Ein Werkzeugkasten voller Assoziationen

Schriftsteller Michael Stavarič spielt in seinen Romanen mit philosophischen Fragen und dem Rhythmus der Sprache

25. 7. 2013 - Text: Peggy LohseText und Foto: Peggy Lohse

„Ich sehe meine Texte vielfach wie große Metaphern“, erklärt Michael Stavarič eines der grundlegenden Prinzipien seiner Werke. Er hänge sich an inhaltlichen Details nicht auf, auch nicht an großen Bezügen. Wäre der Kontext ein anderer, so bliebe der Kern doch derselbe. In seinem Romandebüt „stillborn“ aus dem Jahr 2006 sei es darum gar nicht entscheidend, dass als Protagonistin eine Immobilienmaklerin und Pyromanin fungiert. „Dass sie Pyromanin ist, ist für mich prinzipiell gar nicht so wichtig. Ich mag ihre Art und Weise des Über-sich-Nachdenkens, das Reflektieren, dieses im Inneren-eines-Kopfes-kreisen“, sagt der Autor über seine Antiheldin Elisa Frankenstein. Stavarič geht es nicht um die harten Fakten, sondern um die Metaebene hinter der Metapher: „Das sind eher schon philosophische Fragen.“ Nicht das Was, sondern das Wie bildet den Kern seiner Texte, der auch gern beim lesenden Publikum ein Nachdenken über sich selbst bewirken darf. Dazu schafft er stets Charaktere in Außenseiterrollen. Diese sollen etwas Herbes und Widerspenstiges haben. „Auf jeden Fall haben sie mit mir relativ wenig zu tun“, sagt der Schriftsteller, der sich selbst weniger als Romancier denn als Lyriker versteht. In seinen Büchern dominiert der Rhythmus. „Die Sprache hat viel mehr noch mit Musik, Klängen und Tönen zu tun“, ergänzt Stavarič. Alles andere ist dem untergeordnet. So stellt er jedem seiner Romane ein Songzitat voran – nicht als thematisches, sondern rhythmisches Motto. Jeder Roman hat seine eigene „musikalische“ Richtung. „Böse Spiele“ (2009) kann man das Balladenhafte mittelalterlicher Lieder ablesen, dem Erstlingswerk „stillborn“ ist Chris Isaaks „Wicked Game“ vorangestellt.

Deutsch als Handwerk

Stavarič wurde 1972 in Brünn geboren. Wenn er jetzt, wie zum Beispiel zum alljährlichen „Monat der Autorenlesungen“ in seine Geburtsstadt zurückkehrt, überlappen sich für ihn in den Straßenzügen und Häusern des Brünns seiner Kindheitserinnerungen und dem gegenwärtigen Stadtbild die Zeiten, „so als wären zwei Fotografien übereinander gelegt, die zwar dasselbe zeigen, aber im Detail doch auseinandergehen“. Bis er sieben Jahre alt war, lebten seine Eltern mit ihm in der mährischen Großstadt, dann emigrierten sie ins österreichische Laa an der Thaya. Obwohl unweit der tschechischen Grenze gelegen, trennte ihn nun der Eiserne Vorhang von seiner gewohnten Umgebung und seiner ersten Sprache. In der Familie unterhielt man sich zwar auf Tschechisch und Deutsch, der Schulunterricht aber fand in deutscher Sprache statt. Heute ist diese seine literarische Ausdrucksform. „Es war ein weiter Weg dorthin. Ich bin froh, dass ich jetzt diesen Bezug zu Deutsch habe und Freude empfinde, auf Deutsch Bücher zu schreiben“, sagt der 41-Jährige. Ohne die Emigration seiner Familie wäre aus ihm wohl eher irgendein durchschnittlicher Tennis- oder Eishockeyspieler geworden, mutmaßt er. So arbeitete er nach seinem Studium der Bohemistik, Publizistik- und Kommunikationswissenschaften in Wien unter anderem als Inline-Skating-Dozent an der Sportuniversität, als Koordinator für den Präsidenten des P.E.N.-Klubs sowie als Sekretär des tschechischen Schriftstellers und Dissidenten Jiří Gruša.

„Ich wäre ohne den Umzug wahrscheinlich nie Schriftsteller geworden, weil ich mich mit Sprache nie auseinandergesetzt hätte.“ Auch daher mag sein recht handwerkliches Verständnis vom Schreiben kommen. Stavarič schöpft aus einem „Werkzeugkasten“ bestehend aus Lebenserfahrung, Erkenntnis, dem großem Sprachschatz sowie unzähligen Assoziationen. „So dass man sich immer von einem Satz zum darauffolgenden, von einer Assoziation zum nächsten Bild im Text weiterentwickelt“, erklärt er sein wichtigstes Hilfsmittel. Alles weitere seien schlicht handwerkliche Fähigkeiten, wie bei einem Schmied, der am Anfang auch noch nicht so recht mit seinen Werkzeugen und Metallen umgehen kann. „Je mehr man geschrieben hat, desto besser wird man. Man schreibt nicht schlechter“, ist der Autor von Lyrik, Essays und Kinderbüchern überzeugt.

Zwischen den Nationalitäten

Trotzdem sei weder Deutsch noch Tschechisch seine Muttersprache. Weder seine Fähigkeit, mit der deutschen Sprache künstlerisch arbeiten zu können, noch der emotionale Bezug zum Tschechischen reichen ihm aus, um als Muttersprache zu gelten. Mit Letzterem konfrontiert wird er regelmäßig bei seinen Übersetzungsarbeiten aus dem Tschechischen ins Deutsche, zum Beispiel von Patrik Ouředník, Petra Hůlová oder Michal Hvorecký.

Ähnlich der Muttersprache, fühlt er sich auch keinem Vaterland wirklich zugehörig. „Ich fühle mich am ehesten noch als Europäer“, sagt Stavarič über seinen Identitätskompromiss. Das hänge stark davon ab, wo er sich gerade befinde. In Amerika ist er Europäer, in Deutschland und Tschechien Österreicher, österreichischen Journalisten gegenüber ist er Tscheche. „Eine Verwurzelung, die auf einem nationalstaatlichen Konzept beruht, ist mir völlig fremd“, erklärt er. „Ich wechsle da von einem zum anderen und meine nichts davon so wirklich ernst.“

An diesem Punkt schimmert dann doch eine entfernte Verbindung zwischen dem Autor und seinen Protagonisten durch. So wie sich Elisa Frankenstein in „stillborn“ mit Ironie und Zynismus durchs Leben schlägt, ist auch beim ihrem Schöpfer nicht alles für bare Münze zu nehmen. Mit einem Grinsen kündigt Stavarič in diesem Sinne auch seinen neuen Roman als eine große Parodie an. Unter dem Titel „Königreich der Schatten“ verzerrt er die von ihm geliebte Leipziger Buchmesse und den ganz allgemeinen Literaturbetrieb, indem er ihn als eine internationale Fleischereifachmesse darstellt. Auszüge sind bereits auf Stavaričs aktuellen Lesereisen zu hören. Der Roman erscheint in Deutschland am 23. August.

Monat der Autorenlesungen
in Brünn, Ostrava, Košice und Breslau, bis 3. August, Informationen unter www.autorskecteni.cz