Die höchste Strafe dieser Welt
Vor 70 Jahren fand die letzte öffentliche Hinrichtung in Prag statt. Verurteilt war der NS-Politiker Karl Hermann Frank
18. 5. 2016 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: ČTK
„Ich habe nicht gemordet, nicht geraubt, auch kein anderes gemeines Verbrechen begangen, auch keine politischen Willkürakte – ich habe auch keine Politik aus bloßem Hass auf die Tschechen gemacht, aus Rachsucht oder Karrierismus, wie mir vorgeworfen worden ist.“
Selbst in seinem Schlusswort vor dem außerordentlichen Volksgericht in Prag am 21. Mai 1946 bestritt Karl Hermann Frank jegliche Verantwortung für die Verbrechen, die er in den Jahren 1938 bis 1945 begangen hatte. Der ehemalige „Deutsche Staatsminister für Böhmen und Mähren“ war keinesfalls nur ein williger Befehlsvollstrecker. Intensiver und länger als Reichsprotektor Konstantin von Neurath und dessen Stellvertreter Reinhard Heydrich hat Frank die deutsche Besatzungspolitik konzipiert, geprägt und umgesetzt.
Karl Hermann Frank wurde am 24. Januar 1898 in Karlsbad (Karlovy Vary) als erster Sohn des Volksschullehrers Heinrich Frank geboren. Den Vornamen Karl Hermann gaben ihm die Eltern, da sie wie viele Sudetendeutsche den „Helden des Deutschtums“ Karl Hermann Wolf verehrten. Der alldeutsche Politiker aus Eger (Cheb) hatte 1897 im Wiener Parlament entscheidend dazu beigetragen, dass die Badenische Sprachenverordnung (benannt nach dem damaligen Ministerpräsidenten Graf von Badeni) scheiterte, die die deutschen Staatsbeamten im Königreich Böhmen zur Zweisprachigkeit und damit auch zum Gebrauch der tschechischen Sprache verpflichten sollte.
Karl Hermann Franks Einstellung zu den Tschechen war von der radikal nationalistischen alldeutschen Ideologie geprägt, in deren Zentrum ein militanter Antisemitismus sowie der Hass gegenüber den slawischen Völkern – besonders gegenüber den Tschechen – und dem habsburgischen Vielvölkerstaat standen. Die Anhänger der Alldeutschen Bewegung kämpften für eine Vereinigung der deutschen Siedlungsgebiete in Mittel- und Osteuropa mit dem Deutschen Reich.
1935 wurde Frank in seinem Heimatwahlkreis Karlsbad mit 64 Prozent der Stimmen als Abgeordneter der Sudetendeutschen Volkspartei (SdP) in das tschechoslowakische Parlament gewählt. Nach ihrer Gründung 1933 (unter dem Namen „Sudetendeutsche Heimatfront“) entwickelte sich die Partei unter der Führung des Turnlehrers Konrad Henlein (1898–1945) allmählich zu Hitlers „fünfter Kolonne“ gegen die Tschechoslowakei. Als Stellvertreter Henleins betrieb Frank ab 1936 in ständigem Kontakt mit der deutschen NS-Regierung und mit großem Eifer die Zerschlagung des tschechoslowakischen Staates. Im Herbst 1938 war er stellvertretender Kommandeur des Freikorps Henlein. Von Selb in Oberfranken forderte er seine deutschen Landsleute in der Tschechoslowakei auf, sich „durch Bajonette und Tanks der hussitisch-bolschewistischen Horden nicht einschüchtern“ zu lassen. Sein Aufruf endete mit den pathetischen Worten: „Den Tyrannen in Prag steht das Mal des Todes auf der Stirn! Kameraden, wir kommen. Und mit uns der Sieg unserer gerechten Sache: die Freiheit und die Heimkehr ins Reich!“
„Die nötige Härte“
Das NS-Regime belohnte Frank für seine Agitation, indem es ihn nach der Besetzung des Sudetenlandes zum stellvertretenden Gauleiter ernannte. Frank organisierte nun die Überführung der SdP in die NSDAP und war mitverantwortlich dafür, dass die Gestapo im „Reichsgau Sudetenland“ gegenüber den verbliebenen Tschechen, Juden und den aus Deutschland vor den Nazis geflohenen Menschen mit Enteignungen, Verhaftungen und Mordaktionen vorging.
