Erfolgreich im Nirgendwo
Tschechien beendet Eishockey-WM auf dem vierten Rang – Jágr beendet Nationalmannschaftskarriere
29. 5. 2014 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: ČSLH – Aleš Krecl
Es war ein Bild, das man so schon länger nicht zu Gesicht bekam. Jaromír Jágr schleuderte wutentbrannt alles gegen die Plexiglasscheibe der Strafbox, was er in seine Finger bekam, fluchte und haderte unentwegt. Der 42-jährige Altstar kriegte sich einfach nicht mehr ein. Es war Samstagabend, die letzten Minuten des WM-Halbfinales liefen und die tschechische Auswahl lag gegen abgebrühte Finnen mit 0:2 im Hintertreffen. In zahlreichen Sportarten ein Rückstand, der in so kurzer Zeit kaum aufzuholen ist, allerdings nicht im Eishockey. Und so glaubte Jágr immer noch an das Wunder. Tschechiens spielende Legende wollte bei dieser Weltmeisterschaft unbedingt eine Medaille gewinnen. Sein Wunsch sollte unerfüllt bleiben.
Dabei begann Jágrs Mission nach einer durchwachsenen Vorrunde vielversprechend. In einem packenden Viertelfinale schlug das Team von Vladimír Růžička am vergangenen Donnerstag die favorisierten US-Amerikaner mit 4:3, wobei die Cracks aus Nordamerika in den letzten 60 Sekunden des Spiels von einem 1:4 noch bis auf ein Tor herankamen. „Wir müssen 60 Minuten gut und konzentriert spielen, und nicht 58“, beschwerte sich der entnervte Torhüter Alexander Salák nach dem knappen Sieg. Indes hoffte Jágr, dass diese Erfahrung für die jungen Kräfte im Team eine Warnung zur rechten Zeit sei, bis zum Schluss immer alles zu geben. Er selbst lebte es ihnen vor, auch wenn dabei Stöcke, Wasserflaschen und Handschuhe fliegen – wie zwei Tage später von den Fernsehkameras in alle Welt gesendet.
Am Willen und der richtigen Einstellung fehlte es im Halbfinale indes nicht, eher an der Klasse. Es stellt dem Team, bei aller Verehrung und Respekt gegenüber dem Jahrhundertspieler Jágr, kein gutes Zeugnis aus, wenn dessen Topscorer ein 42-jähriger Oldie ist. Gegen Ende des letzten Drittels belagerte der erste Block um Jágr und Jungstar Tomáš Hertl das Tor der Finnen ein letztes Mal so vehement, als ob er gleich zwei Spieler mehr in seinen Reihen hätte.
Dabei war es lediglich ein einziger, nachdem Salák seinen Kasten verlassen hatte, um einem sechsten Feldspieler Platz zu machen. So richtig gefährlich wurde es für die Skandinavier trotzdem nicht mehr. Sie verwalteten ihren Vorsprung souverän, ehe Jori Lehterä die Scheibe kurz vor Schluss nach einem Konter locker zum 3:0-Endstand im leeren Tor versenkte. Coach Růžička sah den Grund für die Niederlage bereits im schwachen ersten Drittel: „Das frühe Gegentor war entscheidend. Danach verteidigten die Finnen sehr gut.“ Und konterten sein Team eiskalt aus.
Fehlende Effizienz
Am Sonntag wartete mit Schweden der enttrohnte Weltmeister von 2013 im Spiel um Platz drei. Und wieder begann man zu unkonzentriert. Nach fünf Minuten kassierten die Tschechen den ersten Gegentreffer, zehn Minuten später folgte der zweite. Mit einem 0:2 ging es in die Pause – eine schwere Hypothek für ein Team, das in der Offensive seit längerem mit fehlender Effizienz kämpft. Trotz teilweise gefälligem Spiel brachte man, wie gegen Finnland, auch in diesem letzten Einsatz bei der WM keinen Treffer zustande. „So ist Sport. Wir hatten einige Chancen, machten das Tor aber nicht. Das Team ist jung, vor allem in der Verteidigung. Oder wie habt ihr Experten, die ihr nie etwas gewonnen habt, das gesehen?“, fragte ein sichtlich gereizter und enttäuschter Jágr nach der Niederlage provokant in die Journalistenrunde. Seine schlechte Stimmung hatte einen guten Grund.
Des Tschechen Eishockey-Held Nummer eins bestätigte, was mancherorts schon länger befürchtet wurde und Jágr bereits nach dem Viertelfinale angedeutet hatte: Er gab seinen Rücktritt aus dem Nationalteam bekannt. „Es ist schade, dass es mit der Medaille nicht geklappt hat. Ich bin aber trotzdem nicht allzu traurig, das Leben geht weiter und ich spiele ja auch noch ein wenig weiter“, so Jágr. Für Tschechien stand er 149 Mal auf dem Eis, wurde Weltmeister und Olympiasieger; mehr geht nicht. Und doch wollte er mit einer Medaille abdanken. Trösten tut er sich mit dem Gedanken, in der kommenden NHL-Saison mit den New Jersey Devils noch einmal um den Stanley Cup zu spielen.
Derweil verliert die Nationalmannschaft den wohl besten tschechischen Spieler aller Zeiten. Eine goldene Ära geht zu Ende. Angesichts des Potenzials des hiesigen Eishockey braucht man sich nicht ernsthaft zu sorgen. Diese WM hat aber auch gezeigt, dass dem Team die Luft in höchsten Lagen jeweils ausgeht. Der dritte Großanlass infolge ohne Medaille – das ist keine Katastrophe. Platz vier lässt sich sehen. Und doch scheint es, als ob man sich im Nirgendwo zwischen der Spitze und dem nivellierten Mittelfeld wiederfindet. Und das ein Jahr vor der Heim-WM in Prag und Ostrava. Bis dahin will eine landesweite Fan-Petition Jaromír Jágr dazu bewegen, den Rücktritt vom Rücktritt zu geben, um vor eigenem Anhang doch noch eine letzte WM-Medaille zu ergattern.
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