Die Verklärung der Grausamkeit
Das Jüdische Museum erzählt mit „Wahrheit und Lüge“ die Geschichte zweier nationalsozialistischer Propagandafilme
4. 9. 2013 - Text: Christian Müller-BreitenkampText: Christian Müller-Breitenkamp; Foto: Filmoteka Narodowa Warszawa
Egal mit welchem Themenkomplex rund um den Nationalsozialismus man sich beschäftigt, immer wieder stellt man sich dieselbe Frage: „Wie war so etwas möglich?“ Wenn es um konkrete Zahlen geht, ist das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte noch schwieriger zu greifen: 60 Millionen Tote forderte der Zweite Weltkrieg. Dazu gehören sechs Millionen Juden, die in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches ihr Leben ließen. Wie diese pervertierte, industrielle Mordmaschinerie vor allem für die deutschen Befehlsempfänger und den nationalsozialistischen Mittelbau dargestellt wurde, soll nun eine Ausstellung zu zwei Propagandafilmen aufzeigen. Deren Inhalt und Entstehungsgeschichte sind im Jüdischen Museum in Prag zu sehen.
„Wahrheit und Lüge“ in der Robert-Guttmann-Galerie verdeutlicht in besonders krasser Form, wie die Nazis versuchten, den Lageralltag zu beschönigen. Die absurden Machwerke entstanden zwischen 1942 und 1945 im Konzentrationslager in Theresienstadt. Sie geben einen Eindruck von der dramaturgischen Inszenierung und Verklärung kaum vorstellbarer Menschenverachtung und Brutalität; zeigen sie das Lager doch als Erholungs- und Urlaubsort für die internierten Juden. Man sieht lachende Gesichter, fröhliche Musik und hört einen Sprecher, der amüsiert von Spielplätzen für Kinder, Theatervorführungen, Arbeitsmöglichkeiten und Cafés auf dem KZ-Gelände spricht. Wüsste man nicht, was wirklich passiert ist – aufgrund der Bilder würde man es niemals auch nur ansatzweise erahnen.
Zynisches Zerrbild
Die Ausstellung veranschaulicht, wie wichtig Filme und die Macht der Bilder für die Kontrolle der öffentlichen Meinung und letztlich auch für die Legitimation des politischen Systems in Deutschland und den besetzten Gebieten waren. Die beiden Filme waren nie für die Öffentlichkeit, sondern immer nur für parteiinterne Zwecke vorgesehen und gaben vor, die Lebensverhältnisse der in Theresienstadt Inhaftierten abzubilden.
Nebst der Rezension jener Primärquellen kann sich der Besucher an Informationstischen mit ausziehbaren Ansichtstafeln über verschiedene Protagonisten informieren, die an der Herstellung der Filme beteiligt waren. So wird das Wirken des verantwortlichen Kameramanns und SS-Hauptsturmführers Olaf Sigismund ebenso wie jenes der Insassen Irena Dodalová oder František Petr Kien beschrieben. Dodalová wurde 1942 nach Theresienstadt gebracht, wo sie an der Produktion und am Schnitt des Filmes mitarbeiten musste. Dabei gelang es ihr, heimlich einige Sequenzen herauszuschneiden und im Lager zu verstecken, von wo sie auf verschlungen Pfaden in die Schweiz gelangten. František Kien, der ab Ende 1941 im KZ interniert war, musste ab 1942 das Drehbuch für den Film mitschreiben und assistierte Irena Dodalová bei ihren Arbeiten. 1944 wurde er mit seinen Angehörigen nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Es sind diese als Kontrastpunkt gesetzten Einzelschicksale, welche die Filme und ihr schrecklich zynisches Zerrbild der grausamen Realität noch absurder erscheinen lassen. Dass man den Lagerinsassen auch noch die Aufgabe übertrug, an den Propagandafilmen mitzuwirken, die als Scheindokumentationen ein glückliches Bild einer Umgebung vermittelte, in der sie auf den Tod warteten, verdeutlicht das Ausmaß perfider Menschenverachtung.
Auch wenn die Fakten rund um Nazideutschland und mit ihnen die kritische Historiographie längst zum Allgemeinwissen westlicher Gesellschaften gehörten: „Wahrheit und Lüge“ ist eine äußerst interessante und beeindruckende Ausstellung, die man sich unbedingt anschauen sollte.
Wahrheit und Lüge. Filmen im Ghetto Theresienstadt 1942–1945, Jüdisches Museum Prag (U Staré školy 3, Prag 1), geöffnet: täglich außer samstags 9–18 Uhr (bis 25. Oktober), 9–16.30 Uhr (ab 27. Oktober), Eintritt: 40 CZK (ermäßigt 20 CZK)
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