Endloses Ringen zwischen Staat und Kirche

Endloses Ringen zwischen Staat und Kirche

In Tschechien herrscht ein erbitterter Streit um die Frage der Kirchenentschädigung – Eine Bestandsaufnahme

10. 10. 2012 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: APZ

 

103 Kirchtürme in Prag zählte im 19. Jahrhundert der Philosoph und Theologe Bernard Bolzano. Touristen verzaubert noch heute der Blick vom Hradschin auf das „hunderttürmige“ Prag. Doch daraus lässt sich nicht schließen, dass die Religion und die Kirchen auch den Alltag und die tschechische Gesellschaft mitprägen.

Ein Beispiel: 1954 verstaatlichte die kommunistische Regierung den Veitsdom. Die Bemühungen der katholischen Kirche nach der Samtenen Revolution die Kathedrale zurückzubekommen, scheiterten im Jahre 2007 endgültig. Damals erkannte das Verfassungsgericht dem Staat den Dom zu, mit der Begründung, dass es sich hier um ein nationales Erbe des ganzen tschechischen Volkes handele.

Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche sind in Tschechien angespannt: Unter den postkommunistischen Staaten ist Tschechien das einzige Land, das die Frage der Rückgabe beziehungsweise der  von den Kommunisten verstaatlichten Kirchengüter nicht gelöst hat. Die Frage der Restitution des Kirchenbesitzes gehört zu den Dauerbrennern der tschechischen Politik. Kaum ein Thema polarisiert die Gesellschaft mehr als diese Frage.

Über 20 Jahre lang war es zu keiner Einigung zwischen dem tschechischen Staat und den Kirchen im Land über die Wiedergutmachung für Enteignungen aus kommunistischer Zeit gekommen. Doch in monatelangen Verhandlungen hatte sich die derzeitige Regierungskoalition mit den 17 Kirchen und Glaubensgemeinschaften jüngst darauf geeinigt, dass die Kirchen ungefähr die Hälfte ihres Eigentums, das von den Kommunisten enteignet worden war, zurückerhalten. Der Wert dieses Eigentums wird auf umgerechnet 2,9 Milliarden Euro geschätzt. Für den Rest des konfiszierten Eigentums soll den Kirchen im Laufe der kommenden 30 Jahre ein finanzieller Ersatz in Höhe von umgerechnet 2,3 Milliarden Euro ausgezahlt werden.

Wahlkampfthema Restitution
In erster Lesung hatte das Abgeordnetenhaus der Gesetzesvorlage zugestimmt, der Senat, in dem die Sozialdemokraten und Kommunisten über eine Mehrheit verfügen, sprach sich jedoch dagegen aus, sodass nun das Abgeordnetenhaus mit der absoluten Mehrheit dem Gesetz zustimmen müsste, damit es in Kraft treten kann. Ob die ohnehin schwer angeschlagene Regierung die nötige Stimmenzahl erhält, gilt als ungewiss.

Vertreter der Opposition lehnen das Gesetz ab mit der Begründung, dass es unverantwortlich sei, in Zeiten der Wirtschaftskrise den Staatshaushalt mit einem solchen Geschenk an die Kirchen zu belasten. Der stellvertretende ČSSD-Vorsitzende Lubomír Zaorálek befürchtet, dass die Kirchen dann über „einen riesigen Geldsack und Immobilien“ verfügen und damit mafiose Geschäfte tätigen könnten.

Auch Intellektuelle beteiligen sich an antikirchlichen Kampagnen. Die Schriftstellerin Lena Procházková und der Regisseur Václav Dvořák haben beispielsweise Strafanzeige gegen die Regierung und den Erzbischof von Prag, Dominik Kardinal Duka, gestellt. Sie argumentieren, eine „katholische Mafia“ in der Regierung wolle mit Hilfe des Restitutionsgesetzes den Kirchen Geld und Immobilien schenken, auf die die Kirchen schon seit der Kirchengesetzgebung  Josephs II. vor über 200 Jahren jeden Anspruch verloren hätten. Die katholische Kirche, so Regisseur Dvořák, wolle mit den staatlichen Geldgeschenken ihre Macht über die tschechische Gesellschaft zurückgewinnen, die sie durch den rapiden Schwund ihrer Mitglieder schon verloren habe.

Gesetz als Büchse der Pandora?
Die Sozialdemokraten haben das Thema der Restitution zum Wahlkampfthema bei den anstehenden Senats- und Regionalwahlen erhoben. In einer landesweiten Plakat-Aktion wird ein kirchlicher Würdenträger gezeigt, der von einem bürgerlichen Politiker einen prall gefüllten Geldsack zugesteckt bekommt. Darunter steht: „134 Milliarden Kronen wollen ODS und TOP 09 der Kirche schenken.“ Ein weiteres Plakat zeigt die Prager Burg mit dem Veitsdom und der Schlagzeile: „Wir überlassen die Burg nicht dem Vatikan.“ Dazu die Erläuterung, die katholische Kirche könne über die Restitution in den Besitz der Burg kommen und diese dann veräußern.

