Die Luft einer anderen Welt
Das autonome Sozialzentrum Klinika soll noch in dieser Woche schließen. Dagegen protestieren nicht nur Hausbesetzer
3. 3. 2016 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann; Foto: Petr Zewlakk Vrabec
Sprachkurse, Vorträge, eine anarchistische Buchmesse – das Programm des autonomen Sozialzentrums „Klinika“ im Stadtteil Žižkov ist bereits bis in den Oktober hinein geplant und auf dessen Internetseite veröffentlicht. Dabei könnte schon bald alles vorbei sein. Das Amt für die Vertretung des Staates in Eigentumsfragen (ÚZSVM), das das Gebäude verwaltet, will den Vertrag mit den Hausbesetzern nicht verlängern. Im November 2014 hatten diese das leer stehende Haus übernommen. Im vergangenen März stimmte das Amt schließlich der kostenfreien Nutzung für ein Jahr zu, nachdem hunderte Unterstützer wiederholt für das Sozialzentrum auf die Straße gegangen waren. Auch die Regierung nickte den offiziellen Betrieb der „Klinika“ ab. Vereinbart war, dass nach einem Jahr die Generalinspektion der Sicherheitskräfte (GIBS) die ehemalige Poliklinik übernimmt.
Kampflos geben die Aktivisten ihre „Klinika“ aber nicht auf: Am vergangenen Wochenende zogen hunderte Demonstranten nach einer Kundgebung vor das Rathaus in Žižkov. Zudem sprachen sich 30 prominente Schriftsteller, darunter Jaroslav Rudiš und Jáchym Topol, in einer gemeinsamen Erklärung für den Erhalt aus: Die „Klinika“ sei nicht nur ein Sozial- sondern auch ein Kulturzentrum. Die Zurückhaltung der Behörden, einen weiteren Betrieb zu ermöglichen, sei unverständlich.
Im vergangenen Jahr ist viel passiert in der Jeseniova-Straße 60. Künstler bezogen Ateliers, Familien mit Kindern im Vorschulalter trafen sich in den Räumen der ehemaligen Klinik, feministische Initiativen hielten gut besuchte Vorträge. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Spätsommer konnte man an vielen Abenden beobachten, wie im Umkreis der „Klinika“ Menschen Konserven oder mit Kleidung und Spielzeug gefüllte Plastiktüten aus den Kofferräumen ihrer Autos holten. Die Aktivisten des Sozialzentrums organisierten Spendensammlungen und fuhren zum Teil selbst nach Budapest oder nach Griechenland. Die „Klinika“ wurde zu einem Zentrum der Hilfsbereitschaft. Damit hängt wohl auch der Anschlag einer Gruppe von Vermummten, mutmaßlich aus der Neonazi-Szene, zusammen, der im Februar für Erschütterung sorgte. Brandsätze flogen durch die Fenster der Klinika, in der sich zum Zeitpunkt der Attacke ungefähr 20 Menschen aufhielten. Auch in der Nachbarschaft machten sich die linken Aktivisten nicht nur Freunde. Ungefähr 60 Bürger hätten sich in den vergangenen Monaten über unverhältnismäßigen Lärm und Feuer im Garten des Grundstücks beschwert, gab das Rathaus des dritten Bezirks bekannt. Auch deshalb will das ÚZSVM den Vertrag mit den Betreibern des Zentrums nicht verlängern.
„Die Klinika ist sicher kein Paradies auf Erden, aber sie ist ein Ort, an dem wir die Luft einer anderen Welt atmen können“, sagte eine der Demonstrantinnen bei der Veranstaltung am Samstag.
Dieser Meinung sind auch die Schriftsteller: „Ein Ende der Klinika würde einen bedeutenden Eingriff in das Leben einer nicht gerade kleinen Gruppe von Menschen bedeuten. Einen Eingriff, den man nur schwer vergessen würde. Vor allem wäre ein Ende der Klinika ein schlechtes Zeichen für unsere Demokratie.“ Das letzte Wort scheint in der Sache noch nicht gefallen zu sein – auch wenn Klinika-Mitarbeiter Jakub Ort davon spricht, das ÚZSVM habe schon „den Stock über dem Zentrum gebrochen“. Auf seiner Internetseite erklärt das Amt, es würde sich weiteren Verhandlungen nicht verwehren, gehe aber von einer baldigen Übergabe des Gebäudes aus.
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