„Ein historischer Augenblick“
Horst Seehofer und Bohuslav Sobotka eröffnen bayerische Vertretung in Prag
10. 12. 2014 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: ČTK/DPA/Armin Weigel
Man sah dem bayerischen Ministerpräsidenten die Freude und den Stolz an, als er vor dem Eingang des Palais Chotek ein erstes Mal zu den Journalisten sprach. Horst Seehofer (CSU) nahm sich außergewöhnlich viel Zeit, um sich den Fragen zu stellen und den Fotografen in der engen Gasse der Altstadt ein passendes Bildmotiv zu liefern. Später nannte er die Einweihung der bayerischen Repräsentanz einen historischen Augenblick für die Beziehungen des Freistaates zu seinem östlichen Nachbarn. Seehofer ist seit über sechs Jahren Regierungschef in Bayern und bemüht sich seither kontinuierlich, die Bande zu Prag zu stärken. Vergangenen Donnerstag kam es nun zum vorläufigen Höhepunkt der verbesserten Verständigung beider Länder. Gemeinsam mit Premierminister Bohuslav Sobotka (ČSSD) eröffnete Seehofer im „Haus zur Goldenen Melone“ in der Michaelsgasse (Michalská) nach Brüssel und Quebec die dritte vollwertige bayerische Botschaft im Ausland. Zugegen waren auch zahlreiche Mitglieder beider Regierungskabinette, Tschechiens ehemaliger Außenminister Karel Schwarzenberg (TOP 09) sowie Erzbischof Dominik Kardinal Duka.
Horst Seehofer steht nicht im Ruf, sich oft und gerne um außenpolitische Dinge zu kümmern. Gerade deswegen fällt sein entgegenkommender Umgang mit Prag sowie sein Bruch mit der Tschechien-Politik seiner Vorgänger umso mehr ins Gewicht. Seehofer war Ende 2010 als erster bayerischer Ministerpräsident auf Staatsbesuch in der Tschechischen Republik. Ganz oben auf seiner Agenda standen dabei nicht mehr die kontroversen Fragen und Meinungen zu den Beneš-Dekreten, der Fokus war vielmehr auf die gemeinsame Zukunft gerichtet. „Ich bin nun im siebten Jahr Ministerpräsident des Freistaates Bayern. Von Anfang an war die freundschaftliche, auf Aussöhnung gerichtete Begegnung mit Prag mein wichtigstes Ziel. Mit Blick auf den Ausgangspunkt 2008 muss ich sagen, dass dies heute ein bewegender, ja sogar ein historischer Augenblick ist“, betonte Seehofer.
Bohuslav Sobotka konterte Seehofers Charmeoffensive und verwies, wenn auch eine Spur nüchterner, auf die „inzwischen normalisierten, freundschaftlichen Beziehungen zwischen Tschechien und Bayern“. Bereits im vergangenen Sommer trafen sich die Beiden ein erstes Mal zu bilateralen Gesprächen. Damals einigte man sich auf eine gemeinsame Absichtserklärung für eine verstärkte wissenschaftliche Zusammenarbeit, nun folgte eine solche im Bereich Kultur. Im Jahr 2016 steht eine gemeinsame historische Landesausstellung zum römisch-deutschen Kaiser Karl IV. auf dem Programm. Sobotka und Seehofer nannten Prag und Nürnberg als Veranstaltungsorte dieses Partner-Projektes. Außerdem bekräftigte Sobotka die Absicht, die Dauerausstellung in Ústí nad Labem (Aussig) über die Geschichte der deutschsprachigen Bevölkerung in den Böhmischen Ländern finanziell zu unterstützen. Das kann durchaus als weiterer Ausdruck der politisch-gesellschaftlichen Entspannung verstanden werden, denn das Thema bleibt ein heikler Punkt in der tschechischen Wahrnehmung des mächtigen Nachbarn.
Wirtschaftliches Potential
Da vor allem über eine Intensivierung des kulturellen und gesellschaftlichen Dialogs gesprochen wurde, zu dem nun auch die Repräsentanz in Prag beitragen soll, rückten die wesentlichen Punkte der tschechisch-bayerischen Zusammenarbeit zunächst in den Hintergrund. „Unsere Partnerschaft besitzt ein großes kulturelles, politisches und wirtschaftliches Potential“, sagte Sobotka. Damit meint der Sozialdemokrat vor allem bayerisches Know-how in den Bereichen Wissenschaft und moderne Technologien. Hierzu ist für das erste Halbjahr 2015 ein Treffen auf höchster Ministerebene geplant, zu dem Seehofer nach Bayern eingeladen hat. Sobotka warb in dem Zusammenhang auch für den „attraktiven Investitionsstandort Tschechien“. Laut Seehofer sei sowohl den Tschechen als auch den Bayern am meisten gedient, wenn man sich auf optimierte Wirtschaftsbeziehungen konzentriere.
In diesem Zusammenhang betonten beide Politiker mit Nachdruck, wie wichtig ein rascher Ausbau der Zugverbindungen zwischen Bayern und Tschechien sei. Seehofer sah dabei vor allem Bayern und die Bundesrepublik in der Verantwortung. „Das ist eine Frage von nationaler Bedeutung, über die ich auch mit Bundeskanzlerin Merkel sprechen werde. Im nächsten Bundesverkehrswegeplan muss eine schnellere Schienenverbindung vorangetrieben werden.“ Seehofer habe sich ursprünglich sogar überlegt, mit dem Zug anzureisen, wegen der langen Fahrzeit aber davon abgesehen. Dem Scherz des Landeschefs liegt eine ernüchternde Tatsache zugrunde: Eine Zugfahrt von München nach Prag dauert rund sechs Stunden.