Geschürt wird bei der Diskussion über eine Entschädigung der Kirchen wieder einmal die Angst vor Rückerstattungsansprüchen der Sudetendeutschen. Staatspräsident Václav Klaus äußerte, das Restitutionsgesetz berge die Gefahr in sich, dass auch Immobilien, die vor der kommunistischen Machtergreifung 1948 enteignet worden seien, auch von den Sudetendeutschen zurückgefordert werden könnten.

Die meisten Kritiker des Restitutionsgesetzes blenden oft die Tatsache aus, dass es dabei im Kern um die Wiedergutmachung geschehenen  Unrechts geht. Dass ein demokratischer Rechtsstaat hier Lösungen vorlegen muss, wird kaum thematisiert, sondern stattdessen das Misstrauen gegen die kirchlichen Institutionen geschürt. Hinzu kommt, dass wesentliche Details des Vorschlages, auf den sich Regierung und Kirchen geeinigt haben, verschwiegen werden: So zum Beispiel die Entscheidung, dass die Auszahlung der Entschädigungssumme nicht auf einmal erfolgt, sondern sich auf einen Zeitraum von 30 Jahren erstrecken soll. Unerwähnt bleibt oft auch, dass der Staat bisher den Religionsgemeinschaften jedes Jahr umgerechnet 60 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln für die Arbeit der Pfarreien bezahlt. Dazu gehört auch die Besoldung der Geistlichen. Die staatliche Finanzierung der Pfarrer hatte die kommunistische Regierung praktiziert, weil sie damit unliebsamen Pfarrern den Lebensunterhalt entziehen konnte. Das neue Gesetz sieht nun vor, dass der Staat seine Zahlungen an die Kirchen jedes Jahr um 5 Prozent verringert, um sich schließlich nach 20 Jahren vollständig aus der Finanzierung der Kirchen zurückzuziehen. Es käme dann zu einer finanziellen Trennung von Staat und Kirche, die auch im Interesse der Kirchen selbst ist und der weitgehend säkularisierten tschechischen Gesellschaft besser entsprechen würde.

Jahrzehntelange Blockade
Viele Bürgermeister unterstützen die Befürworter der Restitution. Sofern sich nämlich in den Katastern der Gemeinden frühere kirchliche Grundstücke und Immobilien befinden, verbietet ein Gesetz aus dem Jahr 1991, dass die Gemeinden darüber verfügen. Das hat zur Folge, dass in diesem Fall keine Bebauungspläne aufgestellt,  notwendige Infrastrukturprojekte nicht durchgeführt und Wälder und Grundstücke nicht genutzt werden können. Um diese Blockaden bei der Entwicklung der Gemeinden aufzuheben, hat kürzlich das Verfassungsgericht in Brünn entschieden, dass nun in Tschechien die Gerichte über die Rückgabe kirchlichen Eigentums entscheiden können, weil die längst fällige Entscheidung durch das Parlament zu lange auf sich warten lässt. Experten sind der Ansicht, falls die Kirchen ihre Forderungen vor den Gerichten einklagen würden, die Kosten für den Steuerzahler um ein Mehrfaches höher liegen könnten  als beim derzeitigen Regierungsvorschlag.

„Reiche Kirche – armer Staat“. Mit dieser zweifelhaften Schlagzeile auf der Titelseite ließ die renommierte Wochenzeitung „Literární noviny“ im  Februar dieses Jahres einen Kirchenkritiker zu Wort kommen. Wenig bekannt dürfte in der Öffentlichkeit sein, dass kaum ein Geistlicher von seinem monatlichen Gehalt leben kann, das nur 70 Prozent des tschechischen Durchschnittslohnes (derzeit rund 24.600 Kronen) beträgt. Auch der häufig schlechte Zustand kirchlicher Gebäude ist ein sichtbarer Beweis dafür, dass die Kirchen nicht über Reichtümer verfügen. Wer durch das Land fährt, kann immer wieder Kapellen, Klöster und Kirchen entdecken, die dringend restauriert werden müssten. Das Klischee von der reichen Kirche kann sich vielleicht deswegen so hartnäckig halten, weil das umfangreiche soziale Engagement der Kirche zu wenig in der Öffentlichkeit bekannt ist. Dazu gehört die Arbeit der Caritas, die Altenheime, Hospize, Heime für Mütter mit Kindern und Obdachlosenasyle unterhält und mit einer Vielzahl von Beratungsstellen, Menschen in Not beizustehen versucht.

 

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