Einheimische Milliardäre statt ausländische Verlage
Der tschechische Medienmarkt ist in Bewegung. Darunter könnten Pressefreiheit und Qualität leiden
27. 11. 2013 - Text: Maria SilenyText: Maria Sileny? Foto: ČTK/M. Štěrba
Wie steht es um die Unabhängigkeit der tschechischen Presse? Diese bange Frage stellen sich viele in diesen Tagen, da nach der vorgezogenen Wahl um die neue Regierungskoalition gerungen wird. Einer der beteiligten Parteichefs, der Großunternehmer und Milliardär Andrej Babiš, stieg letztes Jahr in das Mediengeschäft ein und kaufte in diesem Sommer den Verlag MAFRA, der zwei der größten tschechischen Tageszeitungen herausgibt: „Mladá fronta Dnes“ und „Lidové noviny“. Auch wenn er dafür sorgte, dass ein Herausgeberstatut den Redaktionen formal Unabhängigkeit zusichert, ist die Sorge groß um die Unabhängigkeit der vierten demokratischen Gewalt.
Auch das öffentlich-rechtliche tschechische Fernsehen sorgt derzeit für Schlagzeilen. Dort beschweren sich Redakteure über politische Zensur durch die Chefetage – zugunsten von Präsident Miloš Zeman.
Seit der Wende 1989 erleben die tschechischen Medien zum ersten Mal eine umfassende Krise. Und diese Krise ist vor allem eine wirtschaftliche. Das sagt Medienexperte Daniel Köppl, derzeit Chefredakteur der neu gegründeten Zeitschrift „MarketingSalesMedia“. Er sitzt im Prager Café Slávia am Ufer der Moldau, dort, wo sich schon immer Literaten und Künstler die Klinke in die Hand gaben. Und – wie kann es anders sein an einem solchen Ort – er kommt auf die Geschichte zu sprechen: In der Ersten Tschechoslowakischen Republik der Zwischenkriegszeit, die zwischen Monarchie und faschistischer Diktatur nur 20 Jahre Zeit hatte für Demokratie, war die Mehrzahl der Medien an politische Parteien gekoppelt. „Die Inhaber der Medien waren damals mehr am politischen Einfluss interessiert als am Gewinn“, so Köppl. Und zu dieser Tradition, so sieht er es, kehrten die tschechischen Medieninhaber nun zurück.
Mit Impuls zum Medienmogul
Ausländische Konzerne, die in den neunziger Jahren auf dem tschechischen Medienmarkt gut verdient haben, ziehen sich mit fallenden Profiten zurück und überlassen das Spielfeld zu großen Teilen tschechischen Milliardären. Diese greifen beherzt zu, auch wenn die Gewinne sinken. So hat MAFRA nach Angaben des Wirtschaftsblatts „E15“ im Jahr 2011 im Vergleich zu 2009 ein Drittel des Reingewinns eingebüßt. Andrej Babiš, der das Medienunternehmen der deutschen Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft abkaufte, hat sich zum Ziel gesetzt, „in drei Jahren den größten Verlag in Tschechien zu besitzen“, so zitierte ihn „E15“ unmittelbar nach dem MAFRA-Kauf im Juni. Aktuell bemüht sich der frischgebackene Politiker den Radiosender „Impuls“ mit mehr als einer Million Hörer zu kaufen – wie der Pressesprecher von Babišs Unternehmensgruppe Agrofert mitteilte, müsse das geplante Geschäft nur noch vom tschechische Kartellamt ÚOHS und durch den Rundfunkrat genehmigt werden. Wäre ein Fernsehsender frei zum Verkauf, hätte Babiš ebenfalls Interesse.
Der Einzug der tschechischen Milliardäre in die Medienszene begann 2008 mit dem Kohlebaron Zdeněk Bakala. Damals kaufte er den Verlag Economia von der deutschen Verlagsgruppe Handelsblatt. Jetzt, da sich das Medienhaus, das unter anderem das angesehene Wochenblatt „Respekt“ und die Tageszeitung „Hospodářské noviny“ herausgibt, eine Schlankheitskur gegen die finanziellen Probleme verordnet hat. Zu Hunderten werden Redakteure entlassen, von ursprünglich mehr als 20 Fachzeitschriften bleiben nur drei im Portfolio.
