Durchfahrt verboten
Mit der Initiative „Nábřeži žije“ probt der Bürgerverein „Auto*Mat“, wie das Smetana-Ufer ohne Autoverkehr aussieht
25. 9. 2013 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: Stefan Welzel
Spielende Kinder, gedeckte Tische, Schachbretter und tanzende Flaneure mitten auf der Straße. Das Altstädter Smetana-Ufer (Smetanovo nábřeží), gelegen zwischen Legionenbrücke (Most Legií) und Kreuzherrenplatz (Křižovnické náměstí), zeigte sich am vergangenen Samstag von einer ungewohnten Seite. Der im städtischen Alltag notorisch verstopfte Verkehrsabschnitt verwandelte sich für einen Tag in eine autofreie Zone. Eine lebhafte Promenade, erobert vom laufenden und radelnden Volk, von Konzerten und Diskussionen, von Straßenkünstlern und Kunstaktionen.
Unter dem Motto „Zažít město jinak“ („Die Stadt anders erleben“) rief der Bürgerverein „Auto*Mat“ am 22. September, dem internationalen autofreien Tag, die Prager auf, ihren Straßen alternatives Leben einzuhauchen. An mehr als 30 Orten fanden Konzerte, Theater- und Filmvorführungen, öffentliche Diskussions- und Tafelrunden statt. Während man in Vršovice mit dem Klapprad um die Wette fuhr, traten in Dejvice ambitionierte Bäcker an, um das beste Brot zu backen. In Žižkov konnten Passanten zum Teil eines animierten Films werden; derweil debattierten Vertreter des Amtes für Stadtentwicklung und „Auto*Mat“ am Moldauufer darüber, wie man die Hauptstadt zu einem lebenswerteren Ort gestalten kann.
Wunder Punkt Straßen
Das alles spielte sich mitten auf den Fahrbahnen ab, die für den motorisierten Personenverkehr gesperrt wurden, bereits zum achten Mal in Prag, erstmals in diesem Jahr aber auch in Ostrava und Olomouc. Damit legen die Veranstalter den Finger auf einen wunden Punkt im städtischen Leben: Prag zählt nicht gerade zu den fußgängerfreundlichsten Städten. Es fehlt das Konzept, den Transitverkehr in der Innenstadt zu verringern.
Das Moldauufer spielt dabei eine entscheidende Rolle. Hier zeigt sich das eigentliche Problem besonders deutlich: Etwa 25.000 Autos passieren die Uferpromenade am Tag. Die Straßen sind überlastet, für Fußgänger und Radfahrer dagegen bleibt wenig Platz.
Vít Masare von „Auto*Mat“ ist überzeugt, das sollte so nicht sein. Immerhin gehört das Smetana-Ufer mit seinem prächtigen Ausblick auf die Burg zu den schönsten Promenaden der Stadt und zieht zahllose Besucher an. „Weder das Smetana-Ufer noch die Kleinseite dürfen dem Transit geopfert werden, wenn doch schon vor Jahren mit dem nahen Strahov-Tunnel eine millionteure Trasse für den Durchgangsverkehr geschaffen wurde“, sagt Masare. Daher kämpft die Organisation seit Jahren dafür, das Ufer ebenso wie die Kleinseite dauerhaft für den Verkehr zu schließen.
Mit der Initiative „Nábřeží žije“ („Das Ufer lebt“) will sie den Stadtbewohnern ganz plastisch vor Augen führen, welch kreatives Potenzial in einer Umgestaltung der Straßen schlummert. Und wie einfach sich eine verkehrsfreie Zone in dem Stadtgebiet umsetzen lässt. Masare ist überzeugt, dass sich das Verkehrsproblem quasi von allein löst, indem man den Autoverkehr eingeschränkt. Die meisten würden spätestens dann auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad umsteigen. „Und verkehrsgeschädigte Straßen können sich erholen“, so Masare. Erreichen ließe sich das eben nicht durch überteuerte Baumaßnahmen, sondern durch verkehrsberuhigte Zonen und eine Straßenmaut. Nach wie vor kritisiert „Auto*Mat“ den milliardenschweren Bau des Tunnelkomplexes Blanka, obwohl die Organisation gleichzeitig hofft, dass mit ihm die Verkehrsmassen auf der Magistrale schwinden.
