Ein Dorf ganz groß

Ein Dorf ganz groß

Die mittelböhmische Ortschaft Lány überrascht mit ihrem touristischen Angebot

18. 4. 2013 - Text: Stefan WelzelText und Foto: Stefan Welzel

Wenn man sonntags in Lány dem Fernbus aus der Hauptstadt entsteigt, kommt man sich ein wenig vor wie in einem alten amerikanischen Western. Die Ortschaft scheint verlassen und wenig belebt. Es fehlt nur ein in der Ferne bellender Hund und der obligate Heuballen, der vom Wind über die Straße geweht wird. Beim Spaziergang ins „Zentrum“ spricht vieles dafür, dass man sich in einem gewöhnlichen böhmischen Dorf befindet, in dem die wenigen lokalen Kneipen und vielleicht noch das Postamt den Mittelpunkt des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens bilden. Doch nach dem zweiten Blick muss der Besucher von Lány im Kreis Kladno sein Urteil revidieren.

Das rund 2.000-Seelen-Dorf beherbergt drei Institutionen, die einen Ausflug allemal lohnenswert machen. Bereits 1392 wurde das Schloss Lány erstmals urkundlich erwähnt. Damals handelte es sich um ein einfaches Landgut, weit davon entfernt als Burg bezeichnet zu werden. Im 15. Jahrhundert folgte ein Besitzerwechsel und mit ihm der Umbau. Heinrich Seidlitz von Schönfeld erweiterte das Anwesen um massivere Befestigungsanlagen. 1589 ging der Adelssitz auf das Herrschergeschlecht der Habsburger über. Kaiser Rudolf II. ging sogleich daran, den Ausbau zum Jagdschloss im typischen Renaissance-Stil voranzutreiben.

1733 folgte erneut ein Besitzer- und damit ein Stilwechsel. Die Familie der Fürstenberger sorgte vor allem dafür, dass die Innenräume dem barocken Trend der Zeit entsprachen. Mitte des 19. Jahrhunderts folgten weitere architektonische Änderungen, etwa eine Aufstockung klassizistischer Art sowie die Errichtung eines englischen Parks rund um das Schloss. Wehrhafte Elemente wie der Wassergraben verschwanden. An ihre Stelle traten pittoreske Spazierwege, ein großer Teich mit Insel, fremde Baumarten sowie ein Gewächshaus. So entstand aus dem Sitz ein einzigartiger Stilmix, umgeben von einer malerischen Landschaft. Nach der lange ersehnten nationalen Souveränität 1918 erkannte der erste tschechoslowakische Präsident Tomáš Garrigue Masaryk das Potential des Schlosses und ließ es durch den Staat kaufen. Von nun an befand sich in dem kleinen Lány die Sommerresidenz des Staatsoberhauptes, der dem kleinen Ort auch nach seinem Tod seinen Stempel aufdrücken sollte.

Des Präsidenten Sommersitz
Auch heute fungiert die Anlage als Residenz. Das Gut gehört zur Administration der Prager Burg, die gleichen Wachmannschaften wie auf dem Hauptstädter Hradschin stehen auch vor Schloss Lány stramm. Leider führt dieser Umstand dazu, dass die Besucher des Geländes keinen Zutritt zum Hauptgebäude erhalten. Freundlich aber bestimmt wird man auf seinem Weg in Richtung des präsidialen Sitzes darüber in Kenntnis gesetzt. Dafür kann man sich ausgiebig einem kleinen Rundgang im Parkgelände widmen. Besonders im Frühling, wenn die ersten Blüten die Äste der Bäume schmücken, lohnen sich die 15 Kronen Eintrittsgeld. Allerdings sind auch hier Abstriche zu machen: Ein Picknick auf dem Rasen sollte man nicht wagen, zu groß ist die Gefahr, von besagtem Wachpersonal zurück auf einen der vorgegebenen Pfade beordert zu werden. Ordnung muss sein.

