Die Geister, die wir riefen
Von Rabbi Löw zum Roboter: Das Jüdische Museum Berlin präsentiert den Golem als Symbol menschlicher Schöpfungskraft – und schaut auch auf Prag
10. 11. 2016 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann; Foto: Jüdisches Museum Berlin
Es gibt einfach kein Entkommen. Seine Fratze lauert überall. Es genügt, die Zeitung aufzuschlagen oder den Fernseher anzuschalten. Allein der Gedanke an ihn lässt viele erschauern. Anderen gibt er Hoffnung, sie sehen ihn als ihren Beschützer. Zu Beginn des Rundgangs durch die Golem-Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin haben sich die Kuratorinnen Emily D. Bilski und Martina Lüdicke einen Scherz erlaubt: Donald Trump blickt die Besuchern mit wutverzerrtem Gesicht vom Titelbild eines Magazins an.
Den Vergleich zwischen dem Golem, der Figur aus der jüdischen Mystik, die ihren Schöpfern irgendwann über den Kopf wächst, und dem Präsidentschaftskandidaten der Republikaner hat allerdings zuvor ein anderer gezogen. Der US-amerikanische Journalist Neil MacDonald schrieb schon 2015: „Wie der Golem von Chełm, die zum Leben erweckte Lehmfigur in der jüdischen Folklore, die unkontrollierbar wird und das ganze Universum bedroht, scheint Trump mit jedem Fernsehauftritt und jeder Rede mehr Macht zu sammeln.“ Und genau wie der Golem drohe er jetzt, seine Schöpfer zu zerstören, sollten sie versuchen, den Zauber zu brechen, indem sie die magischen Buchstaben von seiner Stirn entfernen. „Beim Golem war es eine heilige Formel, bei Trump ist es die weiße Schirmmütze mit der Aufschrift ,Make America Great Again‘“, schreibt MacDonald. Das ist ein bisschen weit hergeholt – aber bringt eine Kernaussage der Ausstellung auf den Punkt: Der Golem ist noch immer da. Und nimmt verschiedene Formen an.
Aber woher kommt er? Im jüdischen Glauben gibt es den Golem, seit es Menschen gibt. Im Talmud wird schon Adam aus Erde geformt. Namentlich erwähnt wird er erstmals im zwölften Jahrhundert. Jüdische Mystiker in Worms versuchten damals, durch Kombination der zehn Urziffern mit Schriftzeichen des hebräischen Alphabets ein lebendiges Wesen aus Staub und Erde zu schaffen. Dahinter steckte der Glaube an die Schöpfungskraft der Frommen, die durch die menschlichen Sünden aber fehlerhaft bleibt. Die Buchstaben als Anfang von allem – diese Idee greift das eigens für die Ausstellung entstandene Werk des kalifornischen Künstlers Joshua Abarbanel auf: eine überlebensgroße Skulptur aus Holzbuchstaben, mit einer Kette an den Boden gefesselt.
Dabei ist der Golem im jüdischen Glauben nicht immer eine bedrohliche Figur. In einer der bekanntesten Erzählungen des Mythos, Gustav Meyrinks Jahrhundertwende-Krimi, erschafft ihn Rabbi Löw in Prag als Beschützer der jüdischen Gemeinde. Die dazugehörigen Illustrationen von Hugo Steiner-Prag sind ebenfalls Teil der Ausstellung. Das Bild, das Steiner-Prag vom Golem zeichnet, erinnert mit seinem länglichen Gesicht und den Schlitzaugen an Außerirdische aus Comics und Science-Fiction-Filmen – und an den Harry-Potter-Charakter Lord Voldemort.
Dieser Golem von Gustav Meyrink und Hugo Steiner-Prag geistert alle 33 Jahre durch Prag. Vielleicht bis heute. Der Legende nach liegen seine Überreste noch immer auf dem Dachboden der Altneu-Synagoge.
So stark er auch sein mag – vor dem Holocaust konnte der Beschützer aus Lehm und Staub die Juden nicht retten. „Oh Golem, erwache, es ist höchste Zeit. Wieder sind jene Leute wild geworden“, schrieb der Schriftsteller Abraham Reisen im Jahr 1940. Obwohl die Legende von der jüdischen Schaffenskraft bisweilen sogar Eindruck auf die Nationalsozialisten machte. Der Friedhof in Berlin-Weißensee, heute mit über 100.000 Gräbern einer der größten in Europa, überstand die dunkle Zeit angeblich, weil die Nationalsozialisten glaubten, ein Golem ginge dort um. Eine Videoinstallation über den Friedhof ist in einem der Ausstellungsräume zu sehen.
Bis heute in Prag zu Hause
Mit keiner anderen Stadt ist die Legende vom Golem aber so eng verbunden wie mit Prag. Rabbi Löw, der dort unbelebte Materie zu einem lebendigen Helfer gemacht haben soll, lebte im Prag des 16. Jahrhunderts unter der Herrschaft von Rudolf II., der sich für Astronomie und Alchemie – und eben auch die jüdische Mystik interessierte. Die Atmosphäre dieser Zeit bildet den Hintergrund für die Legende, die bis heute zur Stadt gehört. Auch wenn der Golem nun als niedliche Figur in den Souvenirgeschäften sein Dasein fristet.
Ganz verloren hat er das Unheimliche aber nicht. Er ist Ausdruck des Wunsches, sich Gott zu nähern – aber auch dessen, sich mit Gott messen zu wollen. Diese abstrakte Dimension nimmt in der Ausstellung viel Raum ein. Wer sind – neben Trump – die Golems von heute? Einer der ersten israelischen Großcomputer wurde in den sechziger Jahren auf den Namen „Golem Aleph“ getauft; der Vorschlag kam vom Wissenschaftler Gershom Scholem, der sich wünschte, „dass die Maschine friedlich bleibe“. Er stellte als einer der Ersten die Verbindung zwischen dem Golem-Mythos und künstlicher Intelligenz her.
Oder sind Roboter die neuen Golems? Damit schließt sich der Kreis und der Golem kehrt zurück nach Prag, wo der Schriftsteller Karel Čapek zwar nicht die Maschine, aber zumindest das Wort Roboter erfand.
Die Frage, ob der Mensch seine Geschöpfe heute im Griff hat, bleibt zwischen den Fotografien von maschinengesteuerten menschlichen Doppelgängern im letzten Raum unbeantwortet. Eröffnet wurde die Ausstellung in Berlin übrigens von einem menschenähnlichen Roboter namens Senora Reem, der vor dem Direktor des Jüdischen Museums Peter Schäfer das Publikum begrüßte. Der Golem lebt.
Golem. Jüdisches Museum Berlin (Lindenstraße 9–14, Berlin – Kreuzberg), geöffnet: täglich 10 bis 20 Uhr (Mo. bis 22 Uhr), Eintritt: 8 Euro (erm. 3 Euro), bis 29. Januar, www.jmberlin.de
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?