Ein Königreich für eine Schwester

Ein Königreich für eine Schwester

Neben Ärzten fehlen im ganzen Land Krankenpfleger. Viele Kliniken kämpfen mit finanziellen Anreizen um neues Personal. Doch es hakt auch bei der Ausbildung

17. 2. 2016 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: APZ

Ein Dutzend Pfleger und zehn Ärzte oder 15 Krankenschwestern und 20 Mediziner – wer Klinikleiter in Tschechien nach ihren Wünschen fragt, kommt derzeit schnell auf die Personalnot zu sprechen. Die meisten Krankenhäuser suchen dringend Mitarbeiter. Und viele lassen es sich auch etwas kosten. Gehaltserhöhungen, Prämien und Stipendien werden erfahrenen wie angehenden Medizinern und Krankenschwestern angepriesen. Doch der Mangel könnte auch Gründe haben, die sich mit finanziellen Anreizen nicht so schnell beheben lassen, warnen Experten.

Um mehr als ein Drittel ist die Zahl der Absolventen eines Medizin­studiums oder einer Pflegeausbildung in den vergangenen 30 Jahren gesunken. Auch wenn sich das System sofort ändern würde und die Schulen mehr Kandidaten aufnähmen, würde es 15 Jahre dauern, bis es wieder so viele Absolventen gibt wie 1985. Das sagte kürzlich der Vorsitzende des Verbandes böhmischer und mährischer Krankenhäuser Eduard Sohlich.

Besonders deutlich ist der Rückgang bei den Pflegern. Im Jahr 1985 wurden an den vierjährigen Pflegeschulen (střední zdravotnické školy) gut 2.400 allgemeine Krankenschwestern ausgebildet. Im Jahr 2014 dagegen erlangten denselben Berufsabschluss (vyšší odborné školy) nach siebenjähriger Ausbildung nur 1.550 Kandidaten. Einen mittleren Abschluss zum Pflegeassistenten (zdravotnický asistent) machten weitere 1.890 Menschen; sie haben jedoch im Vergleich zu den Pflegern nur eingeschränkte Kompetenzen. „Es sieht aus, als gäbe es genug Absolventen der mittleren Schulen, aber sie sind nicht qualifiziert genug“, kritisiert Sohlich. Branchenvertreter warnen, dass kleinere Krankenhäuser den Betrieb bereits einschränken, weil ihnen neben den Ärzten auch das Pflegepersonal fehlt.

50.000 registrierte Ärzte
Noch immer wandern viele Mediziner ins Ausland ab, ebenso qualifizierte Krankenschwestern. Sohlich fordert deswegen, die Zahl der Absolventen über das Niveau von 1985 zu heben. Potenzial sei vorhanden: Im Jahr 2014 hätten sich laut Statistiken des Schulministeriums mehr als 14.000 Interessenten um ein Medizinstudium beworben, die Universitäten nahmen aber nur knapp 2.300 Kandidaten auf.

Derzeit sind in Tschechien schätzungsweise 100.000 Krankenschwestern beschäftigt. Bei der Ärztekammer sind 50.000 Ärzte registriert, davon prakti­zieren knapp 39.000. In einer Klinik verdient ein Mediziner im Durchschnitt etwas mehr als 63.000 Kronen brutto im Monat (gut 2.300 Euro), Pfleger kommen auf rund 28.000 Kronen (1.000 Euro).

Wie dringend Handlungs­bedarf besteht, machen die Aussagen aus den Kreisen deutlich. Aber auch, dass es wohl nicht nur ums Geld geht. In Mittelböhmen zum Beispiel haben in diesem und im vergangenen Jahr die meisten Kliniken die Gehälter ihrer Angestellten erhöht. Dennoch fehlen im Kreis Dutzende Pfleger und Ärzte. In Kladno zum Beispiel bekommen Pfleger etwa 30.000 Kronen im Monat. Gesucht werden derzeit knapp ein Dutzend Ärzte und etwa 15 Pfleger. Etwa zehn Ärzte und 20 Pfleger werden auch im Krankenhaus Klaudiánova in Mladá Boleslav gesucht, ähnliche Zahlen melden andere Häuser in der Region.

