen an Stahlschrott, Getreide und Düngemittel umgeschlagen. Die Sächsische Binnenhäfen Oberelbe GmbH schickt pro Woche rund fünf bis sechs Schiffe mit 3.500 Tonnen Gütern aus ihren beiden tschechischen Häfen auf den Weg nach Deutschland. „Trotz des Hochwassers im Sommer konnten wir die Transportmenge bis September um 17 Prozent gegenüber dem vergangenen Jahr steigern“, sagt Heiko Loroff, Geschäftsführer des Hafenverbunds. Sein Unternehmen versucht mit Erfolg, mehr Industrie in der Nähe seiner tschechischen Umschlagplätze anzusiedeln, die dann den Schifffahrtsweg zum Transport ihrer Waren nutzen.
Von steigenden Gütermengen aus Tschechien profitiert auch der Hamburger Hafen. Jährlich werden dort rund 200.000 Container mit böhmischen und mährischen Waren verschifft. Doch die meisten kommen per Schiene oder Lkw an. An die Realisierbarkeit eines Kanals Donau-Oder-Elbe glaubt der Repräsentant des Hamburger Hafens in Tschechien, Bohumil Průša, dennoch nicht. „Es gibt noch gar keine Einigung mit den betroffenen Nachbarländern.“ Aus seiner Sicht wäre es ebenfalls besser, sich auf den Ausbau der Elbe zu konzentrieren. „Sie ist unsere einzige Verbindung mit dem modernen Wasserstraßennetz Europas.“
Der Autor ist Tschechien- und Slowakei-Korrespondent von Germany Trade & Invest.
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