„Diese Reform sollte auf keinen Fall verschoben werden“
Rechtsanwalt Stephan Heidenhain über den größten Umbruch in der tschechischen Justiz seit den sechziger Jahren
25. 7. 2013 - Interview: Nancy Waldmann
Ab dem kommenden Jahr gilt in Tschechien ein neues Zivilrecht. 15 Jahre arbeiteten die Autoren an dem Werk, um unter anderem das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB, auf Tschechisch: „Občanský zákoník“) neu zu schreiben – das bisherige stammte trotz Änderungen in der Substanz von 1964, also aus sozialistischen Zeiten. Stephan Heidenhain ist deutscher Rechtsanwalt und betreut seit neun Jahren in einer internationalen Prager Rechtsanwaltskanzlei Unternehmen aus aller Welt. PZ-Redakteurin Nancy Waldmann sprach mit ihm über Mogelpackungen, migrierende Bienenschwärme und die antiquierte Sprache im neuen Zivilrecht.
Herr Heidenhain, eine Rechtsreform muss für Sie furchtbar sein, sie stellt Ihre tägliche Arbeit auf den Kopf. Bringt so etwas auch Vorteile für einen Juristen?
Stephan Heidenhain: Es wird übersichtlicher. Im neuen BGB ist fast alles versammelt, was vorher in einer Unzahl von einzelnen Gesetzen geregelt war: Teile des bisherigen Handelsgesetzbuches, Mietrecht, das Gesetz über Gewerberäume und so weiter. Man war bisher nie sicher, ob man irgendein Gesetz, das es noch gibt, nicht beachtet hat. Das wird mit einem zentralen Gesetzbuch einfacher.
Sie sagen, es ist „fast alles“ drin. Was fehlt?
Heidenhain: Das Arbeitsgesetzbuch ist extra– wohl eine Reminiszenz an den Sozialismus. Nicht drin ist auch das Gesetz über die registrierte Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare. Das hat man wohl vermieden, weil Präsident Klaus es lange nicht unterschreiben wollte. Dagegen ist Paragraph 29 BGB, der erlaubt, das Geschlecht zu wechseln, nun im neuen Personenstandsrecht und damit im BGBenthalten. Aber die gesellschaftlich umstrittenen Regelungen der Partnerschaft wurden erst einmal ausgelassen – wohl weil die Autoren nicht wollten, dass der Präsident dann sagt, wegen dieser Paragraphen unterschreibe er das ganze neue BGB nicht.
Ist das nicht ein Manko einer so großen Reform?
Heidenhain: Naja, man muss das im Zusammenhang sehen. An dem Werk wird seit 15 Jahren gearbeitet, verabschiedet wurde es 2012 in dem kurzen Moment, als die bürgerlich-konservative Regierung eine klare Mehrheit hatte. Jetzt haben wir ein neues BGB und es ist ein ganz erstaunlicher Wurf, im laufenden Betrieb so etwas vorzulegen und zu verabschieden – das haben nicht viele Länder in den letzten Jahren geschafft.
Was sind wichtige Neuerungen?
Heidenhain: Zum Beispiel war es bei GmbHs bisher nicht möglich, einen der Gesellschafter auszuschließen und seine Anteile zu übernehmen. Er konnte auch nicht selbst austreten. Es mussten sich immer alle gemeinsam einigen. Wenn zwei Gründer mit gleichen Anteilen zerstritten waren, dann ging es weder vor noch zurück. Jetzt sind zum Beispiel auch Abstimmungen in Abwesenheit von Mitgliedern möglich. Das steht nun im Gesetz über Korporationen. Neu im BGB ist, dass man Erbschaften nun umfassend regeln kann, was vorher nicht möglich war. Und man kann „gutgläubig“ erwerben. Also, wenn ich eine Wohnung kaufe und im Grundbuch ist zum Beispiel ein falscher bisheriger Eigentümer eingetragen, dann erwerbe ich die Wohnung trotzdem. Das war bisher nicht der Fall. Ich musste für den Fehler haften und mir mein Geld von dem falschen Eigentümer zurückholen.
War es dafür nötig, alles neu zu schreiben?
