Die gläserne Stadt
Der erste Bezirk will die Videoüberwachung massiv ausbauen – auf Grundlage einer Studie, die viele Zweifel aufwirft
6. 11. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: APZ
Der Stadtrat des ersten Prager Bezirks hat einen Plan: Das historische Zentrum soll durchsichtiger werden. An die hundert neue Überwachungskameras möchte man installieren. Die Sicherheitsmaßnahmen könnten den Stadtteil in den kommenden drei Jahren bis zu 83 Millionen Kronen (etwa 3,2 Millionen Euro) kosten. Das gesamte Sicherheitssystem soll modernisiert und erweitert werden.
„Die Gewaltkriminalität steigt nicht an. Es gibt aber Probleme mit der öffentlichen Ordnung“, erklärt Stadtrat Ivan Solil (ČSSD) die Gründe für die Überwachungsoffensive. Bestandteil des Ende Oktober verabschiedeten Vorhabens (die Prager Zeitung berichtete online) sind neben Lichtsignalen an Fußgängerübergängen auch Detektoren, die melden, wenn die gesetzliche Lärmgrenze überschritten, in der Öffentlichkeit uriniert oder Wände besprüht werden. Wird eine Ordnungswidrigkeit erkannt, soll ein neu eingerichtetes Überwachungszentrum Alarm schlagen und eine Polizeistreife in der Nähe per SMS benachrichtigen.
Überwachend vorbeugen
Die Befürworter der millionenschweren Sicherheitsmaßnahmen argumentieren mit einer Studie, die die Stadtverwaltung von Prag 1 in Auftrag gegeben hatte. „Das System, das in der Analyse vorgeschlagen wird, sollte auf Prävention ausgerichtet sein und so zu mehr Sicherheit der Bewohner von Prag 1 beitragen“, erklärt Stadtrat Solil. Besagte Studie ließ sich das Rathaus 200.000 Kronen kosten (rund 7.740 Euro) und liegt der „Prager Zeitung“ vor.
Von einer detaillierten Analyse der Sicherheitslage im touristischen Zentrum der Stadt kann dabei keine Rede sein. Die Autoren beschränken sich in ihrem Dokument auf die Aufzählung der von der Polizei festgestellten Ordnungswidrigkeiten. Ob das bestehende Kamerasystem – schon heute betreibt alleine die Stadt 164 Kameras im ersten Bezirk – tatsächlich zur Verbesserung der Sicherheitslage im Zentrum beiträgt, wird auf den 71 Seiten nicht erörtert. Angefertigt wurde die Studie von einer Firma, die selbst Überwachungstechnik installiert. Der Bericht ähnelt vielmehr einem Auftragsangebot denn einer Sicherheitsanalyse.
Dennoch wurde vor einigen Wochen auf Grundlage dieses Dokuments im Stadtrat beschlossen, dass das historische Zentrum der Stadt jenes moderne Überwachungssystem benötigt, das die Autoren der Studie vorschlagen. Es soll vor allem helfen, lärmende Touristen ausfindig zu machen, Störungen der Nachtruhe einzudämmen und Kleinkriminellen das Handwerk zu legen. Die endgültige Entscheidung fällt mit der Abstimmung über den neuen Haushalt. Der Stadtratsabgeordnete für die Grünen Filip Pospíšil rechnet damit, dass es dazu in den nächsten Wochen kommen wird. Und er rechnet mit einer Bewilligung.
Öffentlich kritisieren lediglich drei der insgesamt 35 Abgeordneten die Überwachungsoffensive. Laut Pospíšil stecken hinter dem Vorhaben einzig und alleine wirtschaftliche Interessen der Politiker. Mit der geplanten Auftragsvergabe wollten die Koalitionsparteien TOP 09 und ČSSD Geldquellen für künftige Wahlkampagnen sichern, meint Pospíšil.
Probleme mit nicht eingehaltenen Sperrstunden und betrunkenen Touristengruppen gebe es zwar, Pospíšil sieht von offizieller Seite jedoch kaum ein Bestreben, dagegen vorzugehen – trotz Beschwerden. „Prag 1 erlaubt Spielcasinos im Zentrum und behauptet auf der anderen Seite, die Kriminalität mit Videoüberwachung eindämmen zu wollen“, merkt er an. „Selbst in Gebäuden, die dem Stadtteil 1 gehören, verletzten die Mieter und Betreiber der Lokale laufend die Mietverträge.“
Bereits heute begegnet man im Stadtzentrum Videokameras auf Schritt und Tritt. Neben den vom Rathaus der Hauptstadt betriebenen Kameras wird das Geschehen in den Straßen und Gassen auch durch Überwachungssysteme anderer öffentlicher Einrichtungen und von privaten Betreibern aufgezeichnet.
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