Der „schwere urbanistische Fehler“, wie Automat die Stadtautobahn betitelt, durchschneidet Prag in nord-südlicher Richtung. Täglich wälzen sich etwa 100.000 Fahrzeuge entlang der Hauptverkehrsader. In den siebziger Jahren erbaut, sei sie – ebenso wie der spätere Blanka-Tunnel – ein Relikt der sozialistischen Verkehrsplanung, die die Stadt lediglich als ein Geflecht verwobener Schnellstraßen begreift. Radfahrer und Fußgänger bleiben auf der Strecke. Spätestens nach der Inbetriebnahme des Tunnels will „Auto*Mat“ in Zusammenarbeit mit dem Städtischen Amt für Stadtentwicklung sowie dem zweiten, vierten und siebten Stadtbezirk die Magistrale menschlicher gestalten. Mit der Initiative „Humanizace Severojižní magistrály“ („Humanisierung Nord-Süd-Magistrale“) sollen die Straßenspuren beispielsweise durch Grünstreifen und erweiterte Fußwege zurückgebaut werden.
Experimente erwünscht
Das Smetana-Ufer will „Auto*Mat“ in eine weite Fußgängerzone umgestalten, die lediglich von Vorbeirauschen der Straßenbahn gestört wird. Der Verkehr auf der Legionenbrücke würde erheblich eingeschränkt, während der Bereich um den Marienplatz (Mariánské náměstí) und den Annenplatz (Anenské náměstí) weiterhin befahren werden dürfte. Die Straßenbahnlinie 17 soll in kürzeren Intervallen verkehren, Kleinbusse den öffentlichen Nahverkehr in der Innenstadt unterstützen. Da auch Taxis zu den öffentlichen Verkehrsmitteln zählen, hätten diese ebenfalls Zugang zum Smetana-Ufer, Lieferverkehr hingegen ist dann, wie in anderen Fußgängerzonen auch, nur eingeschränkt zugelassen.
Einen Verfechter von „Nábřeží žije“ weiß „Auto*Mat“ mit Oberbürgermeister Tomáš Hudeček (TOP 09) hinter sich. „Das Ziel ist einfach“, so Hudeček, „wir wollen Prag zu einem lebenswerteren Ort machen.“ Wie ein solcher aussehen kann, zeigt „Auto*Mat“ in Zusammenarbeit mit dem Magistrat und dem Amt für Stadtentwicklung an fünf aufeinanderfolgenden Samstagen auf. Die Uferpromenade verwandelt sich dann in eine Teststrecke, auf der für den autofreien Idealfall geprobt wird. Unter den Bewohnern der Stadt stößt die Aktion bisher auf große Resonanz. Mehr als 18.000 Besucher lockten die Veranstalter mit „Nábřeží žije“ am vergangenen Samstag auf die Promenade. „Ungewohnt, aber sehr schön“, findet eine junge Frau die zeitweilige Verkehrsberuhigung. „Es ist toll, dass ich meine Tochter einfach so auf der Straße herumspazieren lassen kann. Ein bisschen nervt allerdings, dass ich immerzu auf die Bahn aufpassen muss“, fügt sie hinzu.
Während das Projekt vom Magistrat unterstützt wird, sind sich die einzelnen Stadtbezirke uneins. Für Masare ein weiteres Problem in Sachen Stadtpolitik. „Es ist kein Wunder, dass es bezogen auf die Verkehrsgestaltung so ein großes Chaos gibt. Jeder Stadtteil hat eine andere Meinung dazu, jeder befürchtet Nachteile für sich.“ So wurde „Nábřeží žije“ zwar vom ersten Stadtbezirk befürwortet, nicht jedoch von Prag 2. Wie die Bürgermeisterin des zweiten Stadtbezirks Jana Černochová (ODS)erklärte, hätte dies zu einer Verschlimmerung der Verkehrssituation in Prag geführt. Damit spricht sie stellvertretend für die oppositionellen Bürgerdemokraten. Zwar hatte Bohuslav Svoboda (ODS) in seiner Amtszeit als Oberbürgermeister noch vor zwei Jahren erste Aktionen zu einer vorübergehenden Verkehrsberuhigung des Ufers mit realisiert, später distanzierte er sich jedoch davon. Eine dauerhafte Verkehrsberuhigung würde die Kleinseite noch stärker belasten, so Svoboda. Eine Studie, die das belegen soll, habe er nun in Auftrag gegeben.
„In Prag gibt es keinen umfassenden oder nachhaltigen Verkehrsplan, noch nicht einmal eine Vision davon, wie die Stadt aussehen könnte“, beklagt Masare. Mit seinen „provisorischen Experimenten“, wie er die Initiativen seiner Organisation selbst nennt, will „Auto*Mat“ deshalb nicht nur die Einwohner zu ein wenig mehr Einfallsreichtumscher in Hinblick auf die Gestaltung der Straßen bewegen, sondern auch die Stadt zu mehr Engagement motivieren. Mit etwas Glück und Überzeugungskraft könnte das im nächsten Jahr vielleicht gelingen. Hofft Masare.
Nábřeží žije. Smetana-Ufer (Smetanovo nábřeží), Samstag, 28. September, 4. und 12. Oktober, 10 bis 20 Uhr
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