Als sich Hitler nach der „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ am 15. März 1939 überraschend entschloss, in Begleitung von Himmler und Ribbentrop die Stadt Prag zu besuchen, setzte sich Frank an die Spitze der Autokolonne. Und einen Monat später ernannte ihn Himmler zum SS- und Polizeiführer von Böhmen und Mähren. Damit unterstanden Frank die entscheidenden Organisationen zur Unterdrückung des besetzten Landes. Er hatte nun endgültig das Vertrauen Hitlers und Himmlers gewonnen. Nicht zuletzt schätzten der Diktator und der Reichsführer der SS an ihm seine kompromisslose Unerbittlichkeit. 1940 schreibt Goebbels in sein Tagebuch: „Frank in Prag hat die nötige Härte. Wenn’s einmal hart auf hart gehen sollte, wird er Reichsprotektor.“
Franks Politik gegenüber den besetzten Ländern Böhmen und Mähren wurde von zwei Gesichtspunkten bestimmt. Als NS-Ideologe trat er für eine totale Germanisierung der böhmischen Länder und der tschechischen Bevölkerung ein. Als Pragmatiker stellte er aber aus Nützlichkeitserwägungen diese Maßnahmen bis zum erwarteten „Endsieg“ zurück, da er davon überzeugt war, dass die deutsche Kriegswirtschaft auf die Arbeitskraft der Tschechen angewiesen sei.
In einer Denkschrift an Hitler aus dem Jahr 1940 stellte Frank klar, „mehrere Millionen Tschechen“ seien geeignet, „einer echten Umvolkung zugeführt“ zu werden; für „rassisch unverdauliche Tschechen und die reichsfeindliche Intelligenzschicht“ sei dagegen Aussiedlung oder „Sonderbehandlung dieser und aller destruktiven Elemente“ das rechte Mittel.
1942 legte Frank seinem Vorgesetzten Himmler einen „Gesamtsiedlungsplan“ für das Protektorat vor, der die Ansiedlung von etwa 1,4 Millionen Deutschen vorsah. Mit diesen Ansiedlungen wollte Frank „eine Deutschtumsbrücke von Norden nach Süden über Prag und eine weitere von Nordosten nach Südwesten durch Mähren“ bilden, wobei das entsprechende Siedlungsland „durch Ankauf oder durch Enteignung gegen billige Entschädigung beschafft“ werden sollte.
Zuckerbrot und Peitsche
Auf der anderen Seite hatte Frank die zentrale Bedeutung des Industriepotentials der böhmischen Länder für das Krieg führende Deutschland erkannt. So wurden 1941 ein Drittel aller deutschen Panzer, 28 Prozent der Lastwagen und 40 Prozent der Maschinenwaffen im Protektorat produziert. Der „Tschechenhasser“ war zum Wohle der deutschen Kriegswirtschaft sogar bereit, die Lebensbedingungen der Tschechen zu verbessern, um so ihre Arbeitsmoral zu heben. Bereits Ende August 1940 propagierte Frank für die tschechische „Arbeiterschaft die Teilnahme an den sozialen Errungenschaften des Nationalsozialismus.“ Um den Widerstand der Tschechen gegenüber dem NS-Regime einzudämmen, sollten sich die Repressionen gegenüber der Bevölkerung – nicht wie in Polen, der Ukraine und Russland – in Grenzen halten.
