Eiskalte Türken
Fußball-Nationaltrainer Trainer Vrba wagt mit Blick auf die EM 2016 erste Taktik-Experimente. Am Wochenende ging das schief
13. 10. 2015 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: FAČR
So manch einer mag sich am Samstagabend verwundert die Augen gerieben haben, als er die taktische Aufstellung des tschechischen Nationalteams im vorletzten Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 2016 gesehen hat. Trainer Pavel Vrba machte zwar nie einen Hehl daraus, dass er im Endspurt der Gruppe A gerne noch den einen oder anderen Jungstar einsetzen und seine Elf sehr offensiv agieren lassen wolle – doch derart jung und stürmisch hat man das Team dann doch nicht erwartet. In den Duellen zuhause gegen die Türkei am vergangenen Wochenende und am Dienstagabend gegen die Niederlande ging es für die Tschechen um nicht mehr viel. Sie waren bereits für Frankreich qualifiziert und spielten lediglich noch um den Gruppensieg. Dennoch handelte es sich um Pflichtspiele auf höchstem Niveau, die Vrba „zur Sichtung und Auslotung der Kaderbreite“ nutzen wollte.
Gegen die Türkei nahm der Coach vor allem Änderungen auf der linken Außenbahn vor. Ladislav Krejčí durfte im Vergleich zum vorangegangenen Duell gegen Lettland im September wieder von Beginn an spielen. Der Sparta-Profi bildete mit Filip Novák vom FC Midtjylland (Dänemark) die linke Flügelzange. Der zuvor auf Nováks Position gesetzte Routinier David Limberský darf die Partien der Nationalelf vorerst vom heimischen Sofa aus verfolgen und wurde aus disziplinarischen Gründen nicht ins Aufgebot berufen (der Pilsener Meister baute vor einem Monat in angetrunkenem Zustand einen Unfall).
Josef Šural wiederum rückte für Krejčí ins Zentrum. Der dreifache Auswahlspieler von Slovan Liberec erhielt nach zuletzt starken Leistungen weiterhin das Vertrauen Vrbas und wurde sogar mit der Spielmacher-Rolle bedacht. Im defensiven Mittelfeld ordnete abermals Šurals Klubkollege David Pavelka an der Seite Vladimír Daridas (Hertha Berlin) das Spiel der Tschechen. Das rechte Angriffsduo hieß Pavel Kadeřábek (Hoffenheim) und Bořek Dočkal (Sparta Prag). Kurzum: das System glich offiziell einem 4-4-1-1. Je nach Lesart und Situation verwandelte es sich aber in ein offensives 4-2-3-1 oder in ein beinahe schon revolutionäres 2-4-3-1, weil sowohl Novák als auch Kadeřábek zunächst häufiger in der gegnerischen Hälfte auftauchten als in der eigenen.
Fehlende Entschlossenheit
„Die erste Halbzeit war ziemlich ausgeglichen. Wir haben den Ball gut durch unsere Reihen zirkulieren lassen“, analysierte Pavelka die ersten 45 Minuten. Das stimmte zwar, doch so richtig gefährlich wurden die Tschechen kaum. Nur zweimal herrschte Gefahr vor dem türkischen Tor. Das erste Mal in der sechsten Minute, als Darida eine schöne Kombination über Novák und Šural etwas überhastet abschloss und ein weiteres Mal in der 41. Minute. Novák köpfte eine Flanke von Kadeřábek aus aussichtsreicher Position über die Querlatte. Die türkischen Stürmer machten sich lediglich durch ein Abseitstor durch Cenk Torun in der fünften Minute bemerkbar. Vrbas Team suchte aber nicht mit letzter Konsequenz den Torerfolg. Es waren wohl die wenigen Prozent an Leistungsbereitschaft, die eben fehlen, wenn es nicht ums Ganze geht. Und die Türken? Sie wollten, aber konnten nicht mehr zeigen.
Die zweite Halbzeit erwies sich zunächst als eine zähe Angelegenheit mit vielen Zweikämpfen und wenig Spielfluss. „Ich muss zugeben, dass ich mir von meinem Team schon etwas mehr erhofft habe. Aber vielleicht standen doch zu viele offensiv orientierte Kräfte in der Startelf“, so Vrba. In der Tat wirkte es zuweilen so, als ob sich vor allem Bořek Dočkal und Josef Šural gegenseitig im Weg stehen würden, wenn es darum ging, die richtige Entscheidung in der Vorwärtsbewegung zu treffen. Und das Umschaltspiel gestaltete sich ohne die ordnende Hand des verletzten Kapitäns Tomáš Rosický (Arsenal London) als zu kompliziert und langsam. So kam es, dass die lange Zeit völlig harmlosen Türken zwei Unachtsamkeiten der Tschechen eiskalt ausnutzten. Beim ersten Mal ließ sich Serdar Aziz nach einer leichten Berührung durch Novák im Strafraum fallen. Der Schiedsrichter gab Elfmeter – eine sehr harte Entscheidung. Selçuk İnan schickte den für Petr Čech aufgelaufenen Tomáš Vaclík (FC Basel) nach 62 Minuten in die falsche Ecke. „Das war meines Erachtens kein Strafstoß. Ich habe Aziz nur leicht berührt. Bis dahin haben wir ein gutes Spiel abgeliefert. Es tut mir leid für das Team“, erklärte der etwas geknickte Sünder. Danach war bei der Heimmannschaft die Luft raus. In der 79. Minute spazierte Arda Turan aufreizend locker und ohne Gegenwehr durch die tschechische Abwehr und bediente den Leverkusener Hakan Çalhanoğlu, der den Angriff zum Endstand von 2:0 für die Türkei abschloss.
Kleine Konzentrationslücken
Mittelfeldmann Pavelka sah trotz der schwachen letzten halben Stunde insgesamt „eine gute Leistung der Mannschaft, die den Gegner weitestgehend im Griff hatte“. Und für den Trainer „waren eigentlich nur zwei kleine Konzentrationslücken spielentscheidend“. „Doch die individuell starken Türken zeigten genau in diesen Momenten, auf welch hohem Niveau sie sich eigentlich befinden“, so Vrba.
Dieser Klasse werden die Tschechen im kommenden Juni bei der EM in geballter Form wieder begegnen, wenn sie auf Teams wie Deutschland, Spanien oder Italien treffen. Bis dahin sollte Pavel Vrba die richtigen Lehren aus seinen gewagten personellen und taktischen Experimenten gezogen oder aber seine Jungstars extrem schnell dazugelernt haben. So oder so wird es jedoch nicht schaden, den einen oder anderen Routinier wieder an Bord zu holen. Das Durchschnittsalter der Startelf gegen die Türkei betrug zwar über 28 Jahre, aber im Schnitt absolvierte ein Spieler gerade einmal 13,7 Länderspiele – ein rekordverdächtig tiefer Wert.
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