Ein unmoralisches Koalitionsangebot
Die gescheiterte Prager Stadtregierung will es noch einmal versuchen. Der Grünen-Vorsitzende Matěj Stropnický könnte nun auf seinen Posten im Stadtrat verzichten – aber nicht ohne Bedingungen
13. 4. 2016 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: ČTK/Michal Kamaryt
Was passiert, wenn eine Millionenstadt plötzlich ohne Regierung dasteht? Die Prager zucken mit den Schultern. Die Straßenbahnen fahren, die Schulen sind geöffnet und der Müll wird abgeholt. Die Weihnachtsmärkte haben stattgefunden und die Ostermärkte auch.
Fast ein halbes Jahr ist vergangen, seit die Stadtregierung aus ANO, Sozialdemokraten (ČSSD) und Dreierkoalition (Grüne, Christdemokraten, Unabhängige) ihr gemeinsames Regierungsbündnis für gescheitert erklärte. Seitdem sondieren die Parteien im Stadtrat. Jeder spricht mal mit jedem, ohne Sinn und Ergebnis wie es scheint, während die Bürger einfach weiterleben, als wäre nichts geschehen. Man könnte sich fast schon fragen, weshalb man überhaupt eine mehrheitsfähige Stadtregierung braucht, wenn es doch auch so ganz gut geht. Seit ein paar Tagen ist allerdings eine Lösung in Sicht – wenn auch eine mit Beigeschmack.
Der „Kompromissvorschlag“ – man muss das in Anführungszeichen schreiben, weil man es auch als „Deal“ oder sogar als Erpressungsversuch werten könnte oder aber als ganz normales Koalitionsgeschacher – soll ausgerechnet von Matěj Stropnický kommen. Von dem Mann also, dessen Abberufung das ganze Theater ausgelöst hat. Stropnický, mittlerweile Vorsitzender der Grünen in Tschechien, war ehemals auch Prager Stadtrat und als stellvertretender Oberbürgermeister zuständig für Stadtentwicklung und -planung. Im Oktober wurde er jedoch mit Stimmen der Koalitionspartner ANO und ČSSD aus dem Amt gewählt. Im Gegenzug sorgte die Dreierkoalition damals dafür, dass drei Stadträte von ANO und Sozialdemokraten ihre Posten räumen mussten. Das Ende der Koalition war besiegelt.
In Prag regieren seitdem sieben Stadträte, vier Posten blieben unbesetzt. Nach mehreren gescheiterten Verhandlungsrunden steht nun fest, dass das alte Regierungsbündnis es doch noch einmal gemeinsam versuchen will. Nur Stropnický ist für die Vertreter von ANO und Sozialdemokraten als Stadtrat undenkbar.
Unterstützung für die Klinik
Bisher hatten die Grünen an Stropnický festgehalten. Sie würden keine Koalition unterstützen, in der sie nicht die Stadträte nominieren können, die sie für richtig hielten, hatte der Prager Parteivorsitzende Ondřej Mirovský noch Ende März gegenüber der Tageszeitung „Hospodářské noviny“ erklärt und einen „Personalhandel“ abgelehnt. Nun soll Stropnický Medienberichten zufolge selbst ein Tauschgeschäft angeboten haben: Er sei bereit, auf eine Kandidatur zu verzichten, wenn die Stadt dafür unter anderem die ehemalige Poliklinik im Viertel Žižkov kauft, die derzeit noch das autonome Sozialzentrum „Klinika“ nutzt. Den Aktivisten droht der Auszug, weil der Staat als Eigentümer das Gebäude renovieren und für andere Zwecke nutzen will. Die Prager Grünen unterstützen das Sozialzentrum, das von der Stiftung Charta 77 in der vergangenen Woche mit dem František-Kriegel-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet wurde.
Außerdem verlangt die Dreierkoalition von den möglichen Koalitionspartnern, dass im ehemaligen Güterbahnhof in Žižkov ein kulturelles Bildungszentrum entstehen soll, dass die Immobiliensteuer um einen Prozentpunkt angehoben und mehr Geld für Kunstinstallationen im öffentlichen Raum ausgegeben wird.
Vertreter der anderen Parteien zeigten sich am Freitag aufgeschlossen: „Ich glaube, die meisten Forderungen sind logisch, sie haben Hand und Fuß und sind akzeptabel“, sagte der stellvertretende ANO-Vorsitzende Jaroslav Faltýnek. Er betonte jedoch, dass er nicht für seine Fraktion spreche. Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten Karel Březina erklärte, man müsse noch „Unklarheiten in den Formulierungen klären“.
Über die Personalie Stropnický könnten die Parteien noch diese Woche entscheiden. Der Grünen-Chef wollte sich bis dahin weder zu den Programmpunkten noch zu den Verhandlungen äußern. Laut „Hospodářské noviny“ könnte ihm für den Verzicht auf den Posten im Stadtrat auch eine Alternative angeboten werden: Es sei die Rede davon, dass er den Vorsitz des wichtigen Verkehrsausschusses übernehmen könnte.
Wer die Gespräche in den vergangenen Monaten verfolgt hat, ist mittlerweile skeptisch geworden, wenn mal wieder eine baldige Einigung angekündigt wird. Diesmal sind sich die Vertreter von ANO, Sozialdemokraten und der Dreierkoalition aber einig: Bis zur nächsten Versammlung der Stadtverordneten Ende April sollte die neue alte Regierung stehen. „Ich gehe davon aus, dass wir den Koalitionsvertrag in der Nacht oder am Tag vor der Stadtverordnetenversammlung unterschreiben“, sagte Mirovský.
Sollte das im Herbst gescheiterte Bündnis tatsächlich noch einmal gemeinsam antreten, hätte es in der Versammlung der Stadtverordneten mit 34 von 65 Stimmen nur eine knappe Mehrheit, aber immerhin einen Sitz mehr als beim ersten Versuch. Inzwischen ist nämlich Monika Krobová-Hášová, die bei den Wahlen für TOP 09 kandidiert hatte, der ČSSD-Fraktion beigetreten.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“