Premier ohne Vertrauen
Präsident Zeman geht seinen eigenen Weg und ernennt den ehemaligen Finanzminister Jiří Rusnok zum Regierungschef. Doch die Zustimmung des Parlaments bleibt der Expertenregierung versagt
26. 6. 2013 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt; Foto: čtk
Miloš Zeman steht gern im Rampenlicht. Seit dem Rücktritt des ehemaligen Regierungschefs Petr Nečas (ODS) wusste der tschechische Staatspräsident, dass nun seine Stunde gekommen war. Denn ihm oblag es, zu entscheiden, wer die neue Regierung führen soll. Mit Hang zur Selbstinszenierung zitierte er die Vorsitzenden der Parlamentsparteien zu seinem Sommersitz. Auf Schloss Lány sollten die Vorsitzenden ihren Standpunkt zur politischen Situation darlegen. Dass die Regierungsparteien sich eine Fortführung der Koalition wünschten und für die Opposition nur vorgezogene Neuwahlen in Frage kam, stand dabei schon vorher fest. Ebenso die Entscheidung des Präsidenten, war sich die von der ODS nominierte Kandidatin Miroslava Němcová sicher.
Einen Tag nachdem die Parlamentspräsidentin dem Staatsoberhaupt gemeinsam mit ihrem Parteivorsitzenden Martin Kuba einen Besuch abstattete, ließ Zeman in einem Radiointerview erstmals öffentlich seine Absichten erkennen, die er am Folgetag bekräftigte. Er halte die Ernennung einer Expertenregierung für die geeignetste Option, um die Regierungskrise zu überwinden. Auf den durchaus geschickten Schachzug der Bürgerdemokraten, die beim Volk beliebte und nie in einen Skandal verwickelte Němcová in das Amt des Regierungschefs zu bringen, schien Zeman überhaupt nicht einzugehen. Auch der letzte Versuch der Koalition, dem Präsidenten kurz vor seiner offiziellen Bekanntgabe am Dienstagnachmittag eine Liste mit den Unterschriften von 101 Abgeordneten vorzulegen und ihn dadurch zu überzeugen, dass eine neue Regierung unter Němcová eine parlamentarische Mehrheit hinter sich weiß, scheiterte. Zeman präsentierte stattdessen seinen eigenen Kandidaten, der nun innerhalb von 14 Tagen eine Expertenregierung zusammenstellen soll. Sein Name: Jiří Rusnok.
Der 52-Jährige gilt als enger Weggefährte Zemans und ausgewiesener Wirtschaftsexperte. Zwischen 2001 und 2003 leitete er zunächst das tschechische Finanz-, später das Wirtschaftsministerium. Es war Zeman, damals noch Premierminister, der ihn in das Kabinett holte. Die Geschichte wiederholt sich – wenn auch unter anderen Vorzeichen.
ČSSD beharrt auf Neuwahlen
Ihre Parteibücher der Sozialdemokraten (ČSSD) haben beide inzwischen abgegeben. Bei den jetzigen Genossen hat Zemans Alleingang dennoch Wohlgefallen ausgelöst. Denn der ČSSD-Vorsitzende Bohuslav Sobotka sieht darin den „besten und schnellsten Weg zu vorzeitigen Neuwahlen“. Weder das linke noch das rechte Lager verfügten über eine „stabile Mehrheit im Parlament“. Gleiches gelte für Rusnoks Expertenregierung. Sobotka rechnet eigenen Worten zufolge also weiterhin damit, dass die Abgeordneten in den nächsten Wochen einer Auflösung der unteren Parlamentskammer zustimmen und bereits im September Wahlen stattfinden.
Doch die Fakten zeichnen ein anderes Bild. Für die Auflösung des Abgeordnetenhauses bedarf es einer Mehrheit von 120 Stimmen – eine Anzahl, über welche die Befürworter von Neuwahlen derzeit nicht verfügen. Das bisherige Regierungsbündnis aus ODS, TOP 09 und LIDEM erachtet dieses Szenario als „letzten Ausweg“ und beharrt auf seinen Standpunkt, eine Regierung unter Němcová zu bilden. „Im Abgeordnetenhaus gibt es nur eine Mehrheit, und die spricht sich für die von der Dreierkoalition vorgeschlagene Variante mit mir an der Spitze aus“, reagierte Němcová auf die Ernennung Rusnoks. Der stellvertretende TOP-09-Vorsitzende Miroslav Kalousek stellte klar, man werde eine Expertenregierung unter Rusnok nicht unterstützen, gleichwohl er den Nečas-Nachfolger für einen „überaus fähigen Fachmann“ halte.
Falls die Übergangsregierung nicht das Vertrauen der Abgeordneten erhalten sollte, könne sich Zeman vorstellen, einem Kabinett unter Němcová eine Chance zu geben. „Doch nur unter der Bedingung, dass die Koalition auch zu diesem Zeitpunkt die notwendige Mehrheit von 101 Stimmen bekäme“, sagte Zeman und erinnerte im gleichen Atemzug daran, dass er zwei Versuche habe, „seine Expertenregierung“ durchzusetzen. Wie viele Tage zwischen beiden Abstimmungen liegen, bestimmt allein Zeman, der die Spielregeln weiterhin bestimmt und im Rampenlicht stehen kann.
Stimmen zu Zemans Entscheidung
„Der Präsident trägt Schuld daran, dass wir jetzt Zeit verlieren mit einem Versuch, von dem jeder weiß, dass er zum Scheitern verurteilt ist.“ Miroslava Němcová, Vorsitzende des Abgeordnetenhaus und Wunschkandidatin der bisherigen Mitte-Rechts-Koalition für das Amt des Regierungschefs
„Mit seinem Schritt hat er einen Tsunami ausgelöst, der absolut überflüssig ist.“ Martin Kuba, designierter Parteivorsitzender der Bürgerdemokraten (ODS)
„Nur eine Auflösung des Parlaments kann uns aus der Sackgasse führen.“ Bohuslav Sobotka, Vorsitzender der oppositionellen Sozialdemokraten (ČSSD)
„Die Legitimität der Entscheidung des Präsidenten ergibt sich aus der Legitimität der diesjährigen Präsidentschaftswahl.“ Vojtěch Filip, Vorsitzender der oppositionellen Kommunisten (KSČM)
„Jiří Rusnok verhält sich zu dieser Zeit und unter diesen Bedingungen leider nicht wie ein Experte. Eher wie ein sehr verantwortungsloser Freund eines verantwortungslosen Staatspräsidenten.“ Miroslav Kalousek, stellvertretender Vorsitzender der Partei TOP 09
„Es ist an der Zeit, dieses absurde Spiel im Abgeordnetenhaus zu beenden. Weder die Fortsetzung der korrupten Regierung noch eine Regierung der Zeman-Freunde sind eine Lösung.“ Ondřej Liška, Vorsitzender der Partei der Grünen (SZ)
„Der Präsident bewegt sich mit seinem Schritt außerhalb der Verfassung.“ Jiří Paroubek, ehemaliger Regierungschef und Vorsitzender der Sozialdemokraten (ČSSD)
„Der Ernennung des Premiers hätte eine Suche nach einem Konsens im Abgeordnetenhaus vorangehen müssen. Aber der Präsident sucht sich die Regierung lieber nach seinem Geschmack aus.“ Jan Outlý, Politologe
„Hier werden gerade Machtpositionen auf die Probe gestellt. Man will herausfinden, welchen Einfluss der Präsident in Tschechien wirklich besitzt.“ Miroslav Mareš, Politologe
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“