Eine Zeitung, die Brücken schlug

Eine Zeitung, die Brücken schlug

Fast 60 Jahre nach seinem Erscheinen ist das „Prager Tagblatt – Roman einer Redaktion“ von Max Brod neu aufgelegt worden

12. 3. 2015 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: Max Brod/APZ

Max Brod (1884–1968) gilt neben Franz Kafka und Franz Werfel als einer der bekanntesten Vertreter der deutschsprachigen Prager Literatur. Seine Romane, die vom Wallstein-Verlag vor kurzem in einer zehnbändigen Ausgabe neu herausgegeben wurden, waren in den zwanziger Jahren regelrechte Verkaufsschlager.

Der soeben erschienene Band „Prager Tagblatt“ erinnert an Brods Tätigkeit als Journalist. Für die Tageszeitung, der er zwischen 1924 und 1939 als Literatur- und Kunstkritiker angehörte, verfasste er einen Großteil seiner etwa 1.500 Artikel. Sein umfangreiches journalistisches Schaffen fand bislang weniger Beachtung als seine Romane. Vielen ist Max Brod heute nur noch als engster Freund Kafkas bekannt, der bei seiner Flucht aus Prag 1939 vor der deutschen Wehrmacht dessen Manuskripte rettete.

Das im Jahr 1876 erstmals erschienene liberaldemokratische „Prager Tagblatt“ grenzte sich von Anfang an von seiner großen Konkurrentin, der deutschsprachigen Tageszeitung „Bohemia“, ab, indem es sich nicht daran beteiligte, die bestehenden nationalen Spannungen zu verschärfen. Als unabhängige Zeitung mit vermehrt wirtschaftlichen Themen wurde sie auch von tschechischen Geschäftsleuten geschätzt und profitierte davon, dass die wichtigsten Banken und Handelshäuser im industriell entwickelten Königreich Böhmen und der späteren Tschechoslowakei ihren Sitz in Prag hatten. Als Max Brod im Alter von 40 Jahren in die Redaktion eintrat, war es neben dem Wirtschaftsteil vor allem das Feuilleton, dem das „Prager Tagblatt“ sein Ansehen verdankte.

In der Zwischenkriegszeit gehörte die Zeitung nicht nur in Prag, sondern auch über die Grenzen der Tschechoslowakei hinaus zu den angesehensten deutschsprachigen Presseerzeugnissen. Ihre wichtigste Aufgabe sah die Redaktion des „Tagblatts“ darin, die große Minderheit der 3 Millionen Deutschen in den neuen tschechoslowakischen Staat zu integrieren. Als Kulturredakteur setzte sich Max Brod unermüdlich dafür ein, Brücken zwischen der deutsch- und tschechischsprachigen Literatur- und Musikszene zu schlagen. Unter anderem ist es sein Verdienst, dass Leoš Janáček und Jaroslav Hašek mit ihren Werken Weltruhm erlangten.

Übermütige Redaktion
Brods 1957 erschienenes Buch „Prager Tagblatt“ trägt den Untertitel „Roman einer Redaktion“. Seinen Erinnerungen an die Jahre, in denen Brod für das Prager Tagblatt tätig war, hat er einen fiktiven Rahmen gegeben: Der Ich-Erzähler, Armand Tischler, wird Mitglied der Redaktion und hofft durch diese neue Tätigkeit den Schmerz über den frühen Tod seiner Frau Edith zu bewältigen. Breiten Raum nimmt im Roman Armands verhängnisvolles Verhältnis zur „jungen Karly“ ein, die der Protagonist im Café Sterba kennenlernt. Er verliebt sich in sie, um dann zu erleben, dass sie mit einem reichen Kaufmann aus Kuba davonzieht.

Im „Prager Tagblatt“ hat Max Brod einigen Redakteuren ein Denkmal gesetzt. Ihm imponierte die Originalität der Menschen, denen er dort begegnet war. Er beschreibt, wie sich bei ihnen, vom Chefredakteur bis zum Büroboten, das Engagement für die Zeitung mit ihren oft kauzigen Charakteren verbindet. „Es war eine übermütige Redaktion, (…) die lustigste, die ich je gesehen habe. Und dabei war ich während meiner Bohème-Zeit als Gast in Pariser, Berliner und Wiener Redaktionen viel herumgekommen. Welch verbissener Berufsernst überall! Etwas Frische und Witz flackerte freilich in jeder dieser Nachrichtenbuden auf, das gehörte ja gewissermaßen zum Métier. Doch anderwärts flackerten die Irrlichter nur geduldeter Weise und nebenher. Hier dagegen, im Prager Tagblatt, wurden sie angebaut und gepflegt. Es war eine Irrlichter-Plantage.“

Im Roman amtiert Dr. Simta wie sein Urbild Dr. Sigmund Blau als Chefredakteur, der mit seinen „Schrappnells“, handgeschriebenen kurzen Notizen vom Boten überbracht, die Redakteure zum Rapport bestellt. Sein ganzes Interesse war darauf ausgerichtet, dass das „Prager Tagblatt“ seine Leser besser informierte, durch seine Artikel die Leser mehr fesselte als die Konkurrenzzeitungen. Persönliche Eitelkeit und Langeweile waren die schlimmsten Verdikte, mit denen er die Ablehnung eines Artikels begründen konnte. Es lag ihm fern, die Tschechen zu provozieren. Uneingeschränkt unterstützte er die Politik von Staatspräsident Masaryk in dessen Bemühen, die Spannungen zwischen Tschechen und Deutschen abzubauen.

