Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Für Matěj Stropnický ist Politik der Kampf für die Schwachen – und macht Spaß. Wenn nur der Vater sich da raushielte

19. 12. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText und Foto: Martin Nejezchleba

Auf das kleine Buch ist Matěj Stropnický stolz. 100 Seiten mit Fotos von schnörkelloser Bahnhofsarchitektur. Der 30-Jährige ist seit vergangenem Jahr stellvertretender Bürgermeister des dritten Prager Stadtbezirks. Er war es, der die Publikation über den zum Kulturdenkmal erklärten Güterbahnhof Žižkov im Stadtrat durchgesetzt hat. Endlich ein handfestes Ergebnis nach jahrelangem Kampf gegen den Abriss der größten funktionalistischen Industrieanlage Prags. Endlich ein Ergebnis, das man bei Gesprächen mit Besuchern auf den Konferenztisch im Rathaus von Žižkov legen kann.

„Alles geht hier so unglaublich langsam“, sagt Stropnický und zieht das gerollte „R“ im Tschechischen dramatisch in die Länge. Die Trägheit der Bürokratie auf kommunaler Ebene geht ihm auf die Nerven, das gibt der Jungpolitiker zu. Spaß mache Politik trotzdem. „Indem ich die Hindernisse nehme, setze ich langfristig meine Vorstellung von der Welt durch“, sagt Stropnický und legt die gefalteten Hände an die schwarzen Bartstoppeln seines Kinns.

Er mag es gern unprätentiös. Einem Foto im Verhandlungsraum des Rathauses mit dem dunklen Eichenholz und den in Gold gerahmten Gemälden stimmt Stropnický nur widerwillig zu. In seinem Büro hängen Plakate von der diesjährigen Biennale im Güterbahnhof. Mit Freunden werkelt er an Wochenenden an der Innenausstattung eines Cafés, das sie gemeinsam im Januar eröffnen wollen – als Genossenschaft. Zum Mittagessen geht er am liebsten in den „Bosna Grill“ um die Ecke. Dort sitzt die Köchin mit fettverschmierter Schürze an einem der wenigen Tische. Von Stropnický fordert sie mit südslawischem Akzent, er solle doch die lange Rotphase am nahegelegenen Fußgängerüberweg verkürzen.  Dann würden mehr Passanten den direkten Weg in ihr Bistro nehmen. Stropnický lacht.

Wie ein Politiker sieht er nicht aus. Enge schwarze Jeans, spitz zulaufende Lederschuhe. Mit einem Seitenscheitel hat er die pechschwarze Mähne gebändigt. Die Haare sind zerzaust – so wie bei jemandem, der öfter in den Spiegel guckt, um sicher zu gehen, dass sie auch richtig zerzaust sind. Strahlend weiße Zähne blitzen unter dem Oberlippenbart hervor. Stropnický wollte früher Schauspieler werden, so wie sein Vater Martin.

Doping für Papa
2003, mit 20 Jahren, ist Stropnický den Grünen beigetreten. Damals dümpelte die Partei bei etwa 2,5 Prozent herum. Der Vater, der nicht nur als Schauspieler und Theaterintendant bekannt ist, sondern 1990 auch Kulturminister wurde und später als Botschafter mit der ganzen Familie nach Portugal und Italien zog, habe das politische Engagement des Sohnes lange nicht ernst genommen. „Das hat sich erst geändert, als ich es hier ins Rathaus geschafft habe“, sagt Matěj.

Auf seinem Facebook-Profil schrieb er am Tag der Parlamentswahlen im Oktober, dass ihm sein Vater, der für die ANO-Partei des Milliardärs und Medienmoguls Andrej Babiš kandidierte, per SMS Glück gewünscht habe. Darauf habe er nur eine ablehnende Antwort gefunden. Das sei, als wünsche ein bis unter die Schädeldecke gedopter Athlet seinem Konkurrenten, der einfach nur zehn Jahre lang trainiert hat, den Erfolg. „Lasst uns ihre Kohle besiegen“, steht auf Matěj Stropnickýs Pinnwand.

Babišs „Kohle“ konnten die Grünen nicht besiegen. ANO erhielt auf Anhieb 20 Prozent der Parlamentssitze. Die Koalitionsparteien feilschen im Moment auch um einen Ministerposten für den Vater. Der Sohn war mit seinen Grünen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.