Werbung vor Inhalt
Bakala zieht die Notbremse, denn im letzten Jahr brachte ihm sein Verlag einen Verlust von 100 Millionen Kronen. Man will sich strategisch neu ausrichten, um langfristig auf dem Markt zu bestehen, heißt es. Zum Verkauf steht hingegen das Medienhaus Sanoma, das Lifestyle- und Frauenzeitschriften herausgibt und zu einem gleichnamigen finnischen Konzern gehört. Und, wie Daniel Köppl informiert, auch der größte Medienkonzern auf dem Markt, der tschechische Ableger von Ringier Axel Springer, der mit Titeln wie „Blesk“, vergleichbar der deutschen „Bild“, 40 Prozent der Bevölkerung erreicht, wird über kurz oder lang den Inhaber wechseln. Wer wird zugreifen?
Die tschechische Medienszene ist heftig in Bewegung. Die Anzahl der Inhaber sinkt, der Markt konzentriert sich in immer weniger Händen. Am Ursprung der derzeitigen Krise stehen massiv sinkende Einnahmen aus der Werbung. „Medienmanager haben den Fehler gemacht, mehr nach Werbeeinnahmen zu schielen, als darauf zu achten, dass die Inhalte Leser, Hörer oder Zuschauer anlocken“, so Köppl. Und so geschieht es, dass die Krise zeigt, was Medien in ihrem Kern ausmacht: guter Inhalt.
Daniel Köppl macht es wenig Sorgen, dass reiche Tschechen Medienhäuser aufkaufen. Vielmehr sorgt ihn, dass es zum Großteil Unternehmer sind, die nicht aus der Medienbranche kommen. „Medienmanagement ist etwas anderes als Semmeln backen oder Würstchen verkaufen“, sagt er in Anspielung auf den Lebensmittelmagnaten Babiš. Prozesse zu rationalisieren, Personal zu sparen, all das sehe von außen logisch aus. Doch in den Medien kann das zur Folge haben, dass Inhalte verflachen und vereinheitlicht werden. Wenn etwa Journalisten der Tageszeitungen überwiegend Texte der Nachrichtenagenturen umschreiben, wie es derzeit geschieht, werden die Leser irgendwann nur noch gelangweilt sein. Und die Vielfalt der Information bleibt auf der Strecke. Der Markt ist in Bewegung und die Journalisten in Angst um ihre Jobs.
Flucht vor Selbstzensur
Seit Kurzem werden sogar Gewerkschaften gegründet, das wäre vor fünf Jahren noch undenkbar gewesen. Zu sehr ist die Einrichtung, allein schon der Begriff „Gewerkschaft“, vom Kommunismus überschattet. Doch: Können Redakteure, die Angst haben, ihrer Aufgabe nachgehen, das politische Geschehen zu analysieren, zu kommentieren und damit zu kontrollieren? Zumal Unternehmer vom Typ Babiš eine nach außen sichtbare Verquickung von Politik und Medien schaffen. Eine aktuelle Umfrage ergab, dass es die Menschen stört, wenn ein Politiker Medien besitzt. Zwei Drittel der von der Gesellschaft „OMG Research“ Befragten gaben an, dass sie fürchten, Andrej Babiš wird in die Inhalte seiner Medien eingreifen. Und auch wenn er das nicht tut, werden sich seine Angestellten in Angst um ihren Anstellung einer „Selbstzensur“ unterwerfen, wie die Journalistin Lenka Zlámalová angab, als sie MAFRA freiwillig verlassen hat.
Man müsse sich vor Augen führen, wie jung die freie Presse in Tschechien ist, sagt Daniel Köppl im Café Slávia. Dabei blickt er auf das Moldauufer und die Prager Burg. Optimistisch prophezeit er: „Es wird nicht lange dauern und in Tschechien werden Institutionen entstehen, die sich für die Einhaltung von Ethik und Regeln in den Medien einsetzen werden.“
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