„Die Skepsis gegenüber Muslimen ist beträchtlich“

„Die Skepsis gegenüber Muslimen ist beträchtlich“

Fatima Rahimi verbrachte einen Teil ihrer Kindheit in Afghanistan. Seit ihrem achten Lebensjahr lebt sie in Tschechien. Als Journalistin schreibt sie gegen die wachsende Fremdenfeindlichkeit an

8. 12. 2016 - Text: Stefan Welzel

Entspannt sitzt Fatima Rahimi neben Experten aus ganz Europa. Im Sitzungssaal des tschechischen Außenministeriums schildert sie ihren Standpunkt zur Flüchtlingskrise. Sie wirkt abgeklärt und routiniert, dabei ist Rahimi gerade einmal 24 Jahre alt. Die Journalistin der linksliberalen Internet-Zeitung „Deník Referendum“ fällt auf neben den Doktoranden und tschechischen Fernsehredakteuren. Rahimi ist gebürtige Afghanin und Muslima, ehemaliges Flüchtlingskind und Immigrantin. Und außerdem eine engagierte Journalistin, die sich mit Artikeln zu Migration, Religion und Emanzipation einen Namen gemacht hat.

Knapp zwei Monate nach der Diskussion im Außenministerium sitzt Rahimi im Café Nona in der Neuen Bühne des Nationaltheaters. Einen Termin mit ihr zu vereinbaren, ist nicht so einfach. Sie studiert unter anderem Geschichte, Kulturwissenschaften und Persisch (Fārsī), bekommt viele Interview-Anfragen und reist nebenbei durch die halbe Welt – privat, aber auch um für ihre Artikel zu recherchieren. Ihr Terminkalender ist so gut wie voll, Freizeit hat sie kaum. Gerade kommt sie von einem zweiwöchigen Trip aus dem Iran und Bosnien zurück. Ihre Stimme hört sich nach einer Grippe heiser an. Der Stress der vergangenen Wochen hat Rahimi viel Energie gekostet.

Warum Iran und nicht die alte Heimat? „Das wäre einfach zu gefährlich“, erklärt Rahimi. Zudem fühlt sie sich seit ihrer Kindheit mit der persischen Kultur verbunden. Ihr Vater war Fārsī-Lehrer im westafghanischen Herat nahe der iranischen Grenze. Als die Taliban in den neunziger Jahren immer größere Gebiete und bald auch den Westen des Landes beherrschten, brachen für die junge Familie schwere Zeiten an. Der Vater unterrichtete auch Mädchen und widersetzte sich damit einem Verbot der radikalen Islamisten. Als das aufflog, musste die Familie die Flucht antreten. Ein konkretes Ziel hatte sie nicht – aber sie wollte nach Westeuropa. Der Weg führte bis an die deutsch-tschechische Grenze. Da man die Schlepper dort nicht weiter bezahlen konnte, blieben die Rahimis in Tschechien. Das alles geschah um die Jahrtausendwende und Fatima war damals sieben Jahre alt.

Platte Vorurteile
„Als ich dann in Tschechien eingeschult wurde und den Leuten erzählte, ich käme aus Afghanistan, wusste niemand, wo das überhaupt liegt“, erinnert sie sich. Mit den Anschlägen vom 11. September änderte sich das jedoch schlagartig.
Ab diesem Zeitpunkt kämpfte die Familie mit den gängigen Vorurteilen. Plötzlich war die kleine Fatima die Terroristentochter. „Meine Schulkameraden machten Witze, mein Onkel sei bestimmt Osama bin Laden.“ Zuvor war sie für manche einfach eine „Zigeunerin“. Das Mädchen verstand zwar nicht, was das genau bedeutete. Aber sie begriff schnell, dass das keine Freundschaftsbekundungen waren.

Auf dem Gymnasium im mährischen Šumperk wurde es dann besser. Sie bekam gute Noten, fühlte sich akzeptiert und integriert. Später zog die Familie nach Prag. Der Vater arbeitet inzwischen als Pfleger, die Mutter ist Chefköchin in einem afghanischen Restaurant – das Leben sei gut in Tschechien, sagt Rahimi. Als afghanische Immi-grantin war, ist und bleibt sie aber eine Exotin in einem Land, in dem nur vier Prozent Ausländer leben und die muslimische Gemeinde ein paar wenige tausend Mitglieder zählt.

Oft hört Rahimi, wie gut es wäre, wenn alle Migranten so wären wie sie und was für eine Ausnahme sie doch sei. Was der zierlichen Frau mit den langen dunklen Haaren schmeicheln sollte, nennt Rahimi versteckten Rassismus und spornt sie in ihrer Arbeit nur noch mehr an. „In einem Land, in dem die Angst vor Fremden derart groß ist, obwohl es kaum Zuwanderung gibt, sind Stimmen der Vernunft besonders wichtig“, sagt sie.

