Die Lust am Piraten-Dasein

Die Lust am Piraten-Dasein

Bei den letzten Parlamentswahlen ist seine Piraten-Partei durchgefallen. Doch davon lässt sich Ivan Bartoš, 33 Jahre, nicht unterkriegen. Die Zeit der Piraten komme erst noch

15. 1. 2014 - Text: Christian RühmkorfText: Christian Rühmkorf; Foto: pirati.cz

„Die Parlamentswahlen 2014? Ich hoffe, wir haben dann unseren ersten Abgeordneten im Parlament. Und mit ein bisschen Rückenwind könnten wir ja vielleicht sogar viertstärkste Partei werden“, orakelt Ivan Bartoš. Es ist Februar 2012. Ivan Bartoš sitzt in der Prager Lucerna-Bar, Dreadlocks, dunkler Anzug, goldene Krawatte. Er hat gerade erfolgreich die Prüfung für seinen zweiten Doktortitel abgelegt. Auch die Piraten-Partei ist damals im Aufwind – international. Der umstrittene ACTA-Vertrag über Urheberrechte, den die EU-Staaten drauf und dran sind abzusegnen, katapultiert die Piraten-Partei auch in Tschechien in die Schlagzeilen. Mitgliederzahlen, Facebook-Likes, Kontostände – alles steigt bei den Piraten. Transparent, für jeden einsehbar im Internet. Und Piraten-Chef Ivan Bartoš ist damals ein begehrter Gast in Radio und Fernsehen. Ein bisschen wild im Aussehen, ein bisschen nonkonform und doch kompetent und souverän, so erscheint der Rastaman vor der Kamera. Keine Frage – Ivan Bartoš und die Piraten waren auf Erfolgskurs.

Doch dann kam alles anders. Ein Polit-Skandal ohnegleichen erschüttert das Land und fegt Premier Nečas und seine bürgerliche Mannschaft 2013 von der Regierungsbank. Die Wahlen zum Abgeordnetenhaus werden auf Oktober 2013 vorgezogen. Eine Chance für die Piraten, von der allgemeinen Unzufriedenheit zu profitieren. Aber Tschechien ist ein unsicheres politisches Pflaster. Das Rennen macht die Newcomer-Partei ANO des Unternehmers und Milliardärs Andrej Babiš, die auf Anhieb nach den Sozialdemokraten zweitstärkste politische Kraft wird. „Mit ausreichend Kohle oder einer ausgefeilten Rhetorik kann man hier ordentlich Prozente einfahren“, lächelt Ivan Bartoš den Erfolg der politischen Konkurrenz weg. Die Piraten bleiben mit 2,66 Prozent weit hinter den eigenen Erwartungen zurück.

Ein Nerd ist was anderes
Aber gerade in diesem Misserfolg zeigt sich der Polit-Profi Ivan Bartoš. „Im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2010 haben wir unsere Wählerschaft um 200 Prozent vergrößern können.“ 200 Prozent. „Und das, obwohl wir im Verhältnis zum Stimmenanteil die billigste Wahlkampagne von allen geführt haben.“ Die Piraten haben gut daran getan, Ivan Bartoš im Jahr 2009, als die Partei aus der Taufe gehoben wurde, zu ihrem Chef zu ernennen. Er kann sich auf jedem Parkett bewegen, ist schnell im Kopf und um Antworten nicht verlegen. Mit seiner rauen Stimme und dem bohrenden Blick legt sich Ivan Bartoš bei jedem Thema energisch in die Riemen. In manchen Internetforen kommt er allerdings weniger gut weg. „Hochnäsig“, „besserwisserisch“, „nervig“ – auch das schreibt man über ihn.

Ivan Bartoš kommt 1980 im nordböhmischen Jablonec nad Nisou zur Welt. Er stammt aus einer unpolitischen Familie, sagt er. Mutter Lehrerin, Vater im Bankensektor, die ältere Schwester eine erfolgreiche Wissenschaftlerin im Bereich Biogenetik. Ivan selbst liebt schon damals Bücher und Musik. Früh lernt er Akkordeon. Sein Schifferklavier kommt heute bei vielen Piratenversammlungen wirksam zum Einsatz und begleitet seinen leidenschaftlichen Gesang. Leidenschaftlich singt er auch in einer Punkband im früheren Prager Arbeiterviertel Žižkov und legt als DJ Psychedelic Trance-Musik auf. Er sei kein weltvergessener Nerd, der sich nur für seine Freiheit im Internet interessiere. Er spiele auch keine Computerspiele. „Die Hälfte der Sachen, die meine Parteikollegen auf dem Computer können, verstehe ich nicht einmal“, kokettiert er ein wenig mit seiner Bodenständigkeit. Nein, Ivan Bartoš ist kein Nerd. Er steht gern auf Bühnen jeglicher Art.

Pirat seiner Zeit
Schon auf dem Gymnasium beginnt er, sich mit Datenbanken zu beschäftigen und merkt, dass man damit nebenbei auch Geld verdienen kann. Bei der Wahl seines Studiums scheint er viele seiner Talente unter einen Hut gebracht zu haben. Das Informatikstudium am Institut für Bibliotheks- und Informationswesen der Karls-Universität in Prag schließt er 2005 mit Promotion zum Dr. phil. ab. Heute arbeitet er als Systemarchitekt bei einem großen Mobilfunkanbieter.

Was will einer wie Ivan Bartoš eigentlich in der Politik? Jede Reinigungskraft genießt in Tschechien ein höheres Ansehen als ein Politiker. „Klar, ich bin gut ausgebildet, habe kein Problem, Arbeit zu finden. Ich könnte ein angenehmes Leben führen jenseits von tschechischer Politik und Themen wie Steuerbelastung, Medienfreiheit oder Freiheit im Internet. Aber…“ – und da kommt er wieder zum Vorschein, der Polit-Profi Ivan Bartoš – „… ich möchte etwas zum Besseren verändern“. Das sei kein Helfersyndrom, sondern das schlichte Bedürfnis nach einer besseren Gesellschaft, sagt er. Sonst würde er nicht schon im fünften Jahr seine freie Zeit mit Politik verbringen. „Jede Zeit hat ihre Piraten. Und wenn wir es nicht sind, dann macht es jemand anderes.“ Und Ivan Bartoš hat ganz offensichtlich große Lust darauf, der Chef-Pirat seiner Zeit zu sein.

Politiker genießen in Tschechien weniger Ansehen als Putzfrauen – zumindest behaupten das Meinungsforscher. Die Parteien wiederum beklagen einen eklatanten Mangel an Nachwuchs. Doch es gibt sie, die Jungen, die Hoffnungsträger der tschechischen Politik. Die „Prager Zeitung“ stellt sie vor – in einer Porträtreihe, die in Zusammenarbeit mit „jádu“, dem jungen Online-Magazin des Goethe-Instituts Prag, entsteht.