Ein Königreich aus Metall
Jiří Mládek erfüllt sich einen Kindheitstraum. Er sammelt Baukästen der Traditionsfirma Merkur, die seine Eltern sich früher nicht leisten konnten. Mittlerweile hat er sogar einen Eintrag im Guinessbuch der Rekorde
3. 9. 2014 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: privat
Manchmal beginnt Jiří Mládek am Abend zu schrauben. Wenn er dann wieder aus dem Fenster schaut, ist es plötzlich fünf Uhr morgens. Die Sonne geht auf und Mládek hat ein neues Modell fertiggestellt. Einen Brückenpfeiler zum Beispiel, ein Lastauto oder einen Schiffskran in Miniatur, alles zusammengeschraubt aus einfachen, meist wenigen Zentimeter großen Metallplatten mit Löchern an den Seiten. Die Bestandteile stammen aus den Metallbaukästen der tschechischen Traditionsfirma Merkur. Mit ihnen erfüllt sich der 68-Jährige einen Kindheitstraum, „auch wenn mir die Schrauben jetzt öfter auf den Boden fallen und die Finger nicht mehr so gelenkig sind“.
Mládek besitzt die weltweit größte Sammlung von Merkur-Baukästen. Mit etwa 1.300 Einzelteilen, die zwischen 90 Gramm und 15 Kilo wiegen, steht er seit Juni im tschechischen Buch der Rekorde. „In gewisser Weise kompensiere ich jetzt“, sagt Mládek und blickt auf eine seiner Wanderausstellungen, die derzeit im Rathaus von Prag 13 zu sehen ist, etwa zehn Kilometer südwestlich vom Stadtzentrum entfernt in Nové Butovice. Einen großen Teil der Modelle hat er selbst gebaut, aus seinen eigenen Baukästen. Das war nicht immer so.
Als Mládek vier Jahre alt war bekam er von einem Onkel ein paar Merkur-Metallplatten geschenkt, aus denen er sich eine Tankstelle baute. Damit war die Leidenschaft fürs Schrauben entfacht. Aber das Geld für das teure Merkur-Spielzeug fehlte. „Als ich ein kleiner Junge war, konnten meine Eltern sich das nicht leisten.“ Er habe sich so sehr einen Baukasten gewünscht, auch weil alle seine Freunde einen hatten, erinnert sich der gebürtige Prager und klingt noch immer ein wenig traurig dabei: „Sie haben ihre Modelle mit in die Schule gebracht und damit angegeben, nur der kleine Mládek hatte nichts.“ Schon damals habe er gespürt, dass die Metallbaukästen eine Leidenschaft fürs Leben werden würden. An Weihnachten wartete er jedoch vergeblich auf ein metallenes Geschenk unterm Christbaum. „Wenn ich groß bin, kaufe ich mir die größten Merkur-Teile, damit ich mir etwas Großes bauen kann“, habe er sich damals vorgenommen, erzählt der Sammler und Hobby-Schrauber.
Vorliebe für Brücken
Nach der Tankstelle schraubte er seine ersten größeren Modelle zunächst bei einem Freund zusammen, der im selben Haus wohnte und dessen Vater General war: „Er hatte ein Dutzend Schachteln und konnte nichts damit anfangen. Er mochte lieber Eisenbahnen.“ Mládek mochte gerne Brücken, also schraubte er Brücken zusammen für die Modelleisenbahnen seines Freundes. Rund 60 Jahre später hat sich an der Vorliebe für Brücken nichts geändert, nur etwas größer sind sie geworden. „Fast sechs Meter lang und etwa einen Meter hoch“, sagt Mládek und zeigt sein Modell der Eisenbahnbrücke bei Ivančice in der Nähe von Brünn. Das Original war 373 Meter lang und 44 Meter hoch. „Es war ein Industriedenkmal, aber weil das Geld für den Erhalt fehlte, wurde es vor etwa 20 Jahren abgerissen.“ Für das Modell, das derzeit im Foyer des Rathauses von Prag 13 steht, brauchte Mládek im Jahr 2010 etwa zwei Monate, als Vorlage diente ihm eine alte Postkarte.
