Die Müdigkeit des Fürsten

Die Müdigkeit des Fürsten

Die Parteienpolitik in Tschechien ist schnelllebig. Nach einem furiosen Aufstieg kommt jetzt Schwarzenbergs TOP 09 unter die Räder

29. 10. 2014 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: EVP

Sie haben das Erfolgsrezept der letzten fünf Jahre aufgebrüht: poppiges Plakatdesign, kernig konservative Slogans, das Konterfei von Fürst Schwarzenberg mit Pfeife und nonchalantem Lächeln als Markenzeichen. Bisher hat das gezogen bei den Wählern, eigentlich hätte nichts schiefgehen dürfen für die TOP 09. Eigentlich. Denn bei den Kommunalwahlen vor drei Wochen musste die Schwarzenberg-Partei ihre bislang größte Niederlage hinnehmen. Die Partei verlor mehr als 700 Sitze in den Rathäusern, landete weit abgeschlagen hinter der Konkurrenz rechts der Mitte, hinter den Christdemokraten; sogar die krisengeschüttelte ODS hat in den Kommunen besser abgeschnitten.

„Im Leben kann man nicht nur gewinnen“, ließ ein zerknirschter Parteivize Miroslav Kalousek danach von sich hören. Kommentatoren und Politologen sehen das ähnlich, sprechen vom Anfang vom Ende der konservativen Senkrechtstarter. Die Schlagzeilen der letzten Wochen geben ihnen Recht: In Prag verschwinden Noch-Oberbürgermeister Tomáš Hudeček samt dem Vorsitzenden des Prager Regionalverbandes Jiří Vávra von der Bildfläche – nach einem allzu öffentlich geführten, internen Schlagabtausch. Und dann gleich die nächste Wahlschlappe hinterher: Bei den Senatswahlen konnte sich kein einziger Kandidat der TOP 09 durchsetzen. Wo aber liegen die Gründe für den plötzlichen Sturzflug der Rot-Blauen?

„Die TOP 09 stand immer auf drei Säulen“, erklärt Petr Honzejk, Kommentator der Tageszeitung „Hospodářské noviny“ im Tschechischen Fernsehen. Da sei erstens der Mythos Karel Schwarzenberg, zweitens die Beliebtheit der einstigen Verbündeten aus der Bürgermeisterpartei STAN in den Kommunen und drittens „das Hirn von Miroslav Kalousek“.

Der umstrittene Politikmatador und Hitzkopf, der schon mal volltrunken in den Abendnachrichten auftritt oder vorlaute Jugendliche auf offener Straße ohrfeigt, gilt als Mastermind hinter der liberal-konservativen Erfolgsgeschichte.

Nach seinem unehrenhaften Ausscheiden aus der KDU-ČSL gründet er 2009 gemeinsam mit Karel Schwarzenberg die TOP 09 – und startet voll durch. Aus dem Stand wird die Partei drittstärkste Kraft im Parlament und landet in der Regierung. Einen großen Anteil daran haben neben dem Neuigkeitswert die Pop-Qualitäten des Parteivorsitzenden, den viele nur „Fürst“ oder „Karel“ nennen. Ein Sitzkissenhersteller entwirft zusammen mit dem Künstler und Fürstenfreund David Černý ein Kissen mit dem Konterfei des notorischen Müden: „Wir schlafen mit Karel“, lautete das werbewirksame Motto.

Schwarzenberg zehrt von seinem Image als Unbestechlicher, Weggefährte Havels und als Mann von Welt. Den Höhepunkt seiner bisherigen Politkarriere erreicht er bei der ersten direkten Präsidentschaftswahl. Überraschend schafft es Schwarzenberg mit Miloš Zeman in die Stichwahl und mobilisiert vor allem Junge und Akademiker zu in Tschechien nie dagewesener, politischer Eigeninitiative. Seit der knappen Niederlage Anfang 2013 ist es ruhig geworden um den 76-Jährigen.

Rücktritt möglich
Die Kampagne bei den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst, bei der der Fürst als „Agent 009 im Dienste der Republik“ auftrat, war ein Flop. Dem Fürsten gehen die Kräfte aus, heißt es seit Monaten in den Zeitungskommentaren. Im Umfeld der TOP 09 wird abseits der Mikrofone heftig über die Zeit nach Schwarzenberg diskutiert, der Vorsitzende tritt kaum noch öffentlich in Erscheinung. Nach der neuerlichen Wahlschlappe räumte er nun zum ersten Mal einen möglichen Rücktritt von der Parteispitze ein: „Das entscheiden unsere Mitglieder beim nächsten Parteitag. Danach werde ich mich selbstverständlich richten.“

Die Schwesterpartei der Bürgermeister und Unabhängigen (Starostové a nezávislí, STAN), laut Kommentator Honzejk die zweite Säule des Erfolgs von TOP 09, distanziert sich zunehmend von ihren Verbündeten. Während sie bei den Parlamentswahlen 2013 noch zusammen antraten und immerhin als stärkste konservative Kraft und Oppositionspartei aus den Neuwahlen hervorgingen, erkannte STAN bereits vor den Kommunalwahlen, dass die Schwarzenberg-Partei ins Straucheln geraten war. TOP 09 hatte sich zu sehr als Bewahrer demokratischer Werte und eines pro-europäischen Tschechiens profiliert. Kommunalpolitisch hatten sie kaum etwas zu bieten. „Auf kommunaler Ebene geht es nicht um Ideologie, sondern um sanierte Bürgersteige“, sagte hingegen ANO-Chef Andrej Babiš, der große Gewinner der Wahlen.

Nachdem STAN für das Abnabeln von der Schwesterpartei in den Kommunalwahlen belohnt wurde – im Gegensatz zur TOP 09 konnte man knapp 700 Gemeindevertreter hinzugewinnen – kündigte Vize-Parteichef Petr Gazdík an, auch in den Regionalwahlen 2016 allein anzutreten.

Karel Schwarzenberg hatte noch am Abend der Niederlage in den Senatswahlen Reformen in der Partei versprochen. Wie diese aussehen werden, darüber soll auf dem kommenden Parteitag entschieden werden – und über die Parteiführung. Ein Schwarzenberg-Nachfolger aber ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Prominente Gesichter wie der ehemalige Gouverneur der Nationalbank Zdeněk Tůma verlassen das sinkende Schiff. Bleibt nur noch Kalousek. Aber gerade dessen Agieren im Hintergrund mit Schwarzenberg als Aushängeschild gilt als weiterer Erfolgsfaktor der Partei. Denn der Ex-Finanzminister ist einer der unpopulärsten Politiker überhaupt – aber auch jemand, der bislang selbst aus den größten Krisen letztendlich als Gewinner hervorging.