Ein Land sucht seinen Namen
Czech Republic soll auch Czechia heißen – doch das Wort ist umstritten
20. 4. 2016 - Text: Marcus HundtText: mh/čtk; Foto: APZ
Das erste Zeichen setzten ausgerechnet die tschechischen Tennisdamen. Bei der Auslosung des Fed-Cup-Halbfinales am Freitag in der Schweiz ließ sich das Team auf Englisch nicht wie üblich mit „Czech Republic“ ankündigen, sondern schlicht mit „Czechia“. Tags zuvor hatten die höchsten Repräsentanten des Staates beschlossen, die Kurzform des Ländernamens bei den Vereinten Nationen registrieren zu lassen. Der Staatspräsident, der Premier, der Verteidigungsminister und die Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern folgten damit dem Vorschlag von Außenminister Lubomír Zaorálek (ČSSD), der Zweitname – auf Deutsch hat sich Tschechien bereits eingebürgert – möge doch in den sechs offiziellen UN-Sprachen (Englisch, Französisch, Russisch, Spanisch, Arabisch, Chinesisch) verwendet werden.
Doch während sich etwa an den Ausdrücken „Tchéquie“ oder „Chequia“ niemand stört, ist ein Streit um die englische Bezeichnung „Czechia“ entbrannt. Die Ministerin für Regionalentwicklung Karla Šlechtová (ANO) hat sich als Wortführerin der Kritiker hervorgetan: „Ich identifiziere mich nicht mit diesem Namen. Seit Jahren werben wir mit ,Czech Republic – Land of Stories‘. Für die weltweite Kampagne haben wir zwischen 2013 und 2015 etwa 1,1 Milliarden Kronen ausgegeben.“ Die Einführung eines neuen Logos empfindet sie als „unglücklichen Schritt“ und fordert daher ein Referendum. „Ich will nicht, dass unser Land mit Tschetschenien (auf Englisch Chechnya, Anm. d. Red.) verwechselt wird. Zu dieser Sache müssen sich alle äußern. Denn wir alle sind Tschechen“, ließ Šlechtová über Twitter ausrichten.
Heftige Wortgefechte
Außenminister Zaorálek verspricht sich von der neuen Bezeichnung viele Vorteile. Er will sie als Marke etablieren, etwa bei Sportveranstaltungen, im Tourismus oder als Herkunftsangabe bestimmter Produkte. Auf Bierflaschen aus Pilsen und Porzellan aus Karlsbad könnte also bald „Made in Czechia“ statt „Made in Czech Republic“ stehen.
„Es heißt doch schließlich auch ,Made in Germany‘ und nicht ,Made in Federal Republic of Germany‘“, brachte es Vizepremier und Wissenschaftsminister Pavel Bělobrádek (KDU-ČSL) auf den Punkt. Der Verband für Industrie und Verkehr (SP ČR) sieht das anders. „Es gibt wirksamere Mittel, die unsere Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und unseren Exporteuren helfen“, sagte der Verbandsvorsitzende Jaroslav Hanák und mahnte, die Verwendung eines neuen Begriffs sei mit einem erheblichen Risiko und hohen Ausgaben verbunden. In vielen Ländern habe sich noch nicht einmal „Czech Republic“ durchgesetzt, dort funktioniere noch immer die Marke „Made in Czechoslovakia“.
Der Außenminister sieht weltweit ein grundsätzliches Problem der Tschechischen Republik. „Es ist nicht gut für ein Land, wenn noch nicht einmal klar ist, wie es heißt. Uns ist es nicht gelungen, der Welt zu vermitteln, dass wir hierzulande die Kurzform ,Česko‘ verwenden und es dafür unserer Meinung nach nur eine mögliche Übersetzung gibt“, erklärte Zaorálek.
Für das tschechische „Česko“ und das englische „Czechia“ sprechen sich auch renommierte Sprachwissenschaftler aus. Bei englischen Muttersprachlern allerdings löst das Wort eher Befremden aus. Neben der offiziellen Bezeichnung werden auch die Ausdrücke „Czechlands“, „Czech“ und – trotz der Teilung vor 23 Jahren – immer noch „Czechoslovakia“ verwendet. Befürworter von „Czechia“ führen an, bereits 1866 sei der Ausdruck in der australischen Zeitung „The Mercury“, im Jahr 1925 auch in der „New York Times“ veröffentlicht worden.
Der langjährige Berater von Ex-Präsident Václav Havel und Direktor der New York University in Prag Jiří Pehe begrüßt den Vorstoß des tschechischen Außenministers: „Gegenüber Ausländern sage ich, dass ich aus Prag komme. Wenn man sagt, man kommt aus der Tschechischen Republik, fassen sie sich an den Kopf und fragen, wo das genau in Jugoslawien liegt.“ Wenn andere den Namen des eigenen Heimatlandes nicht kennen, löse das laut Pehe eine gewisse Identitätskrise aus.
Während sich Fürsprecher und Gegner der englischen Kurzform teils heftige Wortgefechte liefern, überraschte der ehemalige Außenminister Karel Schwarzenberg (TOP 09) Ende vergangener Woche mit einem eigenen Vorschlag. Warum sollte das Land auf Englisch nicht „Bohemia“ heißen, fragte das Familienoberhaupt eines böhmischen Adelsgeschlechts. „Das ist ein ehrenhafter Ausdruck, der an das Königreich Böhmen erinnert.“ In einer nicht repräsentativen Umfrage der Tageszeitung „Lidové noviny“ landete „Bohemia“ sogar auf dem ersten Platz, vor „Czech“ und „Czechia“. Da das Wort den Landesteil Mähren allerdings vollkommen ausschließt und sich einige mährische Verbände schon gegen „Czechia“ wehren, wird sich Schwarzenbergs Vorschlag wohl nicht durchsetzen.
Ob „Czechia“, „Czech Republic“ oder „Bohemia“: David Černý, der mit seinen Kunstaktionen auch international für Aufsehen sorgt, findet die ganze Debatte „idiotisch“. Akute Probleme wie der zunehmende Fremdenhass gerieten in den Hintergrund. In einem Interview mit der „New York Times“ sagte Černý, das Problem dieses Landes sei nicht sein Name, sondern was mit ihm derzeit geschieht. „Die Sache zeigt nur eines: dass der Schwanz mit dem Hund wedelt.“
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“