Entspannte Annäherung
„Kryger bleibt Krüger“ und andere: Allmählich bessert sich das Image der Tschechen in deutschen Unterhaltungsfilmen
20. 1. 2020 - Text: Aleš Krupa, Titelbild: Szene aus „Kryger bleibt Krüger“ © ARD Degeto / Olaf R. Benold
Filme mit Horst Krause sind Wellness-Programme im deutschen Fernsehen: entspannend, erholsam, humorig. Stressfrei auch dann, wenn Konflikte zu lösen sind. Eben anders als das tägliche Krimi-Einerlei mit mehr oder weniger Blut. Ausgerechnet in dieser Wohlfühloase ein so schwieriges Thema wie die deutsch-tschechischen Beziehungen abzuhandeln, erscheint ebenso ambitioniert wie verdächtig. Da könnte der Weg zur Klamotte allzu kurz sein.
Filme mit Horst Krause sind stets auch heimelig. Genau darum ging es in „Kryger bleibt Krüger“ zu bester Samstag-Abend-Sendezeit (ARD): um die alte Heimat im Osten. Und um eine Familie, die durch die Wirren der Zeit nach dem Krieg zerrissen wurde. Klingt eher nach Drama als nach Horst Krause, bestenfalls nach Doku-Drama, damit historische Fakten neben dem Fiktionalen nicht ganz außer Acht gelassen werden.
Tatsächlich wurde daraus, wie von einer Programmzeitschrift vorab angekündigt, jedoch „unaufgeregte Unterhaltung“. Spielerisch leicht, aber mit Anspruch. Ganz im Horst-Krause-Stil: immer etwas nachdenklich, immer auch etwas melancholisch, immer angereichert mit rationalem Menschenverstand. Denn immer „menschelt“ es sehr, wenn Horst Krause nach einer tragfähigen Lösung für die Zukunft und das Zusammenleben seiner Zeitgenossen sucht.
Wobei der Beginn der Komödie fürchten ließ, dass wieder einmal deutsche Anmaßung und Überheblichkeit den Verlauf bestimmten könnten. Ausgerechnet ein Rentner, der kaum noch in der Lage ist, seine Wohnung in Berlin zu bezahlen, soll eine finanzschwache Brauerei in der böhmischen Provinz vor einer ungewissen Zukunft retten. Unterstützt von Rentner-Freunden, die sich nicht einmal mehr ein Bier an der Imbissbude leisten können. Doch beiläufige Sozialkritik – etwa an Renten oder Wohnungsnot – ist nicht untypisch für Filme mit dem Markenzeichen „Horst Krause“, auch wenn sie in erster Linie unterhalten sollen.
Ein Plot, der über das Thema Bier entwickelt wird, könnte schnell in altbekannte Klischees abdriften. Gleichwohl: Was verbindet Deutsche und Tschechen heute mehr und konfliktfreier als der Gerstensaft? Daher lässt sich eine Handlung über diese „Art Weltkulturerbe“ gut fortführen, sofern sie nicht nur mit leichter Hand inszeniert, sondern auch intelligent erzählt wird.
Interessant nur, dass Tschechen in diesem Film lieber Deutsche (mit Vergangenheit in ihrem Ort) als Investoren für ihr ehrwürdiges Brauhaus wünschen statt deutlich finanzkräftigerer Chinesen (ohne historische Verbindung zu ihrem Ort). Noch in den neunziger Jahren galten reiche Deutsche für Tschechen als Sinnbild allen Übels, weil man nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nichts mehr fürchtete als eine „germanizace“, also den Aufkauf aller Besitztümer durch deutsches Kapital.
Damit einher ging die Sorge um eine erneute Fremdbestimmung ihres Landes, wobei nun wieder die Deutschen statt der Russen über Wohl und Wehe ihres Lebens bestimmen könnten. Daran wurde man zwangsläufig erinnert, als tschechische Kneipengänger Krause und seine Kumpels im örtlichen Wirtshaus mit misstrauischen Blicken empfangen – und die Krauses typisch deutsch und lautstark gleich mal nach Bier und Essen rufen. Sind Deutsche und Tschechen heute schon so weit, dass eine tschechische Bürgermeisterin extra nach Deutschland reisen würde, um den größten Arbeitgeber ihres Ortes feilzubieten? Und dass tschechische Brauereiarbeiter tatsächlich aus Sorge um ihre Arbeitsplätze gegenüber Deutschen als Bittsteller auftreten? Oder ist dies doch nur schöne Film-Fiktion?