Als Hitler nach dem Attentat auf Heydrich von Frank forderte, 10.000 Tschechen zu erschießen, brachte Frank den Diktator dazu, die Vergeltungsmaßnahme „lediglich“ auf die Auslöschung der Dörfer Lidice und Ležáky zu beschränken. Führende Nationalsozialisten wie Martin Bormann beschimpften Frank daraufhin sogar als „Tschechenfreund“. Frank wehrte sich: Er sei nie der Überzeugung gewesen, „dass durch Milde und sentimentales Entgegenkommen die Tschechen gewonnen werden. Nur wenn sie eine feste Hand spüren, werden sie sich bereitwillig in die neuen Verhältnisse fügen.“ Franks Maxime lautete Zuckerbrot und Peitsche.
Im Februar 1943 forderte Frank die Tschechen nach der Rede Goebbels im Sportpalast auf, sich an dem vom Propagandaminister ausgerufenen „totalen Krieg“ zu beteiligen: „Das Protektorat als Reichsland“ könne „nicht abseits stehen.“ „Wir haben daher die Durchführung genau derselben Maßnahmen in Böhmen und Mähren angeordnet (…) wie im Altreich.“ Frank kündigte an, dass Industrie, Handel und Gewerbe, Handwerk und Gaststätten, soweit sie nicht kriegswichtig seien, stillgelegt werden sollten, um die freiwerdenden Arbeitskräfte besser für die Kriegsproduktion nutzen zu können.
Verhaftet und ausgeliefert
Im August 1943 ernannte Hitler Frank zum „Deutschen Staatsminister für Böhmen und Mähren“. „Frank soll jetzt praktisch das Protektorat regieren. Er ist auch der geeignetste Mann dafür“, kommentierte Goebbels in seinem Tagebuch.
Bis in die letzten Kriegstage hinein bekannte sich Frank rückhaltlos zu Adolf Hitler. An dessen letztem Geburtstag, dem 20. April 1945, schrieb er an seine Beamten: „Der Krieg ist in sein Endstadium eingetreten. Sein oder Nichtsein des deutschen Volkes entscheidet sich in diesen Wochen. Vertrauen und Treue zum Führer sind die Voraussetzungen des Sieges. Es lebe der Führer!“
Nach dessen Selbstmord im Bunker der Reichskanzlei sagte Frank, „für uns ist der Führer nicht tot, weil die Idee weiterlebt! Der dem Führer geleistete Treueeid gilt nunmehr für jeden einzelnen von uns (…) dem vom Führer eingesetzten Nachfolger Großadmiral Dönitz.“
In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai flüchtete Frank mit seiner Familie aus Prag, um sich in amerikanische Gefangenschaft zu begeben. In Rokycany wurde er verhaftet und dann den Tschechen ausgeliefert. Am 22. März 1946 eröffnete das außerordentliche Volksgericht den Prozess. Hauptanklagepunkte waren Franks Befehle zur Auslöschung von Lidice und Ležáky sowie zur Verhaftung und Ermordung tschechischer Studenten im November 1939. Zwei Monate lang tagte das Gericht an sechs Wochentagen. Am 22. Mai 1946 wurde das Todesurteil im Hof des Gefängnisses Pankrác vor 6.000 Schaulustigen vollstreckt.
Der Ankläger Jaroslav Drábek begründete sein Plädoyer für die Todesstrafe mit folgenden Schlussworten: „Im Namen des ganzen tschechoslowakischen Volks, im Namen aller, die durch seine Schuld gelitten haben und gestorben sind, im Namen der Witwen und Mütter von Lidice, im Namen ihrer geraubten Kinder, im Namen aller, deren Leben und Glück er vernichtet hat, fordere ich, dass Karl Hermann Frank schuldig im Sinne der Anklage erklärt wird, und ich verlange für ihn die höchste Strafe, die auf dieser Welt gegen ihn verfügt werden kann, die Todesstrafe“.
„Wie 1938“
30 Jahre PZ