Ein Netzwerk für mehr als drei Millionen Menschen

Ein Netzwerk für mehr als drei Millionen Menschen

EgroNet verbindet seit 15 Jahren das westliche Böhmen mit Sachsen, Thüringen und Bayern – Jubiläumsveranstaltungen finden auf tschechischer Seite im September statt

27. 5. 2015 - Text: Klaus HanischText: Klaus Hanisch; Foto: PZ

 

Der 28. Mai 2000 war ein wichtiges Datum. An diesem Tag fuhr um kurz nach 6 Uhr morgens wieder ein Zug über eine Behelfsbrücke vom sächsischen Klingenthal ins böhmische Kraslice (Graslitz). Die Strecke bestand bereits zwischen 1886 und 1945 und war damals ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Danach trennte sie der Eiserne Vorhang jedoch für gut 55 Jahre.

Mit diesem Zug nahm auch ein außergewöhnliches Projekt Fahrt auf: EgroNet kam auf die Schiene. Dieses Netzwerk verbindet Sachsen, Thüringen, Bayern und das westliche Böhmen über ein System von Bahnen und Bussen.

Das gelingt durch eine Kooperation von 15 Landkreisen und kreisfreien Städten – und durch deren jeweilige Verkehrsbetriebe. „Diese Regionen waren über Jahrzehnte getrennt, wir wollen die Menschen wieder zusammenführen“, so Thorsten Müller, Geschäftsführer von Egro­Net. Dazu dient die gemeinsame öffentliche Infrastruktur.

Mit einem Ticket für 16 Euro beziehungsweise 150 Kronen können Fahrgäste einen Tag lang sprichwörtlich kreuz und quer durch die Gegend fahren, Sehenswürdigkeiten besichtigen, Veranstaltungen und Thermen besuchen, Wintersportangebote nutzen und zu Wanderungen aufbrechen. Oder zu einer Radtour, denn ein Fahrrad kann kostenlos mitgenommen werden.

„Unser Angebot soll sowohl Bewohner als auch Touristen ansprechen“, unterstreicht Müller. „Wir sehen den Freizeitaspekt wie den öffentlichen Personennahverkehr.“ Wobei es in diesen Regionen allerdings kaum Pendler gibt.

Das Gebiet erstreckt sich auf rund 15.000 Quadratkilometer zwischen Karlovy Vary (Karlsbad), Cheb (Eger), Bayreuth, Hof, Gera, Plauen und Zwickau. Mit zwei Tagestickets können zwei Erwachsene auch bis zu vier Kinder bis 14 Jahren mitnehmen. Die Fahrkarten berechtigen zu beliebig vielen Fahrten im Liniennetz von EgroNet. Kinder unter sechs Jahren fahren umsonst.

Dafür stehen 42 Eisenbahn-, 187 Stadtverkehrs- und 464 Omnibusstrecken zur Verfügung. Es gibt einen gedruckten Fahrplan für Eisenbahnverbindungen im EgroNet. Auf der Homepage können sich Fahrgäste zuvor ihre eigene Route auch mit Busverbindungen zusammenstellen.

Außerdem gibt ein Reiseführer für „Tagestouren im Vierländereck“ Tipps für 16 Rad- und Wanderwege sowie Stadtrundgänge im EgroNet-Gebiet. Wer ein Ticket vorlegt, erhält oft Rabatte bei Einrichtungen von Handel, Kultur, Sport und Gastronomie. Diese Vergünstigungen werden neben anderem in der Broschüre „Infos zum EgroNet-Ticket“ aufgelistet.

Für all diese Marketing- und Werbemaßnahmen stehen Müller nur rund 100.000 Euro durch Mitgliedsbeiträge der Städte und Landkreise zur Verfügung. „Wir versuchen, mit wenig Geld möglichst viel für unsere Fahrgäste zu machen“, sagt der Geschäftsführer. Dazu zählen auch Radiospots in Tschechien sowie eine elek­tronische Auskunft von 7.30 bis 19 Uhr. „Auch für Tschechien, aber leider nicht in tschechischer Sprache“, bedauert Müller.

