„Durch Smog sterben mehr Menschen als erwartet“

„Durch Smog sterben mehr Menschen als erwartet“

Wissenschaftler Wilhelm Kuttler warnt vor den Folgen der Luftverschmutzung, die vor allem im östlichen Europa ein Problem bleibt

11. 11. 2015 - Text: Franziska Neudert

Wilhelm Kuttler ist emeritierter Professor am Institut für Angewandte Klimatologie und Landschaftsökologie der Universität Duisburg-Essen. 30 Jahre lang forschte er im Bereich Stadtklimatologie und städtische Lufthygiene. Mit seiner Arbeitsgruppe verfasste Kuttler mehr als 120 Beiträge in Fachzeitschriften sowie verschiedene Lehrbücher zur Allgemeinen und Speziellen Klimatologie. Seine jüngste Publikation, die in diesem Jahr erschien, beschäftigt sich mit dem Stadtklima von Essen. Im Interview erklärt Kuttler, wie Smog entsteht, warum er vor allem in Mittel- und Osteuropa ein Problem bleibt und was jeder Einzelne gegen die Feinstaubbelastung tun kann.

Wie kommt der Smog in Städten wie Ostrava zustande?

Wilhelm Kuttler: Der Smog in Ostrava ist ein sogenannter schwefelsaurer, mit Staub angereicherter feuchter Smog, der hauptsächlich in den Herbst- und Wintermonaten auftritt, wenn eine austauscharme Wetterlage vorherrscht. Eine derartige Wetterlage zeichnet sich dadurch aus, dass durch schwache Luftdruckgegensätze die Windgeschwindigkeit sehr gering ist und die Bildung von Lufttemperaturinversionen fördert. Es bildet sich ein thermostabiler Deckel über einer Kaltluftschicht, in der sich die Luftverunreinigungen ansammeln und nicht entweichen können.

Inwiefern begünstigt diese Inversionswetterlage den Smog?

Kuttler: Bei einer Temperatur­inversion handelt es sich um eine Umkehr des vertikalen Lufttemperaturverlaufs. Normalerweise nimmt die Lufttemperatur mit zunehmender Höhe ab, bei Inversionswetterlagen hingegen zu, sodass oben die Warmluft liegt und unten die Kaltluft. Eine austauscharme Wetterlage wird deshalb so bezeichnet, weil nicht nur der Wind fehlt, sondern gleichzeitig auch noch der vertikale Austausch unterbunden ist, denn es ist ja oben wärmer als unten. Abgase oder Stäube, die am Erdboden freigesetzt werden, können dann weder nach oben noch zur Seite abtransportiert werden. Inversionen können auf zwei Wegen entstehen: durch Luft, die aus größerer Höhe absinkt und sich dabei erwärmt oder am Boden, wenn sich dieser abends schneller abkühlt als die darüber liegende Luft. Kritisch wird es, wenn sich beide Inversionstypen verbinden, wie das gegenwärtig in Europa häufig der Fall ist. Wenn dann noch die Topographie den Austausch hemmt – wie auch in Ostrava durch die Tallage – und in diesem Tal noch Emissionen wie Gase und Staub freigesetzt werden, dann ist die Smoglage perfekt.

Wie sieht die Situation in Europa derzeit aus?

Kuttler: Smoglagen, die durch schwefelsauren, mit Staub angereicherten feuchten Smog verursacht werden, gibt es im westlichen Europa seit etwa 30 Jahren nicht mehr. Das liegt daran, dass die Industrie nicht mehr so viel Kohle verbrennt und es kaum noch Zechen und Stahlwerke gibt. Darüber hinaus hat die Immissionsschutzgesetzgebung dazu geführt, dass alle relevanten Schornsteine mit effektiven Filtern ausgerüstet sein müssen. Auch in den einzelnen Haushalten wird kaum noch mit Kohle geheizt, sondern mit Gas oder Öl oder sie sind der Fernwärme angeschlossen, was wesentlich weniger Luftverunreinigung verursacht. Problematisch sind nicht nur die Schornsteine einzelner Kraftwerke, die man ja relativ schnell durch Filter säubern könnte, sondern die zahllosen Einzelkamine von Wohnhäusern, die Luftverunreinigungen in der Heizperiode emittieren. Leider ist vor allem in Osteuropa schwefelsaurer Smog immer noch in den Wintermonaten ein Problem, weil effektive Filter fehlen und weil die Wohnhäuser nicht mit „sauberer“ Energie beheizt werden.

