Ein flüssiges Hallo
Klischees und Statistiken zufolge schauen Osteuropäer tief ins Glas. Zum Alkohol hat aber jedes Land einen anderen Zugang – das zeigen die Trinksprüche
24. 2. 2016 - Text: Vinzenz GreinerText: Vinzenz Greiner; Foto: APZ
Was nach einer Kleinigkeit klingt, ist das wohl größte Missverständnis Russlands. Denn wenn russische Muttersprachler ihr Glas erheben, erwarten die meisten Menschen ein „Na zdarov’je“. Stattdessen aber erschallt ein „Za zdarov’je“. Ein Buchstabe Unterschied. Der hat es aber in sich: „Na“ bedeutet „auf“, „za“ dagegen heißt „für“. Im Grunde trinken Russen also nicht auf, sondern für die Gesundheit. Eine im kulturellen Erbgut verankerte Naivität gegenüber Alkohol? In dem Land, in dessen Supermarktregalen trinkbereit Wodkagläser mit Plastikdeckel stehen, stirbt nicht umsonst jeder vierte Mann vor dem 55. Lebensjahr. Studien zeigen: Übermäßiger Alkoholkonsum ist der Grund.
Das ist ein völlig anderer Zugang zum Trinken als in anderen Ländern Ost- und Mitteleuropas – auch wenn ihnen ebenfalls ein Hang zum Glas nachgesagt wird. Bereits die Belarussen trinken laut Weltgesundheitsorganisation zwar stolze 22,1 Liter puren Alkohol jährlich – aber eben schon nicht mehr für, sondern auf die Gesundheit. Von Warschau bis Stettin sind es sogar noch zwei Liter mehr. Mit Bisongras-Wodka, Lech- und Tyskie-Bier, prosten die Polen einander mit „Na zdrowie“ oder kurz „Zdrówko“ zu. Ähnlich ist das bulgarische „Nazdrave“ oder das „Na zdraví“ der Tschechen.
Die haben bekanntlich ein besonders enges Verhältnis zum Bier. Mit 144 Litern pro Kopf im Jahr sind sie die emsigsten Biertrinker Europas. Der inoffizielle Landespatron, der brave Soldat Schwejk, hält auf vielen Bildern einen Bierkrug in der Hand. Auch das slowakische Brudervolk trinkt auf die Gesundheit – in der Donau-Tiefebene mit Wein und in der Tatra mit Schnaps. Beide stoßen aber auch mit einem simplen „Čau“ an, mit dem man sich in beiden Sprachen begrüßen wie auch verabschieden kann. Sind Tschechen und Slowaken etwa immer auf dem Sprung? Oder kommt der Trinkspruch von der Gastfreundschaft, die vielen zu gebieten scheint, den Gast schon an der Türschwelle zu fragen, was er denn trinken wolle. Ein flüssiges Hallo gewissermaßen.
In Slowenien trinkt man noch immer „Na Zdravje“. In den ehemaligen Bruderstaaten Serbien, Bosnien und Kroatien scheinen die Gläser sich um Essentielleres zu drehen. Bevor die Lippen das Glas berühren, formen sie das Wort „Živjeli“ oder je nach Dialekt „Živeli“. Grammatikalisch handelt es sich um die Plural-Form des Vergangenheitspartizips des Verbs „leben“ – wörtlich übersetzt bedeutet das „gelebt“. Misstrauen die Bosnier, Montenegriner, Serben und Kroaten etwa dem Alkohol? Oder feiern sie ihr bisheriges Leben mit einem Drink à la „So jung kommen wir nicht mehr zusammen“?
Ukrainer scheinen deutlich optimistischer: Mit einer Hand am Glas und Blick auf die Zukunft sagen sie: „Bud’mo“. Dieses „Lasst uns sein“ beschreibt das Trinken als bedeutungsvolles, sinn- und gemeinschaftstiftendes Ereignis. Das kann auch ausarten: Ukrainer haben laut Weltgesundheitsorganisation ein ähnlich risikofreudiges Trinkverhalten wie Russen. Bei denen ist ein ähnlicher, wenn auch etwas melancholischerer Toast auf dem Vormarsch. Vor allem junge Russen prosten einander immer häufiger mit einem „Budem“ zu. Es bedeutet: „Wir werden sein.“
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