Heidenhain: Man hat es systematisiert und die Terminologie vereinheitlicht. Im Internationalen Privat- und Prozessrecht stand oft noch „Tschechoslowakei“. Und das alte Recht war sehr formalistisch. Es hieß, nur was darin geregelt ist, kann auch gemacht werden. Jetzt ist alles flexibler geworden, aber das bedeutet auch, dass wir uns mehr damit auseinandersetzen müssen. Aber die Realität sieht oft anders aus. Bei vielen kleineren Firmen schaut ja kein Jurist nochmal drüber.
Das neue Recht bedeutet also mehr Arbeit für Juristen?
Heidenhain: Jemand, ich glaube von der Amerikanischen Handelskammer, hat die Rechtsreform als grandiose Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Juristen bezeichnet. Weil eben viele Details zu klären sind.
Unverständlich sei das neue BGB, sagen Kritiker, weil es eine veraltete Sprache benutze. Es orientiert sich in großen Teilen am österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) von 1811 und am tschechoslowakischen Zivilgesetzbuch von 1937.
Woran macht sich das noch bemerkbar?
Heidenhain: Zum Beispiel daran, dass es eine Reihe teils merkwürdiger Regelungen über Tiere gibt. Da ist eingehend geregelt, was passiert, wenn ein Bienenschwarm von einem Grundstück auf das andere fliegt. Tiere werden nun eingehend definiert als Haustiere, zahme Haustiere, wilde Tiere – das ist eher 19. Jahrhundert. Allerdings gelten Tiere nun nicht mehr als Sachen – das ist 21. Jahrhundert.
Was bringt das? Mehr Tierschutz?
Heidenhain: Das ist eine Mogelpackung. Zum einen steht dort „Tiere sind keine Sachen, sie werden durch besondere Gesetze geschützt.“ Zum anderen heißt es, dass alle Regeln über Sachen auf Tiere entsprechend angewandt werden.
Warum führt man sie dann gesondert auf?
Heidenhain: Das ist ein Trend. Im Grunde genommen soll nicht mehr alles so auf Tiere angewandt werden wie auf Sachen. Lebende Tiere seien „gedankenbedachte Geschöpfe“ und die Regeln auf Sachen „sollen auf sie nur so angewandt werden, wie dies nicht deren Charakter widerspricht“. Da ist es schon stark Auslegungssache, ob man dann Sachmängelhaftung auf Tiere anwendet.
Wenn ich einen Hund kaufe und er hat einen Wirbelsäulenschaden, kann ich mich nicht beim Züchter beschweren?
Heidenhain: Ja, oder wenn er nicht gehorcht. Man könnte dann argumentieren, wenn jedes Tier ein eigenes Geschöpf ist, dann kann kein Tier mangelhaft sein. Aber es ist vage formuliert.
Warum hat man ein Gesetzwerk aus dem 19. Jahrhundert herangezogen?
Heidenhain: Ich glaube, es sollte vor allem ein Bruch sein mit der Struktur des sozialistischen Rechts der sechziger Jahre. Das war eine Kopie des sowjetischen Rechts, die Tschechen haben das neben der DDR als einzige im Ostblock so sklavisch nachgemacht, etwa bei der Regelung über staatliche Unternehmen oder bei Eigentumsarten.
Aber wurden diese Dinge nicht längst geändert?
Heidenhain: Vieles schon. Aber bis heute ist es noch so, dass es unterschiedliche Eigentümer an Grund und Gebäuden auf dem gleichen Boden geben kann. Das wird sich nun ändern: Der Eigentümer des Hauses ist auch der Eigentümer des Bodens darunter. Allerdings frage ich mich, ob die zehn Paragraphen mit sehr knappen Übergangsregelungen ausreichen, um die Eigentumsverhältnisse, wie sie sich seit den fünfziger Jahren entwickelt haben, zu regeln. Das gleiche Problem gab es auch in der ehemaligen DDR. Um es nach der Wende zu beheben, waren viel umfassendere Regelungen nötig.
Sie sprechen viele Probleme an. Droht ab dem kommenden Jahr das Chaos in der Justiz?
Heidenhain: Nein, das Positive überwiegt. Man muss sich auf das Neue einlassen, auch wenn es nicht perfekt ist. Diese Reform sollte auf keinen Fall verschoben werden. Jetzt müssen entsprechende Ausführungsgesetze geschrieben werden.
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