Die drängenden Fragen der Zeit
Im Kulturzentrum DOX beschäftigen sich internationale Künstler mit der Krise der Demokratie
19. 11. 2014 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: Siggi Hofer/DOX
Wie steht es um den Fortbestand der Demokratie? Wo lauern die Gefahren dieses politischen Systems in einer Welt, in der der Informationsfluss unüberschaubar und die Überwachung des Bürgers flächendeckend ist? Und inwiefern machen die Auswüchse des globalen Finanzmarktes demokratische Errungenschaften zunichte? Mit solchen und ähnlichen Fragen haben sich im Zentrum für zeitgenössische Kunst DOX Künstler aus aller Welt befasst, um anhand von Videoprojekten, Installationen, Grafiken und Fotografien die demokratische Praxis im Wandel der Zeit zu durchleuchten. Ihre teils wissenschaftlichen, teils abstrakten und oft unkonventionellen Resultate sind in acht Bereiche unterteilt, geordnet nach thematischen und geographischen Kriterien.
So komplex ein demokratisches System ausgestattet sein muss, um zu funktionieren, so wenig bedarf es, um es aus dem Gleichgewicht zu bringen. „Die Demokratie geht, ob liberal oder sozial ausgerichtet, dem Ende entgegen. Sie wird dominiert vom Finanzmarkt. Daher müssen neue Formen der politischen Teilhabe diskutiert werden“, so Jaroslav Anděl, Chefkurator der Schau „Modes of Democracy“. Die umfangreiche Ausstellung erstreckt sich auf mehreren Etagen des renommierten Kunstzentrums in Holešovice und offenbart Einblicke in neuartige Konzepte von Demokratie.
Kultur und Politik gehen hier eine Symbiose ein. Sie führt dem Betrachter vor Augen, wie bedeutend die ständige Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Umwelt ist. Eine sich selbst genügende Kunst im Sinne der „L’art pour l’art“ hat ausgedient. In einer Welt, in der „das Ende der Geschichte“, wie es Francis Fukuyama in den neunziger Jahren kontrovers ausgedrückt hatte, nicht eingetroffen ist, kann und darf sich niemand den drängendsten Fragen der Zeit entziehen. Freilich sind die Ansätze, mit denen die rund zwei Dutzend Künstler diesen begegnen, zuweilen schwer zugänglich.
Das zeigt sich beispielsweise bei den Grafiken des Italieners Paolo Cirio. Von einer theoretischen Grundlage ausgehend, versucht der junge Künstler, revolutionären Ausformungen einer basisdemokratisch organisierten Gemeinschaft näherzukommen. Dabei geht es ihm um nichts Geringeres als die Ausarbeitung einer radikalen Demokratie, die sich der Logik der Märkte entzieht. Seine stets kreisförmigen Modelle sind auf großen schwarzen Leinwänden angebracht – diese zu studieren fordert einiges an Konzentration und Zeit. Es lohnt sich jedoch, jene Ideen zumindest spielerisch und gedanklich durchzuexerzieren.
Wie so etwas in der Realität funktioniert, versucht das Künstlerduo Olaf Olafsson und Libie Castro anhand seiner Videoinstallationen zu veranschaulichen. Im Fokus steht hierbei der verfassungsgebende Prozess, der 2012 und 2013 in Island stattfand. Dabei sollten die Bürger ihr Grundgesetz selbst ausarbeiten. Die Ideale einer Demokratie, die somit unmittelbar von ihrem Souverän entworfen und dann entsprechend gelebt wird, scheiterten letztendlich – die Verfassung liegt auf Eis. Dennoch gibt ein derartiges Modell Aufschluss über die komplizierten Mechanismen, die dabei in Gang gesetzt werden. Demokratie fällt einer Gesellschaft nicht als fertiges Konstrukt in den Schoss, sie muss hart erarbeitet und ständig weiterentwickelt werden.
Einen Blick nach Kolumbien gewährt Daniel Latorre. Der US-Amerikaner analysierte in Cali den Umgang der Bevölkerung mit einer brachliegenden Bahntrasse, die die Stadt in arm und reich, „Mischlinge“ und „Weiße“ trennt. Wem fällt das Recht zu, diesen neuen Freiraum zu gestalten? Und wer partizipiert in welchem Maß an der Umsetzung der verschiedenen Projekte?
Die beteiligten Künstler von „Modes of Democracy“ wollen und können natürlich keine eindeutigen Antworten auf all die Fragen geben. Doch deren Abhandlung tut nicht nur der Gesellschaft im Allgemeinen, sondern auch einer von politischen Realitäten oft entrückten Kunstszene im Speziellen gut.
Modes of Democracy. DOX Centre for Contemporary Art (Poupětova 1, Prag 7), geöffnet: Sa.–Mo. 10–18 Uhr, Mi. & Fr. 11–19 Uhr, Do. 11–21 Uhr, dienstags geschlossen, Eintritt: 180 CZK (ermäßigt 90 CZK), bis 2. März 2015
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