Einkaufsparadies Deutschland
Immer mehr Tschechen schätzen Produkte und Dienstleistungen jenseits der Grenze
17. 7. 2013 - Text: Klaus HanischText: Klaus Hanisch; Foto: Robert Agthe
Es gibt viele Bundesbürger, die zum ersten Mal nach Tschechien reisen und glauben, dort in ein Einkaufsparadies zu kommen. Das Gleiche vermuten oft jene, die das Land lange Zeit nicht mehr besucht haben. Doch Studien belegen genau das Gegenteil: Mittlerweile kommen immer mehr Tschechen nach Sachsen oder Bayern, weil sie günstig einkaufen wollen.
Dies wies jüngst die Industrie- und Handelskammer Chemnitz nach. Sie hat gemeinsam mit der TU Chemnitz und der Westböhmischen Universität Pilsen das Konsumverhalten im südwestsächsisch-tschechischen Grenzraum untersucht. Dabei kam heraus, dass sowohl Tschechen als auch Deutsche der gleiche Anreiz über die Grenze lockt. „Für beide ist ein gefühlter Preisvorteil das Hauptargument für den Konsum im Nachbarland“, erläutert Ilona Roth, Geschäftsführerin der IHK Chemnitz.
Jeder zweite Deutsche und sogar über zwei Drittel der tschechischen Besucher hoffen, durch den Einkauf beziehungsweise das Tanken beim Nachbarn bares Geld zu sparen. Dafür ergeben sich geradezu „Musterkunden“: So fährt ein tschechischer Konsument in der Regel mehrmals im Jahr mit seinem Auto zum Einkauf nach Südwestsachsen. Dort erwirbt er oft Lebensmittel – ungeachtet dessen, dass das Europäische Statistikamt vor kurzem mitteilte, dass die Preise für Nahrungsmittel in Tschechien zu den niedrigsten innerhalb der EU zählen, während sie in Deutschland in der Regel über dem EU-Schnitt liegen.
Außerdem kauft er vermehrt Drogerie- und Kosmetikartikel, Schuhe und Bekleidung, auch wenn wichtige Handelsketten in größeren tschechischen Städten längst eigene Filialen eröffnet haben. „Obwohl es auch bei ihm Persil gibt, hält ein Tscheche das deutsche Produkt oft für besser“, so Roth.
Diese hohe Qualität von Waren und Dienstleistungen ist neben günstigen Preisen der Hauptgrund für den Aufenthalt eines Tschechen im westlichen Nachbarland. Eine wichtige Rolle spielt zudem die größere Auswahl. Dafür ist er bereit, einen Betrag zwischen 51 und 100 Euro zu zahlen, zuweilen sogar bis zu 500 Euro.
Pluspunkt für Tschechien: Längere Öffnungszeiten
Auch ein deutscher Kunde reist mehrmals pro Jahr mit dem PKW zum Nachbarn, um jenseits der Grenze einzukaufen. Ihm geht es in erster Linie um Lebensmittel, Tabakwaren und ums Tanken. Dafür wendet er durchschnittlich gleichfalls zwischen 51 und 100 Euro auf, eher jedoch etwas weniger als ein Tscheche, nicht selten auch nur bis zu 50 Euro. Interessant: Neben den günstigen Preisen ziehen ihn vor allem auch die flexibleren Öffnungszeiten nach Böhmen.
Die IHK befragte mehr als 800 tschechische Kunden. 87 Prozent von ihnen gaben an, mehrmals pro Jahr nach Südwestsachsen zu reisen. Die meisten von ihnen fahren nach Klingenthal und Chemnitz zum Einkaufen. Umgekehrt machen sich 73 Prozent der 660 Deutschen, die in Tschechien interviewt wurden, mehrmals im Jahr auf den Weg nach Tschechien. Fast alle fahren mit dem eigenen Auto.
In Sachsen weiß man die neue Kundschaft aus Tschechien nicht nur rund um Chemnitz zu schätzen. Auch die IHK Dresden führte in Zittau eine Umfrage durch, damit sich Einzelhändler besser auf Gäste aus dem Nachbarland einstellen können. Daher wiederholte und erweiterte die IHK Dresden sogar Ende 2011 in Zittau eine Umfrage unter tschechischen Kunden aus dem Jahr 2009. Dabei ergaben sich einige Änderungen. Zwar fuhren die Tschechen im Schnitt mit rund 50 Kilometer kaum länger zum Einkauf in Zittau als 2009. Auch waren sie mit 47 Jahren im Durchschnitt kaum älter. Allerdings sank der Anteil jüngerer Kunden unter 40 Jahren. Die meisten kauften immer noch eher gelegentlich als regelmäßig ein. Doch der Anteil der Kunden, die mindestens einmal pro Monat kamen, hatte sich deutlich erhöht. Und die Mehrzahl warnicht allein auf Zittau festgelegt, sondern fuhr auch nach Dresden, Görlitz oder Bautzen.