Krüger bekommt Besuch aus Krygovice. | © ARD Degeto / Olaf R. Benold
Immer gibt es in Krause-Filmen aber auch die leisen Zwischentöne. Zur Überraschung aller lässt einer der Freunde erkennen, dass er etwas Tschechisch spricht, bei Deutschen durchaus nicht alltäglich. Hinzu kommen aktuelle Bezüge, etwa die wachsende Konkurrenz von Biermarken untereinander oder die Notwendigkeit von professionellem Marketing über Influencer und soziale Medien, um mehr Hektoliter abzusetzen. Und der wachsende Zuspruch für Bier-Mix-Getränke auch unter Tschechen.
Dass einer der Freunde lieber ein Bier „nach deutschem Reinheitsgebot“ wünscht, bevor er die Vorzüge des tschechischen „pivo“ schätzen lernt, ist dem Genre geschuldet. Ebenso, dass der Tscheche einem Deutschen ein Medikament verabreicht, das offenbar mit Drogen angereichert war (möglicherweise in Anspielung auf die liberalen Gesetze in Tschechien). Oder dass ein anderer Deutscher mit einer alten Polaroid-Schnellbildkamera wie Daniel Düsentrieb durch das Land hetzt. Wobei auch in diesem Streifen Bilder wie im Reiseprospekt nicht fehlen dürfen: Saazer Hopfen, Marienbader Kureinrichtungen, Prager Postkarten-Idyll. Im wahrsten Sinne des Wortes in einem Licht gedreht, das Land und Leute in der Tschechischen Republik jedoch sympathisch und nahbar wirken lässt.
Spannend wird der Kontrast zwischen den beiden alten Brüdern ausgearbeitet, die nach dem Krieg als Kinder getrennt wurden und im Kurpark von Marienbad ihre Unterschiede manifestieren. Hier der Deutsche Paul, bieder, korrekt, pflichtbewusst und in Sorge um das gemeinsame Erbe, wie immer souverän gespielt von Horst Krause. Dort der Tscheche Emil, ein Lebenskünstler, der mit seinem Puppenwagen von Ort zu Ort zieht und darin auch lebt, ebenso widerborstig wie liebenswert von Christian Grashof dargestellt. Der Deutsche beruft sich auf soziale Verantwortung und hofft (zunächst) auf einen schönen Geldbetrag, der Tscheche nennt ihn deshalb einen hoffnungslosen Kapitalisten, während ihm selbst Geld nichts bedeute.
Bei diesem Thema kommt selbst eine Komödie nicht an der historischen Vergangenheit vorbei. Im zweiten Teil des Films erörtern die Brüder am Grab des Vaters, was noch heute zu den deutsch-tschechischen Beziehungen gehört: Haben die Nazis des Krieg begonnen oder die Deutschen? Warum ist der tschechische Bruder im Prager Frühling 1968 nicht wie andere aus der ČSSR zu seinen Verwandten in den Westen geflüchtet? Warum sind sich Tschechen und Deutsche so fremd geworden?
Schließlich kommt es zum Streit darüber, wie große Weltpolitik die persönlichen Verhältnisse gesteuert und beeinflusst hat. Wer hatte Schuld an Zwist und Familientrennung? Wer verschleudert nun das Erbe? „Du hast wirklich Freunde?“, fragt der Tscheche erstaunt, weil er dies bei einem Deutschen offenkundig nicht für möglich hält.
Als sich Paul in seinem alten tschechischen Heimatort umsieht, werden Bilder von der Vertreibung eingestreut. Spielszenen in schwarz und weiß, die der filmischen Dramaturgie dienen, aber auch als Rückblenden in eine dunkle Zeit gesehen werden können. Nicht vollends erschließt sich dem Zuschauer, warum ein Bruder mit der Mutter vertrieben wurde, während der andere mit dem Vater im Dorf bleiben musste und durfte.