Vor den offiziellen Eröffnungsreden von Sobotka und Seehofer sprach Bayerns Staatsministerin für Europaangelegenheiten und regionale Beziehungen Beate Merk (CSU) von der elementaren „Wichtigkeit des persönlichen Gesprächs und Austausches“. Mit der Bayerischen Repräsentanz in Prag soll dieser Dialog nun auf allen möglichen Feldern gefördert werden. Dass dabei jedoch vor allem wirtschaftliche Fragen im Vordergrund stehen, wurde gegen Ende der Veranstaltung deutlich. Die von der CSU geforderte Pkw-Maut für Ausländer kam nie zur Sprache. Sie hätte der zarten Pflanze der neuen Freundschaft eher geschadet.
Seehofers Tauwetter-Politik
Am 27. Oktober 2008 wurde Horst Seehofer zum Ministerpräsidenten Bayerns gewählt. Seither hat sich viel geändert in der Tschechien-Politik des Freistaates. Vor Seehofer besuchte kein einziger bayerischer Regierungschef den östlichen Nachbarn. Sein Vorgänger Edmund Stoiber, der mit einer Heimatvertriebenen verheiratet ist, wich während seiner 14-jährigen Amtszeit nicht vom bayerischen Dogma ab, ein Regierungstreffen ohne Beteiligung von Vertretern der Sudetendeutschen sei undenkbar. Die Fronten waren über Jahrzehnte verhärtet, ein Dialog unter Ausklammerung der Beneš-Dekrete schien unmöglich. Horst Seehofer bekräftigte jedoch seit Beginn seiner Amtszeit, wie wichtig ihm eine Normalisierung und Verbesserung des Verhältnisses zu Prag sei. Diesen Absichten ließ der CSU-Chef auch Taten folgen.
19. Dezember 2010 Horst Seehofer reist als erster bayerischer Ministerpräsident zu einem offiziellen Besuch in die Tschechische Republik. Er meidet das kontroverse Thema „Vertreibung“ und setzt auf nüchternen, in die Zukunft gerichteten Dialog. Was seinerzeit kaum jemand wusste: Schon einige Tage zuvor traf sich Seehofer mit dem damaligen tschechischen Premierminister Petr Nečas (ODS) in Deutschland, um das Eis zu brechen.
23./24. November 2011 Der Ministerpräsident reist zum zweiten Mal über die bayerisch-böhmische Grenze. Symbolträchtig sind seine Besuche in den Stätten deutscher Kriegsverbrechen in Lidice und Theresienstadt.
21. Februar 2013 Tschechiens Premier Petr Nečas besucht seinen Amtskollegen in Bayern. Der warme Umgang der beiden erweckt den Eindruck einer sich anbahnenden Männerfreundschaft. Nečas besichtigt Dachau, gedenkt den sudetendeutschen Opfern nach dem Krieg und spricht vor dem Bayerischen Landtag. Damit trägt er wesentlich zum politischen Tauwetter bei.
3. Juli 2014 Seehofer beehrt Prag mit seiner dritten Visite. Zum ersten Mal trifft er dabei den neuen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Bohuslav Sobotka. Beide unterzeichnen ein Abkommen zu einer Kooperation im Bereich Forschung und Entwicklung, das den Austausch zwischen Schülern, Wissenschaftlern und Unternehmen fördern soll.
4. Dezember 2014 Seehofer eröffnet die Bayerische Repräsentanz in Prag und verabredet mit Sobotka ein Kabinettstreffen im ersten Halbjahr 2015.
„Eine Ausgezeichnete Wahl“: Das Palais Chotek
Die Bayerische Repräsentanz befindet sich im Palais Chotek, unweit des Altstädter Rings in der Michalská-Straße 12. Das Gebäude wurde 1422 erstmals urkundlich als „Haus zur Goldenen Melone“ („Dům U Zlatého melouna“) erwähnt. Teile des im gotischen Stil errichteten Nordtrakts wurden bereits 1401 erbaut. Bayerns Europaministerin Beate Merk gab sich bei ihrer Rede hocherfreut darüber, eine solch „wunderschöne Residenz“ im Zentrum gefunden zu haben, und die Botschaft nicht „irgendwo in einem modernen Bürokomplex am Stadtrand“ einweihen zu müssen. Tschechiens Premier Sobotka gratulierte zur „ausgezeichneten Wahl“.
Das Palais Chotek ist ein typischer Renaissancebau mit prachtvollen Sälen und kunstvollen Verzierungen. Im Laufe der Jahrhunderte wurde er mehrmals umgestaltet und mit Stilelementen aus Renaissance, Barock und Secession erweitert. Anfang des 18. Jahrhunderts gelangte das Gebäude in den Besitz des altböhmischen Adelsgeschlechts Chotek. Unter Johann Nepomuk Rudolf Graf von Chotek und seinem Sohn Karl wurde der Nord- mit dem Südtrakt verbunden und der Sitz so im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem einheitlichen repräsentativen Komplex.
Zeitweise dienten die Räumlichkeiten auch als Tanzschule des böhmischen Meisters Karel Linka oder als Verkaufsstelle für Konzertflügel. Die heutzutage wohl berühmteste Vertreterin der Chotek-Familie ist Sofie, die spätere Herzogin von Hohenberg und Ehefrau des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand. Sofie wohnte in ihrer Jugend zeitweise in dem Palais.
Der Freistaat lässt sich die Botschaft jährlich 600.000 Euro kosten. Büros und Repräsentationsräume verteilen sich auf insgesamt rund 400 Quadratmeter. Leiter der bayerischen Vertretung in Prag wird der bisherige Pressesprecher der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer Hannes Lachmann sein. (StK/PZ)
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