Ein sinnloses Opfer?
Vor 50 Jahren verbrannte sich Jan Palach auf dem Prager Wenzelsplatz. Hatte seine Tat wirklich einen Sinn? Ein Gespräch mit der Historikerin Sabine Stach
13. 1. 2019 - Interview: Klaus Hanisch, Titelbild: Karel Cudlín/CinemArt CZ (Filmszene aus "Jan Palach", 2018)
PZ: Zu Jan Palachs Beerdigung am 24. Januar 1969 kamen etwa 10.000 Menschen. Können die Tschechen 50 Jahre später noch etwas mit seinem Namen anfangen?
Sabine Stach: Meines Erachtens ist Jan Palach heute fester Bestandteil der Erinnerungskultur in Tschechien. Allein in Prag erinnern vier Denkmale an seinen Protest. Bei einer Umfrage des Tschechischen Fernsehens, die nach dem „größten Tschechen“ fragte, belegte er im Jahr 2005 Platz 45 von 142. Den Menschen, die den Prager Frühling und sein Ende bewusst erlebt haben, ist der Name sicher noch ein Begriff. Dass viele junge Tschechinnen und Tschechen nichts über den Studenten wissen, hat eher mit einem allgemeinen Desinteresse an Geschichte und der zwiespältigen Erinnerung an den Prager Frühling zu tun.
Allerdings erwähnte ein ehemaliger Sprecher der Charta 77 vor einiger Zeit, dass schon wenige Monate nach seinem Selbstmord kaum noch jemand über Palach gesprochen habe. Viele Tschechen hätten sich nach seiner Tat ins Private zurückgezogen und mit den politischen Verhältnissen arrangiert. War sein grausame Tod damals also sinnlos?
Tatsächlich ebbten die breite öffentliche Erinnerung an Palach und der Versuch, irgendwie an seinen Protest anzuknüpfen, mit der fortschreitenden politischen „Normalisierung““ immer stärker ab. In den siebziger Jahren wurde praktisch nur noch im Exil regelmäßig seiner gedacht. Das änderte sich erst Ende der Achtziger. Als Forscherin, die sich mit der Rolle Palachs im öffentlichen Diskurs befasst hat, finde ich es allerdings schwierig, daraus Aussagen über den Sinn seines Todes abzuleiten. Spannend ist für mich eher die Feststellung, dass gerade diese Frage nach dem Sinn seiner Selbstopferung immer wieder im Zentrum der Diskussionen stand und bis heute steht – sei es unter den Studierenden von 1969, den tschechischen Exilanten, den Dissidenten oder in der Presse nach 1989.
Was schließen Sie daraus?
Die Sinnsuche belegt, wie schwierig der Umgang mit einem politisch motivierten Suizid aus ethischer Sicht ist. Als politischer Protestakt war Palachs Tat im engeren Sinne erfolglos, denn sie konnte den breiten zivilgesellschaftlichen Protest gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Armeen nicht langfristig wiederbeleben. Dennoch regte der Protest vielerlei Reflexionen an und nicht wenige Menschen sind der Meinung, dass sich sein „Vermächtnis“ mit der Samtenen Revolution 1989 erfüllt habe.
In Palachs extremer Tat sehen informierte Tschechen bis heute ein wichtiges moralisches Signal, andere halten sie dagegen für ein unnötiges Opfer. Hat Palachs Selbstverbrennung die Gesellschaft gespalten?
Die Meinungen darüber, wie die Selbstverbrennung politisch, moralisch oder im größeren historischen Kontext zu bewerten ist, gehen weit auseinander, denn sie berühren auch ganz persönliche Wertorientierungen und grundlegende ethische Vorstellungen. Von einer Spaltung der Gesellschaft würde ich allerdings nicht sprechen, denn die unterschiedliche Beurteilung Palachs deckt sich nicht mit politischen Lagern, sondern verläuft teilweise quer zu ihnen.
Palachs letzte Worte im Krankenhaus waren, dass er sein Ziel erreicht habe, aber niemand seine Tat wiederholen sollte. Trotzdem hatte er Vorgänger und fand Nachahmer in der Tschechoslowakei und anderen Warschauer-Pakt-Staaten – wie Ryszard Siwiec in Polen, Jan Zajíc und Evžen Plocek in der Tschechoslowakei. Warum wählten sie alle gerade die Selbstverbrennung als Form des politischen Protestes?
Die Selbstverbrennung wurde 1963 als Protestmittel weltweit bekannt, als sich mehrere buddhistische Mönche in Vietnam öffentlich anzündeten. Sie ist eine extreme Form des Widerstands, bei der Gewalt ausschließlich gegen den eigenen Körper gerichtet wird. Nicht immer wollen die Protestierenden dabei sterben. Eher ist die Tat als Druckmittel zu verstehen, für das man den eigenen Tod in Kauf nimmt. Warum sich Palach, seine Vorgänger und Nachfolger zu dieser drastischen Protestgeste entschlossen haben, kann ich nicht sagen. Ich glaube aber, dass die Selbstverbrennung für sie erst dann zur Option wurde, als andere Formen des Widerstands bereits versagt hatten.
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