Doch wie völkerverbindend ist der internationale Verkehrsverbund im Vierländereck tatsächlich? „Wir haben im vergangenen Jahr über 50.000 Tickets verkauft und damit eine neue Rekordzahl erreicht“, freut sich Thorsten Müller, „auch in Tschechien steigt die Zahl stetig, etwa 40 Prozent der Tickets verkaufen wir in Kronen.“

Durch EgroNet spiele sich ein reger Grenzverkehr ab. „Gäste fahren von Bayreuth nach Marien­bad, ebenso von Franzensbad nach Plauen oder von Zwickau nach Sokolov“, zählt er einige Beispiele auf. Dabei hat EgroNet einen besonderen Vorteil. „Wenn man von Sachsen nach Oberfranken fährt, kommt man in verschiedene Verbund- und Tarifräume bei Bussen und Straßenbahnen und braucht dementsprechend viele Fahrscheine. Nur mit unserem Ticket kann man sie durchgängig benutzen“, so Müller.

Der Name des Netzwerkes leitet sich aus „Euregio Egrensis“ ab. So heißt das Vierländereck zwischen Bayern, Böhmen, Thüringen und Sachsen. Dabei steht Euregio für die europäische Region, während Egrensis das lateinische Wort für das Gebiet am Fluss Eger ist. Das Gebiet ist seit Jahrhunderten eng verflochten, vor allem durch die Industrie für Glas, Textil, Porzellan, Spitzen und Musikinstrumente sowie durch zahlreiche Kurorte und Heilbäder.

Die Mitglieder von EgroNet kommen ebenfalls größtenteils aus dieser Region, jedoch auch aus der Oberpfalz. „Wir sind quasi der große Sohn der Europa-Region“, erläutert Thorsten Müller. Weiter wachsen soll EgroNet jedoch nicht, obwohl es Anfragen gab. „Die Mitglieder wollen, dass das Netz und der Verbund überschaubar bleiben“, so Müller. Deshalb sei etwa ein Anschluss von Leipzig nicht gewünscht, auch wenn viele Bewohner von dort gerne Urlaub im Vogtland machen.

Hocherfreut ist er aber über den Lückenschluss zwischen dem oberfränkischen Selb und dem tschechischen Aš (Asch) mitten im Verbund von EgroNet, an dem bereits gebaut wird. Schon ab Dezember sollen die ersten Nahverkehrszüge über die Grenze rollen. Daraus ergeben sich ganz neue Fahrmöglichkeiten. Sogar ein regelrechter Ringverkehr. „Dann kann ein Reisender von Hof über Selb und Asch nach Franzensbad fahren und über Cheb, Plauen und Gera zurück nach Hof“, begeistert sich Müller, „oder er fährt einfach mal von Hof ins Elstertal.“

EgroNet entstand im Rahmen der Expo 2000 in Hannover. „An der damaligen EU-Außengrenze und als eines von nur wenigen Außenprojekten der Weltausstellung“, so Müller. Seitdem wird EgroNet als grenzüberschreitendes Mobilitätsprojekt weiterentwickelt und ausgebaut.

Dabei gab es anfangs durchaus „Probleme, solch ein Ticket ins Leben zu rufen“, wie sich Müller erinnert. Eine wichtige Voraussetzung dafür war „die Bahnreform ab 1994, bei der viele Strecken aufgepäppelt wurden.“ Dazu zählte die Regionalisierung des Schienennahverkehrs im Vogtland. In Neumark wurde die Vogtlandbahn geschaffen und in Auerbach eine Tourismus- und Verkehrszentrale eröffnet. Der Verkehrsverbund Vogtland koordiniert die Zusammenarbeit von EgroNet.