Warum ist Smog so gefährlich?

Kuttler: Der Smog, um den es hier geht, ist relativ sauer, sodass die Atemorgane durch Einatmen der Luft – je nach Konzentration – geschädigt werden. Feinstäube, die in der Luft sind, dienen meistens als Träger für weitere Luftschadstoffe, sodass deren Aufnahme durch die Lunge bei hohen Werten gefährlich werden kann. Dieser Smogtyp schädigt jedoch nicht nur die Menschen, sondern auch Pflanzen wie Nadelbäume, die auch weitgehend im Winter grün sind. Der trockene photochemische Smog schadet sowohl den Augen als auch der Lunge. Aus Untersuchungen in Mitteleuropa weiß man, dass während Smoglagen mehr Menschen sterben als statistisch erwartet. Das haben die großen Smogkatas­trophen in Mitteleuropa gezeigt. In London starben 1924 rund 8.000 Menschen an den Folgen von Smog, im Ruhrgebiet 1962 etwa 200. Smog erhöht nicht nur die Morbiditätsrate der Bevölkerung, sondern auch die Mortalitätsrate.

Rechnen Sie in Zukunft mit einer besseren Luft?

Kuttler: Das Smogproblem in Europa, insbesondere in Osteuropa, sollte eigentlich in Zukunft abnehmen, wenn man davon ausgeht, dass die Umweltschutzgesetzgebung greift und Auf­lagen macht, die unterbinden, dass Stoffe verbrannt werden, die zu einer hohen Luftverunreinigung führen. Falls das nicht beherzigt wird, könnte es, wenn Modell­analysen zum globalen Klimawandel zutreffen, zu einer Verstärkung des Smogproblems kommen.

Welche Maßnahmen könnte die EU treffen?

Kuttler: Die westeuropäischen Staaten und insbesondere die EU mit ihren zum Teil sehr strengen Umweltschutzgesetzgebungen könnten Vorbild sein für die Immissionsschutzgesetzgebung in Osteuropa und vor allem für dortige Entscheidungsträger, um die Luft sauberer zu machen. Denn Inversionslagen – insbesondere in Tallagen – wird es immer geben, nur sind sie dann nicht gefährlich, wenn nicht in den Tälern Luftverunreinigungen in hohen Konzentrationen emittiert werden. Grundsätzlich sollten stark emittierende Industrieanlagen so angelegt werden, dass deren Luftverunreinigungen nicht bei Eintritt einer austauscharmen Inversionswetterlage in die Stadt transportiert werden. Da diese Wetterlagen zum Beispiel in Deutschland meist eine leichte Ostströmung aufweisen, sollte derartige Industrie nicht an den Ostrand einer Stadt gesetzt werden.

Wie kann sich der Verbraucher schützen?

Kuttler: Jeder Einzelne kann dazu beitragen, Smog zu vermeiden oder wenigstens zu vermindern, indem er die Freisetzung von Emissionen verringert. Er kann beispielsweise auf die Wahl der Verbrennungsstoffe achten und keinen „Müll“ verbrennen oder während entsprechender Inversionswetterlagen die Wohnraumheizungen nicht so hoch drehen. Auch weniger Autofahren hilft. Ferner sollte – falls das zeitlich möglich ist – die Bevölkerung animiert werden, auf die umliegenden Berge zu fahren. Sie sind wie Inseln über dem Smogmeer, da dort meist wesentlich besseres Wetter mit besserer Luftqualität herrscht.