Auch dies gehört zu Horst-Krause-Filmen: positives Ende garantiert! Während der Revolutionstage 1989 war die Euphorie im Land stärker als die Bindung zum Ehemann. Nach einer Demo auf dem Wenzelsplatz zeugte der tschechische Bruder einen unehelichen Sohn, der ihm bis kurz vor Filmende unbekannt blieb. Dieser Jirka übernimmt nach dem Willen der Brüder nun die Brauerei. Gut, dass er zuvor Marketing in Heidelberg studiert hat …
Zwar ist diese Lösung nicht gänzlich frei von Kitsch, weil es sich eben doch vor allem um einen Unterhaltungsfilm handelt. Trotzdem geht „Kryger bleibt Krüger“ als Streifen mit Herz und Verstand durch. Obwohl und gerade auch, weil er suggeriert, dass Deutsche und Tschechen längst normale Nachbarn sind bzw. bei gutem Willen sein können. So fest verbunden, dass sie zusammenhalten und sich in einem europäischen Haus gegen Ansprüche von außen gemeinsam zur Wehr setzen. Zur Not, indem ein trinkfester Deutscher die Chinesen mit Hilfe eines tschechischen Kellners unter den Tisch säuft. Die Jugend ans Ruder! – sinnbildlich für eine bessere deutsch-tschechische Zukunft in beiderseitiger Verantwortung.
Man hätte diesem Film gewünscht, dass er nicht gegen die Partie zwischen Deutschland und Kroatien bei der Handball-EM ausgestrahlt worden wäre, die gleichzeitig mehr als sechs Millionen Zuschauer im ZDF verfolgten. Allerdings ist „Kryger bleibt Krüger“ noch in der ARD-Mediathek zu sehen.
In der 3sat-Mediathek findet man bis 28. März auch eine andere Komödie, in der Tschechien entgegen aller Vorurteile und Klischees vorgeführt wird (auch auf YouTube abrufbar). In dem Film „Ein verlockendes Angebot“ preist eine Protagonistin – gespielt von der wunderbaren Christiane Paul – Vorzüge der böhmischen Küche an und überzeugt am Ende selbst skeptische Gäste und Kollegen vom tschechischen Nationalgericht Svíčková. Und ebenso von Utopenec, dem „Ertrunkenen“, der auch in „Kryger bleibt Krüger“ schmeckt.
„Ein verlockendes Angebot“ wurde erstmals 2007 gezeigt und zum Jahreswechsel in 3sat wiederholt. Das Drehbuch stammte von Laila Stieler, die u.a. schon mit einem Adolf-Grimme-Preis in Gold und dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Kritiker bescheinigen ihr eine „am Realismus orientierte Erzählweise“. Der Autorin gehe es darum, „glaubwürdige Geschichten zu erzählen, kein künstliches Drama zu erzeugen, sondern die Menschen so zu zeigen, wie sie sind“.
Auf Anfrage der PZ bestätigte Laila Stieler, dass sie das Drehbuch für „Ein verlockendes Angebot“ mit großer Sorgfalt und hohem Rechercheaufwand geschrieben habe. Um die tschechische Küche authentisch wiederzugeben, hatten „wir sogar eine Fachberaterin vor Ort“, erinnerte sie sich.
Stieler lieferte einen überzeugenden Beweis dafür, dass normale Menschen auch in fiktionalen Filmen überzeugen können und TschechInnen dort nicht immer nur Mörder oder Prostituierte spielen müssen, um Quote zu erzielen. Das war trotzdem auch in den letzten Monaten wieder öfter der Fall. Kopfgeburten deutscher Drehbuchschreiber lehren noch immer ein Millionenpublikum, dass die Nachbarn aus dem Osten weiterhin vor allem Autos klauen oder durch Crystal Meth zu Reichtum kommen wollen.
Davon setzen sich seit Jahren indes auch Krimis um den ZDF-Kommissar Marthaler und seine tschechische Freundin Tereza Prohaska ab. Diese Beziehung bildet eine Nebenhandlung von Folge zu Folge, wobei Tereza eine selbstbewusste Frau mit starker Persönlichkeit ist – auch wenn sie nicht von einer tschechischen Schauspielerin dargestellt wird, sondern von Ellenie Salvo González …
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