Die Merkmale des Schweinchens
Sexistische Werbung blüht auf Tschechiens Straßen und im Netz. Ein Brünner Verein prämiert die schlimmsten Beispiele und muss dabei viele Missverständnisse ausräumen
17. 7. 2013 - Text: Nancy WaldmannText: Nancy Waldmann; Foto: Nesehnutí
Eine fast nackte Frau, oberhalb der Nase und ab den Knie abgeschnitten, die großen Brüste herangezoomt, ein Schraubstock in der Hand, daneben der Satz: „Wir besorgen es Ihnen – schnell, billig, professionell.“ Die Firma Avos baut Häuser und wirbt so auf einem Billboard nahe der Stadt Příbor. „Genieße Deinen ersten Bankverkehr!“ fordert die Komerční banka und illustriert dies mit der lasziven Miene einer Frau, Mund geöffnet, Lippen prall, Augen geschlossen. Aktuell in Ostrava zu sehen: ein nackter, trainierter Mann, der sich auf dem Bett räkelt, leicht bedeckt mit roter Satinbettwäsche. Der Slogan dazu: „Der letzte Tropfen geht ins Textil!“. So macht das Einrichtungshaus „Záclony & Design” mit Sitz in Vsetín für sich Werbung.
Alltag auf Tschechiens Straßen. Und in den Köpfen. Oder doch nicht?
Zehntausend stimmen ab
Avos und Komerční banka wurden 2011 prämiert als „Sexistické prasátečko“, als „Sexistisches Schweinchen“. 1.575 Stimmen erhielt die Schraubstock-Frau, 1.119 die Bankwerbung, erwählt aus 91 Beiträgen, nominiert in drei Kategorien für den Anti-Preis, den die Brünner Menschenrechtsorganisation „Nesehnutí“ für sexistische Werbung vergibt. Das Einrichtungshaus ist für den diesjährigen Wettbewerb nominiert. Seit fünf Jahren wird der Preis ausgelobt, die Resonanz ist stetig gewachsen. Zehntausende User haben in den letzten zwei Jahren auf dem Nachrichtenportal „aktualne.cz“ über die sexistischste Werbung abgestimmt. Ein Zeichen dafür, dass immer mehr Menschen diese Sorte Werbung, zwischen despektierlich, dumm und demütigend, vor den Kopf stößt.
„Die Werbung ist sicherlich nicht weniger sexistisch geworden durch unseren Preis“, sagt die Organisatorin des Wettbewerbs Petra Havlíková von „Nesehnutí“. „Aber die Leute nehmen es mehr wahr, äußern sich und bilden sich so ihre Meinung zur Ethik von Werbung.“
Die drei Beispiele zeigen das breite Spektrum von Sexismus. Nicht nur in einem klassischerweise männlich konnotierten Bereich wie der Baubranche geht man mithilfe stereotyp sexualisierter Weiblichkeit auf Kundenfang. Selbst eine Bank, von der man meinen sollte, dass gleichermaßen Männer und Frauen ihre Kunden sind, setzt auf weibliche Sexobjekte. Und das dritte Beispiel zeigt, dass auch Männer zu Sexobjekten degradiert werden können. Letztendlich sind von sexistischer Werbung immer alle Geschlechter betroffen. Dem stereotypen Werbemotiv steht ein auf stereotype Rollenmuster festgelegter Adressat gegenüber: Der Mann als Bauherr und Handwerker, die Frau als um die reinliche Wäsche besorgte Hausfrau.
Häschen und Jäger
„Jeden stört etwas anderes an sexistischer Werbung“, sagt Petra Havlíková. „Die einen finden stereotype Darstellungen von Männern und Frauen unpassend, andere stört es, wenn halbnackte Menschen ohne Bezug zum Produkt dargestellt werden, wieder andere stören sich schlicht an dummer Werbung.“ Die Reaktionen der Preisträger sind unterschiedlich. Manche freuen sich auch über die Auszeichnung und behaupten, kein Problem zu sehen, wie der Holzunternehmer Luboš Palata. Das sei ein weiterer Werbekanal für seine Firma, sagte er gegenüber der Wochenzeitung „Respekt“. Diejenigen, die Fehler einsehen, sagen das nicht laut. Manche nehmen im Stillen ihre Billboards ab, andere bekennen sich gar nicht mehr zu ihrer Werbung.