Dem von Max Brod erfundenen Erzähler, Armand Tischler, fehlt die Hingabe, mit der sich die Mitarbeiter des „Prager Tagblatts“ mit ihrer Zeitung identifizieren. Er bleibt ein kühler, distanzierter Beobachter des Alltagslebens der Redaktion, der sich auch nicht – wie zum Beispiel Max Brod selbst – durch eine besondere Begabung und herausragende Artikel auszeichnet.

Brod schrieb den „Roman einer Redaktion“ aus einem Abstand von über 20 Jahren in seiner neuen Heimat Israel. Eine wehmütige Erinnerung an eine letzte Bastion der Liberalität und Demokratie in Europa, an ein Engagement für Kunst und Literatur, das sich der Menschlichkeit verpflichtet sah angesichts der immer bedrohlicher werdenden Diktatur Nazideutschlands. Bis zuletzt wollte man in der Redaktion den Voraussagen ihres Korrespondenten in London nicht glauben, der schon Monate vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht seine Prager Kollegen gewarnt hatte, dass ihnen  weder England noch Frankreich noch das stalinistische Russland beistehen würde. „Alle werden euch preisgeben“, lautete die Botschaft des Londoner „Todesengels“. Max Brod gehörte zu denen, die nicht an einen Einmarsch der deutschen Truppen glauben wollten. Im buchstäblich letzten Augenblick gelang ihm die Flucht über die polnische Grenze.

Prager Tagblatt – Roman einer Redaktion. Mit einem Vorwort von Thomas Steinfeld. Reihe: Max Brod – Ausgewählte Werke (Hg. von Hans-Gerd Koch und Hans Dieter Zimmermann in Zusammenarbeit mit Barbora Šramková und Norbert Miller). Wallstein-Verlag, Göttingen 2014, 456 Seiten, 29,90 Euro, ISBN 978-3-8353-1339-2

 

 

 

Konkurrenz für das „Tagblatt“

Deutschsprachige Prager Zeitungen bis 1939
Gegenüber dem wachsenden tschechischen Nationalstolz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der damit einhergehenden Wiedergeburt der tschechischen Sprache, hielt die „Bohemia“, gegründet 1828, daran fest, dass die deutschsprachige Bevölkerung weiterhin die Kultur des Landes prägen und dass Deutsch die alleinige Staatssprache in Böhmen und Mähren bleiben sollte. Sie forderte beispielsweise von den tschechischen Beamten als Mindestqualifikation die Kenntnis von Goethe und Schiller. Auch nach dem Ersten Weltkrieg verstand sich die „Bohemia“ als Sprachrohr der deutsch-nationalen Interessen und stellte sich gegen die neu entstandene Tschechoslowakei. Die Ablehnung der tschechischen Kultur dokumentierte sich zum Beispiel darin, dass man peinlich genau darauf achtete, dass in der Zeitung kein tschechisches Wort verwendet wurde. Erst in den dreißiger Jahren änderte das Blatt seine Einstellung: Unter dem Feuilletonisten Ludwig Winder erschienen nun Artikel, die die Entwicklungen im nationalsozialistischen Deutschland so scharf kritisierten, dass die Zeitung im Deutschen Reich verboten wurde.

Die „Prager Presse“ wurde 1921 nach dem Ersten Weltkrieg vom tschechischen Außenministerium gegründet und erklärte die „nationale Verständigung“ zu ihrem obersten Ziel. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, im Ausland ein möglichst positives Bild des jungen tschechoslowakischen Staates zu propagieren und über die Konflikte zwischen Tschechen und Deutschen möglichst objektiv zu berichten. In den Augen ihrer Gegner war sie ein tschechisches Regierungsblatt. Zur Redaktion gehörten namhafte tschechische und deutsche Autoren wie Pavel Eisner und Oskar Baum. Chef des Feuilletons war Otto Pick, der sich darum mühte, den Prager Deutschen einen Zugang zur zeitgenössischen tschechischen Literatur zu vermitteln.

1925 gab die Verlagsgesellschaft „Tribuna“ neben der gleichnamigen Tageszeitung auch die auf Deutsch geschriebene Beilage „Der neue Weg“ heraus, die deutsche Leser einmal pro Woche mit der tschechischen Presse vertraut machen sollte. Zu diesem Zweck druckte sie darin Artikel aus tschechischen Tages- und Wochenzeitungen sowie Auszüge aus Werken tschechischer Autoren in deutscher Übersetzung ab. Man wolle, so die Verlautbarung der Redaktion in der ersten Ausgabe, „der deutschen Öffentlichkeit zeigen, was und wie die Tschechen denken, was sie in Politik und auf wirtschaftlichem Gebiet, in Kunst und Wissenschaft leisten“. Auf der anderen Seite kritisierte die Zeitung die nationaltschechische Presse, die nur Negatives über die deutschen Mitbürger zu berichten habe.   (fg)