Ein vergessener Held

Ein vergessener Held

Der tschechische Journalist Karel Weirich half im Zweiten Weltkrieg hunderten Juden. Nun wurde er posthum mit der tschechischen Verdienstmedaille ausgezeichnet

4. 11. 2015 - Text: Katharina WiegmannText: kw/čtk; Foto: ČTK/PR

 

In diesem Sommer verstarb mit 106 Jahren der Brite Sir Nicholas Winton. Sein Name ist in Tschechien bekannt. Medien, Politik und Bevölkerung gedachten seiner mit ausführlichen Nachrufen sowie mit Kerzen und Blumen am Prager Hauptbahnhof. Wintons Vermächtnis: Hunderte gerettete Leben, meist deutschstämmiger jüdischer Kinder, die er aus der Tschechoslowakei vor den Nationalsozialisten in Sicherheit brachte. Sein Verdienst ist unbestritten, aber es gab auch viele andere, die ihr Leben dafür riskierten, das von anderen zu retten. Weniger Notiz nahm die Öffentlichkeit bisher von Karel Weirich. Auch er half hunderten Juden – in Konzentrationslagern im faschistischen Italien. Posthum wurde der Tscheche in der vergangenen Woche von Staatspräsident Miloš Zeman mit der tschechischen Verdienstmedaille ausgezeichnet.

Geboren wurde Weirich 1906 in Rom als Sohn eines Bildhauers aus Böhmen. Er arbeitete als Buchhalter, Stenograf und Journalist, ab 1935 berichtete er als Vatikan-Korrespondent für die tschechische Nachrichtenagentur ČTK. Als in Italien im Jahr 1940 die Deportationen aller ausländischen und somit auch tschechoslowakischen Juden in die Konzentrationslager begannen, suchte Karel Weirich nach einem Weg, ihnen zu helfen. Unter dem Deckmantel der Kirche gründete er einen Fonds, der offiziell der Instandhaltung des St.-Wenzels-Altars im Vatikan dienen sollte. In Wirklichkeit unterstütze er mit den Geldern internierte Juden mit Essenspaketen, Medikamenten und anderen lebenswichtigen Gütern, die in den Lagern nicht erhältlich waren.

Rekonstruiert wurden Weirichs selbstlose Taten nun vom italienischen Historiker Alberto Trochnin. Der tschechischen Tageszeitung „Hospodářské noviny“ erzählte er, vor ein paar Jahren zufällig Weireichs Nichte Helena kennengelernt zu haben. „Sobald sie herausfand, dass ich Geschichte studiere, wollte sie mir eine alte Kiste zeigen, die auf ihrem Dachboden lagerte. Als ich sie öffnete, wusste ich sofort, dass ich einen außergewöhnlichen Fund gemacht hatte“, erinnerte sich der 33-Jährige. Die Namenslisten der internierten tschechoslowakischen Juden, Belege über Geldtransfers, Briefe aus den Konzentrationslagern – all das verarbeitete Trochnin in seinem Buch über Weirich, das unter dem Titel „Spravedlivý riskuje“ (in etwa „Der Gerechte riskiert“) nun auch in tschechischer Übersetzung vorliegt und die Geschichte des mutigen Journalisten zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit näherbringt.

200 Leben soll Weirich nach den Recherchen Trochnins gerettet haben. Vor allem waren es tschechoslowakische Juden, die sich bereits auf der Flucht vor den Nationalsozialisten befanden und nach Palästina wollten. Sie waren von der Slowakei aus mit dem Schiff „Pentcho“ zunächst über die Donau in Richtung Mittelmeer aufgebrochen, wurden vor Italien schiffbrüchig und vom faschistischen Regime im Lager Farramonti di Tarsia in Kalabrien interniert.

Neben seiner Hilfstätigkeit schrieb Weirich weiter für die tschechische Nachrichtenagentur und berichtete umgekehrt auch dem Papst im Vatikan von den Zuständen im „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“. Sein Widerstand gegen die Nationalsozialisten brachte ihn 1944 selbst in Lebensgefahr, als einer seiner Kontakte im tschechischen Untergrund von der Gestapo festgenommen wurde und ihn verriet. Der Journalist wurde verhaftet und 1944 zum Tode verurteilt. Eine Intervention des Heiligen Stuhls konnte ihn vor dem Schlimmsten retten, allerdings verbrachte er die Zeit bis zum Ende des Krieges in bayerischen Arbeitslagern und musste dort Zwangsarbeit verrichten. Nach der Befreiung durch die Amerikaner kehrte er nach Rom zurück. Weirich verstarb im Jahr 1981.

Historiker Trochnin und Weirichs Angehörige würden den Journalisten gerne mit der Ehrung „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet sehen, der höchsten israelischen Anerkennung für Nicht-Juden, die sich im Widerstand gegen den Holocaust hervorgetan haben. Dafür müsste er allerdings von Überlebenden vorgeschlagen werden. Mit einigen von ihnen hatte Nichte Helena Weirichová zeitweise Kontakt, dieser habe sich allerdings verlaufen, wie Trochnin im Gespräch mit „Hospodářské noviny“ erzählte. Er hofft, die Ehrung auch allein durch die Zeugnisse erreichen zu können, die er im Privatarchiv der Weirichs gefunden hat. Die posthume Auszeichnung durch Präsident Zeman lässt dem Journalisten nun zumindest im Heimatland seiner Eltern anerkennende Gerechtigkeit widerfahren.   

Alberto Tronchnin: Spravedlivý riskuje. Karel Weirich, český novinář a zachránce Židů v Itálii. Karmeliter-Verlag (Karmelitánské nakladatelství), Prag 2015, 144 Seiten, 199 CZK, ISBN 978-80-7195-827-7