Auf dem Friedhof gleich neben dem Schlossgelände und dem Besucherparkplatz befindet sich das Grab des großen tschechoslowakischen Staatsmannes, der bis heute einen besonderen Platz im Gedächtnis und Herzen der Tschechen hat. Die letzte Ruhestätte Masaryks zieht mehr Besucher an als der ansehnliche Schlosspark.
Nur wenige Schritte weiter befindet sich die zweite kulturelle Attraktion der Gemeinde: das „Muzeum T. G. Masaryk“. Der ehemalige Gutshof-Speicher wurde in den neunziger Jahren zu einer Schaustelle umfunktioniert. Die Dauerausstellung widmet sich unter anderem dem Leben und Wirken des Namensgebers. Persönliche Gegenstände Masaryks, seiner Frau und der Kinder sowie die Rekonstruktion der Wohnungseinrichtung ihres Prager Appartements versetzen den Besucher in die Zeit der ersten drei Dekaden des vergangenen Jahrhunderts.

Außerdem veranschaulichen Exponate aus dem Ersten Weltkrieg (Uniformen, Waffen etc.) sowie Gebrauchsgegenstände aus der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik das Alltagsleben jener Epoche und seinen Zeitgeist. Die Konzeption der Ausstellung mutet insgesamt ein wenig konfus an. Man wird den Verdacht nicht los, dass die Museumsbetreiber einfach alles, was ihnen aus jener Zeitspanne in die Hände viel, irgendwie in die Schau einbringen wollten. Das mindert ein wenig die Stringenz, leider. Doch für das gesellschaftliche Leben Lánys stellt das Museum auch dank verschiedener Wanderausstellungen, Vernissagen, Lesungen und ähnlichen Veranstaltungen einen wichtigen kulturellen Beitrag, dem sich gerne auch Interessierte aus dem Umland oder sogar dem rund 35 Kilometer entfernten Prag anschließen.

PS-Monster vs. Wanderwege
Im Zentrum der Ortschaft befindet sich die dritte, überregional bekannte Institution. Das „Museum für historische Sportwagen“ empfängt Automobil-Fans zu einer Schau von Oldtimern. Nebst einem Ford-T-Modell aus den Zwanzigern sind auch zahlreiche jüngere Klassiker wie ein legendärer Jaguar E-Type, ein Sportwagen des Typs Tatra V8 oder Formel-1-Boliden der Rennställe Williams und Toyota zu sehen. Da schlägt auch das Herz der jungen, meist männlichen Besucher etwas höher.

Wem keine der drei beschriebenen Institutionen zusagt, dem sei wärmstens empfohlen, in den sanften mittelböhmischen Hügelzügen zwischen Lány im Norden, Rakovník im Westen und Beroun im Süden wandern zu gehen. Sattes Grün, zauberhafte Wälder, eine erwachende Flora sowie idyllische Weiler werden seinen Weg säumen. Und in den kleinen Dörfern rund um das benachbarte Waldschutzgebiet von Křivoklát findet man bestimmt einige typisch tschechische Kneipen, die dann aber garantiert und nicht wie in Lány die einzigen kulturellen Einrichtungen der Gemeinde darstellen.

Schlosspark Lány
Öffnungszeiten: Mi./Do. 14–18 Uhr, Sa./So./Feiertage 10–18 Uhr
Eintritt: 15 CZK

Muzeum T. G. Masaryk
Öffnungszeiten: Di./Fr. 9–16 Uhr, Mi./Do. 9–18 Uhr, Sa./So.
10–18 Uhr, montags geschlossen
Eintritt: 50 CZK (ermäßigt 30 CZK)
www.muzeumtgm.cz

Muzeum sportovních vozů Lány (Museum für Sportwagen)
Öffnungszeiten: Mai–September: Di.–So. 10–17 Uhr, montags geschlossen, Oktober–April: Mi./Sa./So. 10–16 Uhr
Eintritt: 70 CZK
www.auto-muzeum.cz

Verbindungen aus Prag
Auto: über die E48 nach Karlovy Vary, nach etwa 35 Kilometern auf die Überlandstraße 236 Richtung Stochov/Lány
Zug: ab Prag/Masaryk-Bahnhof oder Bahnhof Dejvice bis Stochov
Bus: ab Prag/Metrostation Hradčanská mit der Busgesellschaft Anexia