Außer Brücken schraubt der gelernte Metallarbeiter- und Maschinenbauer heute gerne Riesenräder zusammen, auch wenn die deutlich anspruchsvoller sind. Eines davon ist derzeit in der Ausstellung in Nové Butovice zu sehen, ein anderes befindet sich dauerhaft im Nationalen Technikmuseum auf der Letná-Ebene. „So ein Riesenrad wiegt etwa ein Zentner“, sagt der Konstrukteur. Wie viele Schrauben und Metallplatten er dafür verwendet hat, weiß er nicht. „Es wäre schrecklich viel Arbeit, das zu zählen.“ Die Schrauberei dagegen empfindet er nicht als Arbeit, auch wenn sie bereits Spuren an seinem Körper hinterlassen hat: „Sehen Sie, hier habe ich schon eine Delle“, sagt er und zeigt seine rechte Handfläche. „Da passt genau der Schraubenzieher rein.“
Pädagogischer Erfolg
Seinen ersten eigenen Baukasten habe er sich 1980 geleistet, als sein Sohn zur Welt kam. Nach ein paar Jahren bauten sie gemeinsam – mit pädagogischem Erfolg, wie der Vater stolz berichtet: Sein Sohn arbeitet heute als Bauingenieur. Mittlerweile schraubt Mládek mit den Enkeln, und seit er in Rente ist, kann er einen Großteil seiner Freizeit seiner Leidenschaft widmen. Auf dem Speicher seines Häuschens in der Nähe von Roudnice nad Labem errichtete er sich sein „Merkur-Königreich“, wie er sagt. Dort baute er sieben Jahre lang an seiner größten Konstruktion, der „Stählernen Stadt“, wie sie in Jules Vernes Roman „Die 500 Millionen der Begum“ beschrieben wird. Sie wiegt 650 Kilo und schaffte es damit ins Guinessbuch der Rekorde.
Insgesamt bringt Mládeks Sammlung mehr als zwei Tonnen auf die Waage. „Wenn ich das alles zu Hause aufbewahren würde, dann wäre mein Häuschen schon längst zusammengekracht.“ Ein Teil seiner Modelle ist dauerhaft in verschiedenen Museen untergebracht, ein Teil reist als Wanderausstellung durch Tschechien und die Slowakei. Insgesamt hat er seine manchmal metergroßen und zentnerschweren Modelle in den vergangenen zehn Jahren für 80 Ausstellungen zur Verfügung gestellt. „Komplett“ wird sie so schnell wohl nicht werden.
Derzeit baut Mládek an zwei Baggern für den Kohleabbau. Der dazugehörige Baukasten mit Anleitung kam in den siebziger Jahren auf den Markt, fertig zusammengeschraubte Modelle seien jedoch selten. „Ich werde oft danach gefragt. Wenn es gut läuft, werden sie in zwei Monaten fertig sein.“ Parallel dazu sucht er nach dem Jungen, der damals Modell stand für die Verpackung des Baukastens. „Er müsste jetzt um die 50 sein“, glaubt Mládek. Vielleicht ist ja auch er seiner Leidenschaft für Merkur bis heute treu geblieben.
Im Rathaus von Prag 13 (Petržílkova 2583/13, Nové Butovice) sind die Modelle von Jiří Mládek und anderen Sammlern sowie historische Baukästen und Konstruktionen noch bis 28. September montags und mittwochs von 8 bis 18 Uhr, dienstags und donnerstags von 8 bis 16 Uhr und freitags von 8 bis 15 Uhr zu sehen. Am Wochenende kann ein Teil der Ausstellung von 9 bis 17 Uhr besichtigt werden. Außerdem gibt es einen Raum mit Platten und Werkzeug zum Selberschrauben.
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