Auch weiter nördlich suchen fast alle Krankenhäuser dringend nach Personal. In manchen kleineren Kliniken in Nord­böhmen mussten deswegen bereits Abteilungen geschlossen werden. Im Kreiskrankenhaus in Liberec, das nicht nur den 440.000 Einwohnern dient, sondern in der Traumatologie und Neurochirurgie Patienten aus dem ganzen Land behandelt, fehlen unter anderem Internisten. Die Löhne für Ärzte sind im vergangenen Jahr um etwa zehn Prozent gestiegen, die der Pfleger um 6,3. Doch weil das Krankenhaus aufwendige medizinische Behandlungen anbietet, braucht es auch viel Personal, um die Patienten zu versorgen. „Es ist praktisch unmöglich, Ersatz für Schwestern und Ärzte zu finden, die uns verlassen“, so Direktor Luděk Nečesaný. Um neue Mitarbeiter zu gewinnen, verspricht er zum Beispiel eine Belohnung für die Vermittlung von Ärzten; Medizinstudenten und Pflegeschüler lockt er mit Stipendien. Außerdem fahren Vertreter des Krankenhauses zu Fachkongressen in die Slowakei und präsentieren ihre Klinik dort als attraktiven Arbeitgeber.

Lockmittel Stipendium
Das Kreiskrankenhaus in Česká Lípa dagegen versucht es mit finanziellen Anreizen. Ärzten bietet es unter anderem eine Einstiegsprämie von 100.000 Kronen, Krankenschwestern bekommen 20.000. Die Gehälter liegen bei 70.000 Kronen im Monat für Ärzte und rund 25.700 für Pfleger. Im vergangenen Jahr stiegen sie um etwa zehn Prozent, auch für dieses Jahr ist eine Erhöhung geplant.

Das Stadtkrankenhaus in Ostra­va (MNO) hat im Januar eine Werbekampagne gestartet und unter anderem Prämien für neue Mitarbeiter ausgeschrieben. Es sucht Krankenschwestern für die Kardiologie, die Innere Medizin und die Altenmedizin sowie erfahrene Ärzte für diese und andere Bereiche. Die Klinik kontaktiert angehende Mediziner bereits während des Studiums und bietet ihnen Stipendien an. Personalchefin Denisa Sedláčková verspricht weitere Gehaltserhöhungen und „interessante Vorteile“ für Mitarbeiter. „Die Entlohnung der Angestellten hat für unser Krankenhaus dieses Jahr besonderen Vorrang“, so Sedláčková. Ein Arzt verdiente am MNO im vergangenen Jahr durchschnittlich 67.600 Kronen brutto im Monat, eine Krankenschwester 29.000. Zum Vergleich: Der Bruttodurchschnittslohn im Kreis Ostrava lag im dritten Quartal des vergangenen Jahres bei knapp 24.000 Kronen.

Die Uniklinik in Pilsen, das größte Krankenhaus in Südwestböhmen, sucht derzeit 45 Pfleger und 20 Ärzte. Die Leitung habe „bis jetzt noch nicht beschlossen, den Betrieb einzuschränken“, sagt Sprecherin  Gabriela Levorová. Die Personalnot ist groß – und das, obwohl sich in der Stadt die medizinische Fakultät, eine Pflegeschule sowie eine Fachhochschule befinden. Zudem bietet die Uniklinik höhere Gehälter als andere Einrichtungen in der Umgebung.

Personalsorgen kennt auch Markéta Smutná, Sprecherin einer Privatklinik in Roudnice nad Labem (Kreis Ústí nad Labem). Sie rechnet nicht damit, dass das Problem bald gelöst wird. Ihr Arbeitgeber sucht derzeit fünf Ärzte und acht Pfleger. „Der Personalmangel ist ein flächendeckendes Problem“, sagt sie. „Es gibt einfach nicht genug Absolventen.“

Das Gesundheitsministeriu­m hat das Problem offenbar erkannt. Es plant eine Gesetzesänderung, die dafür sorgen soll, dass angehende Ärzte und Schwestern schneller fertig werden. Die Ausbildung der Pfleger soll sich auf vier Jahre Pflegeschule plus ein Jahr Fachschule verkürzen. Angehende Ärzte sollen einen großen Teil der praktischen Ausbildung an Krankenhäusern in den Regionen absolvieren statt an den Universitätskliniken.