Kurz nach dem Zug vom 28. Mai erfolgte im Juni 2000 der offizielle Start von EgroNet mit einem ersten Fahrplan und dem EgroNet-Ticket als Einzel-, Gruppen- und Familienfahrschein für Straßenbahnen, Busse und Züge. Im September 2000 rollte erstmals ein Zug über eine neue Brücke von Klingenthal nach Kraslice.

Weitere Meilensteine waren der Juni 2003, als der Zugverkehr zwischen Zwickau und Karlovy Vary nach der Sanierung der Bahnlinie durch das Erzgebirge aufgenommen wurde. Und der Februar 2004 mit dem Beginn des Pilotprojekts „Telefahrschein“ im sächsischen und böhmischen Teil von EgroNet, an dem über 500 Personen teilnahmen, darunter 50 aus dem Bezirk Karlovy Vary.

Im April 2004 wurde ein System von Rad-, Wander- und Skibussen im Vogtland ins Leben gerufen, mit Anschlüssen an ähnliche Nahverkehrsmittel in Bayern und Böhmen. Den Beitritt Tschechiens zur EU feierte EgroNet im Mai 2004 mit kostenlosen Fahrten.

Auf der ersten Mitgliederversammlung im September 2004 traten weitere Kommunen und Kreise aus Bayern und Tschechien dem Verkehrsverbund bei. Ebenso Ende September 2005, als sich die Stadt Cheb und die Landkreise Bayreuth, Kulmbach und Greiz während der zweiten Mitgliederversammlung anschlossen. Zum zehnjährigen Jubiläum fanden im Mai und Juni 2010 Festveranstaltungen in Sachsen und Tschechien statt.

Das 15-jährige Jubiläum von EgroNet wird jedoch erst am 19. September gebührend gewürdigt. „Es gibt vier Eisenbahnstrecken rund um Cheb, die dann eine 150-jährige Geschichte aufweisen, dazu noch welche mit 140-jähriger Historie“, erläutert Thorsten Müller, „deshalb werden wir unser Jubiläum dort gebündelt und gemeinsam mit der Tschechischen Bahn feiern.“

Dazu zählt das 150-jährige Jubiläum der Vogtländischen Staatseisenbahn, die ab 1865 das Vogtland und Westböhmen verband. Deshalb wird am 19. September ein Dampf-Sonderzug von Plauen nach Cheb unterwegs sein, wo ein Bahnhofsfest mit einer Lokomotiv-Ausstellung unter Leitung der Tschechische Bahn geplant ist.

Dass EgroNet längst eine Erfolgsgeschichte ist, beweisen neben dem steigenden Ticketverkauf auch mehrere Auszeichnungen. Dabei wurde gewürdigt, dass das Netzwerk eine Pionierarbeit im grenzüberschreitenden ÖPNV zwischen drei Bundesländern und einem tschechischen Bezirk leiste. Insbesondere im Tarif- und Marketingbereich sei die Zusammenarbeit mit Tschechien nach Aussagen von Laudatoren modellhaft.

Schon im September 2003 erhielt der Verbund aufgrund seiner Fahrgastfreundlichkeit den „Deutschen Schienenverkehrspreis“ des Deutschen Bahnkunden-Verbandes (DBV). Im Januar 2006 wurde EgroNet mit dem „Umweltpreis 2006“ von Bayern geehrt und einen Monat später mit dem Umweltpreis der Kreisgruppe Hof des Bund Naturschutz, weil das Netz maßgeblich zur Organisation und positiven Entwicklung des grenzübergreifenden Nahverkehrs beigetragen habe.

Im April 2008 gab es auch noch den „Bayerischen ÖPNV-Preis“ für vorbildliche Leistungen und Lösungen zur Steigerung der Attraktivität im öffentlichen Personennahverkehr des Freistaates. Und tatsächlich dient EgroNet für andere als Beispiel einer gelungenen Verkehrskooperation. Etwa für die Euregio Rhein-Waal an der deutsch-niederländischen Grenze, wo Geschäftsführer Müller sein Projekt bereits vorstellte.