In seinem Žižkov hätten bei den Parlamentswahlen 8 Prozent für die Grünen gestimmt. „Wir werden nie wieder die Neuen, die Veränderung sein“, sagt Stropnický, der auch stellvertretender Parteivorsitzender ist. Die Chance, sich zu etablieren, habe man in der Regierung Topolánek verspielt. Jetzt gehe es für seine Partei darum, das Vertrauen der Wähler auf kommunaler und regionaler Ebene zurückzugewinnen. Er selbst möchte im Herbst fürs Rathaus der Hauptstadt kandidieren, irgendwann will er ins Parlament.

2006 schafften es die Grünen unter Martin Bursík ins Abgeordnetenhaus und gingen eine Mitte-Rechts-Koalition mit der ODS und den Christdemokraten ein. Stropnický machte sich damals Feinde in der Partei. Vor allem durch sein erbittertes Engagement gegen die Stationierung einer US-Raketenabwehr in Tschechien. Unter seinen Parteikollegen machte er Stimmung gegen Karel Schwarzenberg, der damals für die Grünen im Außenministerium saß. Bald darauf führte ein Streit um die eigene politische Ausrichtung zur Spaltung der Partei. Seither gilt Stropnický, wie er selbst sagt, bei vielen Grünen als „roter Lumpen“. Für Bursík, der die Partei kurz vor den Parlamentswahlen verließ, ist Stropnický gar ein „Fundamentalist“.

Sozialismus ohne Panzer
Der entgegnet: „Ich bin ein linker Politiker“. Blinden Anti-Kommunismus lehnt er ab. Man müsse die 40 Jahre bis 1989 differenziert betrachten, vor allem im Prager Frühling sehe er viel Positives. Stropnický hat in diesem Sommer seine Diplomarbeit an der journalistischen Fakultät der Karls-Universität als Buch veröffentlicht. Er analysiert die Medienlandschaft um 1968. Der Titel: „Den Sozialmus ohne Panzer denken“.

Der Philosoph und Dissident Jaroslav Šabata ist sein Vorbild. Bis in die fünfziger Jahre wurde er zum stalinistischen Flügel der KSČ gezählt, 1969 flog er aus der Partei und wurde Bauarbeiter. Wegen seiner oppositionellen Tätigkeiten landete er insgesamt sieben Jahre im Gefängnis. „Jaroslav war ein Mensch, der trotz aller Niederlagen stets die Überzeugung vertrat, dass die Politik auf der Seite der Schwachen stehen muss“, erklärt Stropnický. Er teilt diese Überzeugung.

Den Lokalbetreibern in Žizkov wollte er gerne die Gebühren für die Außenbewirtung erlassen – um den öffentlichen Raum zu beleben. Im reicheren Vinohrady hingegen sollte weiter abkassiert werden. Bei den Koalitionspartnern von TOP 09 und ČSSD stieß er damit auf Gegenwehr. Strop­nickýs Metier im Rathaus ist vor allem die Wohnungspolitik. Die Privatisierung der Wohnungen im Arbeiterviertel Žižkov wolle er sozial verträglicher gestalten. Langfristig zielt er auf ein soziales Wohnungskonzept ab. Aber anstrengend ist das schon. In Sprechstunden trifft er auf diejenigen, die sich von der Wohnungskommission der Stadt ungerecht behandelt fühlen.
„Länger als drei Stunden hält man das nicht aus“.

Unpolitische Feiertage
Zum Glück hat Stropnický noch „seine Projekte“. Auf dem Vítkov-Hügel sollen Skulpturen aus den Werkstätten von Kunststudenten aufgestellt werden, eine Bibliothek und ein Kulturzentrum in Jarov entstehen. Und dann ist da auch noch der Güterbahnhof.
„An dem Gebäude fasziniert mich vor allem seine Größe“, sagt Stropnický. Er mag die Herausforderung. Stropnický möchte ein Kultur- und Kunstzentrum aus dem Gelände machen, das Tschechische Filmarchiv und eine Ausstellung der Stadtgalerie könnten dort Platz finden.

„Der Kampf ist noch lange nicht vorbei“, sagt Stropnický. Doch ohne Unterstützung vom Magistrat und staatliche Beteiligung lässt sich dem Koloss kein neues Leben einhauchen. Dabei könnte er bald seinem Vater, der als Kulturminister gehandelt wird, als Verhandlungspartner gegenübersitzen. Eine Horrorvorstellung für den Sohn Stropnický – das Letzte, was er möchte, ist, dass die Menschen denken, der mächtige Vater habe ihm den Erfolg ermöglicht. Diese Gerüchte verfolgen ihn sowieso schon sein ganzes Leben. Aber zunächst heißt es, das Weihnachtsessen beim Vater über die Bühne zu bringen, ohne über Politik zu streiten.