Nicht nur kommerziell denkende Akteure bedienen sich sexistischer Werbestrategien. Unter den in diesem Jahr für das „Sexistische Schweinchen“ Nominierten sind auch Werbevideos der Radfahrer-Bewegung „Auto*mat“ oder der Fakultät für Forstwissenschaft und Holzbau der Mendel-Universität Brünn. Ein solches haben Studenten gemacht, um ihre Fakultät zu bewerben. Männer mit entblößtem durchtrainierten Oberkörper, mit Kettensäge oder Gewehr in der Hand, wahlweise Waldarbeiter oder Jäger imitierend. Auf der verdunkelten Bühne werden sie aufreizend umworben von Frauen, mal unterwürfig in pinken Hasenkostümdessous, mal dirigierend als sexy Domina, mal als verführerische Eva mit rotem Apfel. Man kann den Eindruck gewinnen, um Forstwissenschaft in Brünn zu studieren, müsse man Modelmaße haben, heterosexuell und sehr potent sein.
Sexistisch nicht sexfeindlich
Die User auf YouTube aber sind begeistert. „Toller Einfall!“, „Eine echte Bombe!“ lauten zahlreiche begeisterte Kommentare zum Video. Manche sind auch angesäuert: „Können da auch Mädchen studieren, die nur klug, aber nicht käuflich sind?“
Sexismuskritiker gelten oft als Spaßverderber. Petra Havlíková muss häufig das Missverständnis ausräumen, dass die Verleihung des „Sexistischen Schweinchens“ ein Kampf gegen Nacktheit und Sexualität sei. Wo verläuft die Grenze zwischen sexy Werbung und sexistischer Werbung?
„Eine klare Grenze gibt es nicht“, sagt Havlíková. Jede Werbung sei kontextgebunden. „Unser Ziel ist es nicht, Sexualität aus der Werbung zu verbannen. Ein Problem gibt es erst dann, wenn sie ohne Bezug zum beworbenen Produkt dargestellt wird. Um für Badekleidung zu werben, ist es absolut in Ordnung, Menschen im Badeanzug zu fotografieren.“ Sexistisch sei es aber, wenn die Person erniedrigend oder stark sexualisiert abgebildet werde. Das könne dann mit einem zweideutigen Slogan versehen werden, erklärt Havlíková. „Solche Werbung basiert auf einem Machtgefälle.“
Die Aktivisten von „Nesehnutí“ müssen das gebetsmühlenartig wiederholen, wenn sie die eingesandten Beiträge für den Wettbewerb prüfen. Nicht jede Nacktwerbung ist sexistisch und nicht in jeder sexistischen Werbung kommen nackte Körper vor. Bald wollen sie ein Handbuch mit den Kriterien für sexistische Werbung herausgeben. Man hätte gern mehr Beiträge, die Männer und Frauen in stereotypen Rollen zeigen. Havlíkovás Favorit im diesjährigen Wettbewerb: ein Foto, das eine Frau mit langen blonden Haaren auf der Toilette sitzend aus der Vogelperspektive zeigt. Der Text dazu: „Beobachten Sie Ihr Objekt – überall.“ Die Firma D-Link bewirbt damit ihre Überwachungskameras. „So etwas entfesselt auch noch Phänomene wie Stalking und häusliche Gewalt“, sagt Havlíková . Wenn ein Vorschlag die Kriterien nicht erfüllt, schreiben sie dem Einsender, warum das so ist.
Die Verleihung des „Sexistischen Schweinchens“ ist nicht nur ein Pranger, sondern auch – mühsame – politische Bildung. Andere Mittel gibt es nicht. Die Rügen, die der Werberat wegen unethischer, auch sexistischer Werbung austeilt, haben nur empfehlenden Charakter. Justiziabel ist Sexismus in Tschechien bislang nicht. Das Gesetz über die Regulierung von Werbung wurde laut Havlíková in solchen Fällen nie angewendet. „Nesehnutí“ stellt aber nicht nur an den Pranger, sondern veranstaltet auch Workshops. Dabei gestalten die Teilnehmer schäbige sexistische Werbeplakate in witzige und sinnvolle um. Sexismuskritik kann auch konstruktiv sein.
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