Ein Roadtrip ins Scheitern
Auf der Berlinale läuft der Spielfilm „Koza“ über den slowakischen Olympiasieger Peter Baláž
11. 2. 2015 - Text: Isabelle DanielText: Isabelle Daniel; Foto: Martin Kollar
Im Jahr 1996 wurde der Slowake Peter „Koza“ Baláž Olympiasieger im Boxen. Heute lebt er in einer Roma-Siedlung und kämpft um seine Existenz. Die Geschichte inspirierte Regisseur Ivan Ostrochovský zu seinem ersten Spielfilm, der auf der Berlinale im Wettbewerb um das beste Debüt läuft. Baláž ist darin ein Antiheld – und spielt sich selbst
Koza, die Ziege: So nennen ihn Freunde, Weggefährten, Sportfans. 1996 landete Peter Baláž, der damals 22-Jährige mit der leichten geistigen Behinderung, den Coup seines Lebens. Bei den Olympischen Spielen in Atlanta holte der Boxer Gold im Fliegengewicht. Von dem kurzen Ruhm ist ihm nur der Name geblieben. Baláž wohnt noch immer in derselben verwahrlosten Roma-Siedlung, lebt vom Sammeln von Metallschrott und boxt, wenn er kann – jedoch nicht mehr im internationalen Ring.
Die erste Minute von „Koza“ umreißt die Biographie des Peter Baláž in groben Zügen: Der siegreiche Olympia-Kampf 1996. Der um fast 20 Jahre gealterte Baláž, wie er, einen Autoreifen als Gewicht hinter sich herziehend, die Bahngleise entlang seiner Siedlung joggt. Und schließlich die Szene, die dem Film seine Richtung gibt, ja die Zündschnur für den Filmdreh überhaupt war. Jene Szene, in der Peters Freundin Miša erfährt, dass sie schwanger ist – eine schlechte Nachricht angesichts der miserablen wirtschaftlichen Situation, in der sich das Paar befindet.
Geld für die Abtreibung
Es ist auch eine Rekapitulation dessen, was vor einigen Jahren tatsächlich passierte. Als Miša beschloss, abzutreiben, wandte sich Peter mit der Bitte um Geld an seinen Freund aus Kindheitstagen, Ivan Ostrochovský. Der Regisseur, aufgewachsen unweit von der Roma-Siedlung, in der Peter und Miša heute leben, hatte bereits einige Jahre zuvor einen kurzen Dokumentarfilm über Baláž gedreht. In der prekären Lage, in der Miša ihre Schwangerschaft abbrechen musste, weil sie und ihr Freund nicht genug Geld für die Ernährung eines zweiten Kindes hatten, erkannte Ostrochovský den Stoff für einen weiteren Dokumentarfilm, dieses Mal einen längeren. An einen Spielfilm habe er zunächst gar nicht gedacht, sagt er heute, vier Jahre nach Beginn der Dreharbeiten.
Im Gespräch mit dem Regisseur sowie seinem Produzenten Marek Urban und dem Hauptdarsteller Peter Baláž zeigt sich, wie sehr Fiktion und Wirklichkeit im Film verwischen. „Während der Proben stellten wir fest, dass wir viele Szenen, die wir im Film haben wollten, nicht im Original einfangen konnten. Wir mussten vieles nachstellen, sodass es nicht mehr authentisch für einen Dokumentarfilm wirkte. Letztlich beschlossen wir, einen Spielfilm zu machen – und das Drehbuch entsprechend umzuschreiben“, sagt Ostrochovský.
Zwischen Fiktion und Wirklichkeit
Die Geschichte des Films basiert auf Peter Balážs Leben, der Handlungsstrang ist indes erfunden: Im Film beschließt Peter, seine Freundin Miša umzustimmen. Er will, dass sie das Kind behält und ihr zeigen, dass er in der Lage ist, genug Geld zu verdienen. Systematisch kehrt er zu seinem Training zurück, findet einen Manager und geht auf Europa-Tour.
An der Entscheidung, mit Laienschauspielern zu arbeiten, habe die Umstellung auf den Spielfilm nichts geändert, sagt der gelernte Dokumentar-Regisseur Ostrochovský. „Ich habe da eine Blockade. Ich kann dieses Gefühl nicht überwinden, dass die Schauspieler nur schauspielern. Im Film schafft das für mich eine Atmosphäre, die einfach nicht authentisch ist.“
Dass der Film stilistisch an die semi-dokumentarischen Filme des österreichischen Regisseurs Ulrich Seidel erinnert, ist kein Zufall. Ostrochovský und Produzent Marek Urban lernten ihr Handwerk an der Akademie der Darstellenden Künste in Bratislava beim slowakischen Regisseur Dušan Hanák, der als bekennender Seidel-Freund gilt. „Das hat uns sicherlich indirekt beeinflusst“, sagt Urban.
Zu hartes Training
Anders als in vielen Seidel-Filmen fehlt in Ostrochovskýs Debüt die Komik. In „Koza“ geht es um das Scheitern eines Antihelden, dessen Körper das harte Training nicht verkraftet, und um die Tristesse, in der er sich bewegt. Damit gibt der Film, auch wenn er ein Spielfilm ist, ein gutes Bild ab von der Lebenswirklichkeit des Peter Baláž. Die Dreharbeiten habe er sehr genossen, sagt Baláž, weil er so viel unterwegs sein konnte.
Schüchtern wirkt er in diesem Interview-Raum des Berlinale-Forums. Seine Winterjacke hat er nicht ausgezogen. Als Fliegengewicht zwischen dem hochgewachsenen Team aus Regie und Produktion sieht er zuweilen aus, als fühle er sich fehl am Platz. Doch Baláž hat etwas zu sagen.
Sein Traum sei es, aus der Roma-Siedlung wegzuziehen, in eine richtige Wohnung, um seiner Freundin Miša etwas bieten zu können. „Ich habe es schwer, weil ich ein Rom bin“, sagt der ehemalige Profi-Boxer.
Kein Film über Antiziganismus
Für diesen Satz erntet er Widerspruch von Ostrochovský: „Vielleicht wäre es etwas leichter für Peter, wenn er kein Angehöriger der Roma-Minderheit wäre. Das ist aber nicht der Hauptgrund für seine schlechte Situation. Im Film tritt ja zum Beispiel auch Ján Franek auf, wie Peter ein ehemaliger Olympia-Teilnehmer, der 1980 für die Tschechoslowakei Bronze holte. Heute ist er obdachlos – obwohl er kein Rom ist.“
Es ist ein Film über soziale Ungerechtigkeit, den Ostrochovský drehen wollte, nicht über Rassismus. „Peter lebt von 150 Euro Invalidenrente im Monat. Das ist zu wenig, um woanders zu leben als in seinem Ghetto.“
„Koza“ hätte, nach Förderpreisen unter anderem vom Tschechischen Fernsehen und dem Filmfestival in Karlovy Vary, auch die Auszeichnung der Berlinale verdient. Es ist ein bewegendes Roadmovie, das mit wenig Leichtigkeit und umso mehr Realismus auskommt.
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?