„Ein wahres Meisterwerk“
Jakub Hrůša über Smetanas berühmten Zyklus „Mein Vaterland“ und die Arbeit mit den Bamberger Symphonikern
11. 5. 2019 - Interview: Klaus Hanisch, Titelbild: Michael Aust
PZ: Es müsse ein bedeutender Auftritt sein, wenn Sie in Prag gastieren, sagten Sie in einem Interview mit der „Prager Zeitung“ vor drei Jahren. Am 12. Mai eröffnen Sie mit den Bambergern den „Prager Frühling“. Ist dies die erhoffte große Bühne?
Jakub Hrůša: Ja. Ich meinte das vor allem im Zusammenhang mit dem Besuch der Bamberger Symphoniker. Ich habe mir gewünscht, dass es ein ganz besonderer Anlass wird, wenn ich zusammen mit dem Orchester nach Prag komme. Und es gibt keinen besseren Anlass als die Eröffnung des Festivals „Prager Frühling“, das die wichtigste Veranstaltung der klassischen Musik in der Tschechischen Republik überhaupt ist. Ich fühle mich wirklich geehrt und bin bewegt, dass wir dort „Má vlast“ von Smetana spielen können.
Was versprechen Sie dem Publikum?
Ich denke, unsere Interpretation wird authentisch sein. Wir haben „Má vlast“ schon mehrmals gespielt, wir haben es aufgenommen – es ist etwas, das das Orchester bereits verinnerlicht hat. Es wird monumental sein, aber – wie ich hoffe – mit viel Liebe zum Detail.
Warum wird „Má vlast“ („Mein Vaterland“) als gesamter Zyklus live nur selten aufgeführt?
Ich denke, es ist sehr anspruchsvoll, sowohl zu spielen als auch zuzuhören – und einige Leute mögen vielleicht zu viel von den nationalen Gefühlen darin lesen. Manchmal sind die Gründe aber auch kommerzieller Natur: Die Veranstalter haben Angst, dass sie den Abend nicht nur mit Musik von Smetana verkaufen können. Smetana war ein genialer Komponist, von einigen Leuten, die darüber entscheiden, was ins Programm kommt oder ob sie ein Ticket kaufen wollen, wird er jedoch manchmal nicht so respektiert. Aber ich denke, es ist die Größe des gesamten Zyklus, die viel Mühe bei der Vorbereitung, beim Spielen und Zuhören erfordert. Das ist aber auch genau das, was es so besonders macht.
Sie haben es bereits erwähnt: „Má vlast“ war 2016 auch Ihre erste gemeinsame CD-Produktion mit dem Bamberger Orchester. Kritiker schrieben danach, selten könne man erleben, dass ein Dirigent derart genau im Detail arbeite. Spielt ein Tscheche dieses Werk mit mehr Pathos und Empathie ein?
Ich glaube schon. Ich würde den Begriff Pathos nicht verwenden, aber definitiv mit mehr Emotionen.
Das Orchester habe ein besonderes Temperament demonstriert, wurde zudem geschrieben, vor allem in den folkloristischen Momenten, etwa im vierten Satz „Aus Böhmens Hain und Flur“. Wie sehr half der berühmte „böhmische Klang“ der Bamberger bei der Einspielung?
Ich denke, es hat geholfen – auch wenn, wie ich oft sage, der sogenannte böhmische Klang nicht etwas ist, woran wir explizit arbeiten. Es sind nur die Klangcharakteristika unseres Orchesters, die sehr gut zu dieser Art von Musik passen und die ich sanft versuche zu pflegen.
Ist „Má vlast“ auch für Sie die heimliche Nationalhymne der Tschechen?
Keine Nationalhymne, aber das wichtigste, grundlegende Stück programmatischer symphonischer Musik in unserer Geschichte. Und es bedeutet viel für die ganze Kulturnation. Auch für mich ist das Werk sehr bewegend.
Als die sechs sinfonischen Dichtungen im November 1882 in Prag erstmals aufgeführt wurden, war Smetana bereits taub. Trotzdem schuf er erst dann sein berühmtestes Werk „Die Moldau“. Hatte die Erkrankung nach Ihrer Einschätzung einen Einfluss auf das Werk?
Eine interessante Frage. Definitiv keinen negativen Einfluss. Ich würde eher sagen einen positiven: Smetanas inneres Gehör war perfekt und aufgrund seiner Taubheit konzentrierte er sich viel mehr auf die Komposition. Er wurde mutiger in seinen Ideen und seinem Denken. Der ganze Zyklus wurde mehr oder weniger konzipiert und komponiert, als er völlig taub war. Und so konnte er nie überprüfen, wie es klingt. Das erstaunt mich immer mehr. Das Ganze ist proportional, harmonisch, polyphon ein Meisterwerk. Und das alles ist nur ein Spiegel seines inneren Musiksinns und seiner tiefen Kreativität. Ich ziehe meinen Hut davor! Übrigens hat Smetana auch fast nie irgendwelche Skizzen gemacht. Er hörte alles in seinem Kopf – und notierte dann direkt in die Gesamtpartitur.
Schon 2014 feierten Sie ein umjubeltes Debüt als Gast bei den Bambergern, ebenfalls mit „Má vlast“. War Smetana quasi die Nagelprobe, ob Sie und die Bamberger zusammenpassen?
Das kann man so sehen. Für beide Seiten.
Bamberg ist Ihre erste Erfahrung im Ausland über einen längeren Zeitraum. Wie ist Deutschland für Sie?
Das würde ich so nicht sagen. Ich habe mein ganzes Berufsleben lang im Ausland gearbeitet, auch über längere Zeiträume, vor allem in England, zum Beispiel als Musikdirektor von „Glyndebourne on Tour“. Aber ich empfand Deutschland – und auch Österreich – immer als meine zweite musikalische Heimat jenseits der Grenzen. Mir gefällt die Idee einer mitteleuropäischen kulturellen Einheit, einer Familie verschiedener, aber immer noch verwandter Kulturen, wenn Sie so wollen. Diese Idee kann ich in Bamberg in die Praxis umsetzen. Und ich fühle mich sehr wohl – in Bamberg und in Deutschland.
Sie haben Ihren Vertrag als Dirigent der Bamberger Symphoniker für fünf weitere Spielzeiten bis 2026 verlängert. Welche Aufgaben stellen Sie sich vorrangig für diese Zeit?
Das Orchester ständig zu verbessern – und dabei in guter Stimmung zu bleiben. So weit, so gut!
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