Übertriebene Ängste
Erst recht seit der verschärften Flüchtlingskrise, die Europa seit anderthalb Jahren beschäftigt wie kein anderes Thema. Seither hat sich einiges geändert für die junge Frau aus Herat. Laut Umfragen wollen rund 70 Prozent der Tschechen gar keine oder nur wenige Flüchtlinge aufnehmen. Das Misstrauen gegenüber Flüchtlingen, besonders aus dem islamischen Kultur­kreis, ist beträchtlich. „Obwohl doch praktisch keine hier sind. Der Durchschnittsbürger kennt gar keinen Muslim, keinen einzigen“, betont Rahimi. Der weitverbreitete latente Rassismus habe ihrer Ansicht nach viele Gründe. Einer davon sei die völlig übertriebene Angst vor wirtschaftlichem und sozialem Abstieg. Fehlendes Wissen über Muslime ein weiterer. „Viele Tschechen verstehen anscheinend nicht, dass die muslimische Gemeinschaft äußerst heterogen ist. Es gibt nicht einfach die Muslime“, so Rahimi.  Terroristische Extremisten stellten nur einen „extrem kleinen Teil“ der Muslime dar, und trotzdem prägten sie das allgemeine Bild von ihnen. „Außerdem werden Flüchtlinge nicht als Individuen betrachtet und somit entpersonifiziert und dämonisiert“, meint Rahimi.

Der fremdenfeindlichen Stimmung in Tschechien will sie mit ihrer Arbeit entgegenwirken. Ihre Beiträge behandeln Fragen zur Migration nach Europa, stellen muslimische Gemeinden in Bosnien oder die kleine Diaspora in Prag vor. Dabei hebt sie konkrete Schicksale und die „schönen Geschichten“ des multi­kulturellen Zusammenlebens hervor. „Konstruktiver Journalismus“ nennt man das in Fachkreisen. Der fehle hier in Tschechien. Rahimi verfasst aber auch Artikel zur Gleichstellung der Geschlechter, schreibt Kulturreportagen und Kommentare zu politischen Themen.

Weltoffen und optimistisch
„In den hiesigen Medien werden Flüchtlinge oft als bedrohliche Masse inszeniert. Eine objektive und emphatische Herangehensweise gibt es nur ganz selten.“ Von einem „Kampf der Kulturen“ möchte Rahimi allerdings nicht sprechen. Das sei ein überzeichnetes Horrorbild, das nur den Rechtspopulisten Vorschub leiste. Nur wenige tschechische Medien würden konstruktiven Journalismus betreiben. Rahimi will weiterhin dafür eintreten – aber auch immer wieder den Finger in die Wunden einer xenophoben Gesellschaft legen. Die Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus. Während im direkten Gespräch so gut wie nie negative Bemerkungen fallen, sei bei den Leser-Kommentaren das Gegenteil der Fall. „Durch die Anonymität trauen sich viele, ihre Meinung ehrlich kundzutun,“ so Rahimi. Dabei lese sie immer wieder, dass es ihr als Immigrantin nicht zustünde, schlecht über ihr Gastland zu schreiben. „Im Prinzip erwarten viele Leute, dass ich nur nett über Tschechien berichte. Aber das kann ich nicht. Das entspricht nicht dem Beruf, den ich ausübe.“

Ursprünglich sah sich Rahimi gar nicht im Journalismus. Als Kind träumte sie davon, Ärztin zu werden. „Ich wollte immer schon Menschen helfen.“ Das tut sie nun auch – zumindest indirekt. Als Journalistin könne sie ihre Mitbürger erreichen, ihnen ein differenziertes Bild näherbringen. Deshalb kann sich die angehende Historikerin auch gut vorstellen, in diesem Beruf zu bleiben. Bisher sei es ja im Prinzip ein Nebenjob während des Studiums. Vollzeit könne sie das gar nicht machen.

Rahimis weltoffene und optimistische Art ist ansteckend. Man glaubt ihr sofort, wenn sie sagt, dass sie sich in Prag sehr wohl fühle. Im Gegensatz zum Rest des Landes versprühe die Stadt einen Hauch Internationalität. Viele Menschen begegnen ihr hier mit Interesse. „Außerhalb von Prag ist die Skepsis gegenüber einer Muslimin aus Afghanistan aber wesentlich größer“, sagt sie ohne jegliche Verbitterung. Allmählich scheint Rahimis Stimme ganz zu versagen. Der Blick auf die Uhr verrät ihr zudem, dass sie langsam gehen muss. Das Studium ruft.