Dorthin kamen vor allem Besucher aus Liberec, Česká Lípa, Hrádek nad Nisou oder Mladá Boleslav. Ein Teil der Gäste fuhr jedoch sogar extra aus Prag an.
Erst Shopping, dann Kultur
Bei Bekleidung suchten Tschechen Markenerzeugnisse und neue Modelle. Ebenso, dass Rückgabe oder Umtausch von Waren unkompliziert waren. Anziehend wirkten auch Geschäfte, die große und internationale Marken führten. Als Hauptgründe für ihre Fahrt nannten sie neben günstigeren Preisen, breiterem Angebot und der Qualität der Waren auch deren längere Haltbarkeit. Wie 2009 hatte sich jedoch kaum jemand vorab über die Einkaufsmöglichkeiten informiert. Nur wenige guckten nach Angeboten im Internet. „Werbeklassiker“ wie Prospekte oder Zeitungsanzeigen blieben dagegen unbeachtet.
Fast die Hälfte verband den Einkauf mit Freizeit und Kultur. Nach Meinung der IHK könnten noch deutlich mehr Besucher für solche Angebote gewonnen werden, wenn sie besser darüber informiert wären.
Mit deutschen Serviceleistungen zeigten sich Tschechen überwiegend zufrieden. Doch könne man nach Einschätzung der IHK Dresden noch mehr Kunden anziehen, wenn die tschechischen Sprachkenntnisse des Personals verbessert würden. Das hat man auch in Bayern erkannt. In vielen Gemeinden der Grenzregion hängen Schilder im Schaufenster mit der Aufschrift: „Zde mluvíme česky – Wir sprechen Tschechisch“. In Furth im Wald stellen selbst kleine Läden seit Jahren Auszubildende aus Tschechien ein. Denn vor allem die Nachbarn sorgten dafür, dass etwa im Landkreis Cham der Umsatz des Einzelhandels zwischen 1997 und 2007 um fast 27 Prozent stieg. Die heimische Bevölkerung wuchs in dieser Zeit kaum und die Kaufkraft lag um rund 2.000 Euro unter dem Bundesschnitt. Mit gestiegenem Einkommen setzten Tschechen ihre Nachfrage fort, die schon direkt nach der Grenzöffnung begonnen hatte.
Große Preisschwankungen
Die IHK Weiden führte bereits im Oktober 2005 eine Umfrage durch und konstatierte dabei zu ihrer Überraschung, dass nicht nur Gäste aus dem Grenzraum kommen, sondern auch aus Prag und weit hinter. Und dass sie pro Besuch bis zu 200 Euro in Weiden ließen. Schon damals berichteten Weidener Einzelhändler von Stammkunden aus Tschechien, die bei ihnen nach Markenartikeln suchten, weil sie zu Hause zu teuer seien. Ebenso Waren aus Baumärkten sowie Damen- und Kinderbekleidung, die auf dem tschechischen Markt kaum angeboten wurden.
Dass Tschechen in deutschen Supermärkten günstiger einkaufen, bestätigte kürzlich die tschechische Tageszeitung „MF Dnes“. Ihre Reporter füllten einen Korb auf beiden Seiten der Grenze mit identischer Ware für den täglichen Bedarf. Er kostete in Deutschland über 13 Prozent weniger als in Tschechien. Dabei wurde er in einer Supermarktkette gefüllt, die in Deutschland wie in Tschechien unter gleichem Namen auftritt. Besonders aus der Rolle fielen ein Duschgel, das in Tschechien 118 Prozent teurer war als in Deutschland, sowie Babynahrung (54 Prozent) und dreilagiges Toilettenpapier (27 Prozent). Billiger waren Tomaten (40 Prozent) oder Wiener Würstchen (20 Prozent), wobei sie aber in Deutschland ein Drittel mehr Fleisch enthielten.
Wie man mehr tschechische Gäste in Deutschland gewinnen kann, bewies ein Elektronikhändler in Cham schon Ende der Neunziger, als er Oldřich Barta anstellte. Barta war ein ehemaliger Volleyball-¬Nationalspieler der ČSSR und sollte als Verkäufer speziell Kunden aus seiner Heimat bedienen. Nicht zuletzt seinetwegen hielten tschechische Nationalmannschaften auf ihrer Rückreise in Cham an, um Elektronikartikel zu kaufen.
Bekenntnis zu Břeclav
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