Die Art zu töten
Eine Ausstellung im öffentlichen Raum zeigt Werke von Lukáš Houdek
6. 3. 2013 - Text: Lena KawohlText: Lena Kawohl; Foto: Welzel
Barbie liegt nackt und festgezurrt auf einer Liege. Stramm und in Uniform holt Ken soeben zum Schlag aus, die Frau wehrt sich – erfolglos. Ein zweite Puppe hält ihre Arme fest. Auch die anderen sechs Schwarz-Weiß-Fotografien des tschechischen Künstlers Lukáš Houdek sind brutal. Entlang des Letná-Ufers am Nábřeží Edvarda Beneše reihen sich seit Anfang Februar sieben Szenen der Folter, der Erniedrigung und der Vergewaltigung aneinander.
Die beschriebene Fotografie ist Teil der Ausstellung „Umění zabíjet/The Art of Killing“, die sich mit den Torturen beschäftigt, die die deutsche Minderheit in der Tschechoslowakei bei der gewaltsamen Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg erleben musste. Alle Szenen basieren auf wahren Gegebenheiten. Dafür hat Lukáš Houdek in Archiven gesucht und Zeugenaussagen analysiert. Der Künstler ist Autodidakt und zeigt in seinen Arbeiten neben dem Interesse für politische Themen und Randgruppen auch Sinn für Banales, zuweilen auch Komisches, zum Beispiel wenn er systematisch die Unterhosen seiner Mutter dokumentiert. Die Beschäftigung mit der Vertreibung der Sudetendeutschen entspringt persönlichem Interesse. Houdek selbst ist an der Grenze aufgewachsen.
Der grinsende Ken
Die Fotografien, einmal gesehen, lassen einen nicht mehr los. Ein stets grinsender Ken steht, die Hand zum Gruß erhoben, vor einer Mauer, an der einige Männer mit dem Kopf zur Wand aufgestellt sind. Nur unscharf im Vordergrund, aber mit einer klar erkennbaren Waffe, steht ein zweiter Uniformierter im Bild. Der Titel des Werks lautet: „Postoloprty, květen – červen 1945“ („Postelberg, Mai – Juni 1945“). Bei einem Progrom im Juni 45 wurden auf einem Kasernengelände in Postelberg unzählige deutsche Männer und Jungen gefoltert und erschossen, nachdem sie aus der Nachbarstadt Saaz (Žatec) in einem Todesmarsch nach Postelberg getrieben worden waren.
Auch wenn dieser Teil der deutsch-tschechischen Geschichte bereits 70 Jahre zurückliegt, hat der gerade zurückliegende Wahlkampf um das Präsidentenamt gezeigt, dass das Thema noch immer Zündstoff enthält und polarisiert. Das politisch heikle Thema hat der Künstler mit der Nachstellung der Szenen durch Puppen auf eine symbolische Ebene gehoben, durch die sich eine sachliche Distanz entwickeln lässt. Houdek möchte die tschechische Öffentlichkeit mit der eigenen Vergangenheit konfrontieren und zum Nachdenken anregen. Und wo ginge das besser als im unausweichlichen, öffentlichen Raum, auf der „ARTWALL“, an der tagtäglich zig Autos und Straßenbahnen vorbeifahren und dessen Werke man sogar vom anderen Ufer der Moldau noch erahnen kann?
Die Mauernischen am Letná-Ufer wurden früher als Fläche für kommunistische Propaganda genutzt und werden seit 2005 von der „ARTWALL Gallery“ (mit Unterbrechungen) mit zeitgenössischer Kunst bespielt. Die aktuelle Schau ist dabei in Zusammenarbeit mit der nationalen Technik-Bibliothek in Dejvice entstanden. Die Fotografien an der Moldau repräsentieren allerdings nur einen Ausschnitt. Wer sich vertiefen möchte, dem sei die vollständige Werkserie mit über 30 Exponaten im ersten Geschoss der Technischen Bibliothek empfohlen.
Lukáš Houdek – Umění zabíjet/The Art of Killing. ARTWALL Gallery, Nábřeží kapitána Jaroše
a Edvarda Beneše, Prag 1; Narodní technická knihovna (Nationale Technik-Bibliothek), Technická 6, Prag 6, geöffnet: Mo.–Fr. 10–18Uhr, Sa. 10–17 Uhr, Eintritt frei, bis 31. März
Die Autorin ist Kunsthistorikerin und Mitgründerin des Blogs „kunstgeflüster“, das über die Kunstszene in Prag, Berlin und Nordrhein-Westfalen berichtet. Mehr auf www.kunstgefluester.blogspot.com.
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