„Es geht nur um Macht“
Politologe Lukáš Jelínek über den Faktor Zeman und den letzten Hoffnungsschimmer für die tschechische Sozialdemokratie
6. 11. 2013 - Interview: Martin Nejezchleba
Lukáš Jelínek weiß, wie die ČSSD tickt. Der Politologe war Berater von Premier Vladimír Špidla (2002–2004) und dem Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses Lubomír Zaorálek (2002–2006). Zudem war er Direktor der Demokratischen Masaryk-Akademie, einem Thinktank der Sozialdemokraten, für den er noch heute arbeitet. Die Geschehnisse um die ČSSD kommentiert er meist im Tschechischen Rundfunk. Im Gespräch mit Redakteur Martin Nejezchleba erläutert er die Krise der Sozialdemokraten nun für die Leser der „Prager Zeitung“.
Herr Jelínek, warum ist es der ČSSD zum zweiten Mal hintereinander nicht gelungen, von den Wählern ein starkes Mandat zu erhalten, um eine Mitte-Links-Regierung aufzustellen? Nach sieben Jahren in der Opposition und den Skandalen um die Vorgängerregierungen standen die Chancen doch ziemlich gut…
Lukáš Jelínek: Achtzig Prozent der Wähler haben aus Protest gewählt. Aber es stimmt auch, dass immer mehr Leute nicht daran glauben, dass die Sozialdemokraten eine Veränderung bringen. Hätten die Wahlen wie ursprünglich vorgesehen erst im Frühjahr stattgefunden, dann hätte ANO die Wahlen vielleicht sogar gewonnen.
In der tschechischen Bevölkerung setzt sich immer mehr das Gefühl durch, dass die traditionellen Parteien das eigentliche Problem darstellen. Es wird gesagt – und da ist sicher vieles dran – dass diese Parteien Vetternwirtschaft betreiben und eher aus eigenem Interesse als im Sinne der Wähler handeln. Hinter dem knappen Sieg der ČSSD verbergen sich meiner Meinung nach mehrere konkrete Gründe. Der Wahlkampf kam ohne Skandale, hinterlistige Attacken und negative Botschaften aus. Auch die Kampagne der Sozialdemokraten war sehr zahm. Dem unzufriedenen Wähler mag es an Radikalität gefehlt haben, weshalb sie lieber für die neuen politischen Bewegungen stimmten. Die verbleibende Stammwählerschaft mag sich an den Erwägungen über eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten gestört haben. Vor allem aber hat der ČSSD geschadet, dass sie vor den Wahlen nicht wie eine geeinte Partei wirkte. Es wurde öffentlich darüber gestritten, ob man die Übergangsregierung Rusnok unterstützen solle. Absolut selbstmörderisch war dann im September der Unwille eines großen Teils der ČSSD, bei der geheimen Abstimmung im Zentralkomitee Bohuslav Sobotka als Spitzenkandidaten zu unterstützen.
Wie kam es zur fehlenden Einheit der Partei?
Jelínek: Der Zerfall begann bereits vor zehn Jahren, als Miloš Zeman nicht zum Präsidenten gewählt wurde. Daraufhin gab er seinen Anhängern den Befehl, gegen die legitimen Vorsitzenden zu kämpfen. Auch Michal Hašek hat 2011, als er um den Parteivorsitz kandidierte, auf diese Leute gebaut. Als Zeman Anfang des Jahres zum Präsidenten gewählt wurde, haben sich viele Parteimitglieder lieber loyal gegenüber ihm gezeigt als sich zur Marke ČSSD zu bekennen. Offensichtlich sahen sie in ihm eine stärkere Persönlichkeit als in Sobotka. Bei den Parlamentswahlen hat es Zeman nicht geschafft, die ČSSD mithilfe seiner eigenen Partei SPOZ zu zerlegen, die lediglich auf 1,5 Prozent der Stimmen kam. Aus diesem Grund hat er nun den Druck im Inneren der ČSSD erhöht.
Den vorläufigen Höhepunkt bildete das Treffen von Hašeks Leuten mit dem Präsidenten am Wahltag und die anschließende Rücktrittsforderung an Sobotka. Der darauffolgende Widerstand der Wähler und der Parteibasis hat mich positiv überrascht. Das zeigt, dass die ČSSD noch nicht ganz versteift und zynisch ist.
Von außen wirkt es so, als ginge es in diesem Streit nur um das Verhältnis der Partei zu Miloš Zeman. Wird auch um politische Inhalte gekämpft?
Jelínek: Nein. Es geht um Machtpositionen, nicht um Abweichungen im politischen Programm. Das ist das Traurige. Das ČSSD-Programm zieht niemand in Zweifel. Es ist bezeichnend, dass noch vor zehn Jahren mit dem Namen Zeman der linke Flügel der Partei verbunden war. Ein und dieselben Leute haben aber vor zwei Jahren begonnen, nach einer Neuverhandlung über das Verständnis vom Sozialstaat zu rufen. Gleichzeitig halten sie sich von linksgerichteten Bürgerinitiativen fern. Es ist offenkundig, dass es mehr um reine Taktik als um eine ideologische Auseinandersetzung geht.
Zieht sich die Spaltung durch die gesamte Partei? Oder geht es nur um einen Machtkampf an der Parteispitze?
Jelínek: Michal Hašek ist Vorsitzender des Verbandes der Kreisregierungen und hatte entscheidenden Einfluss auf die regionale Struktur der ČSSD. Die ist immer deutlicher in Opposition zur landesweiten Führung getreten. Der Streit ist also auch in die unteren Partei-Etagen durchgesickert. Allerdings ist die Parteibasis aus ihrer Lethargie erwacht und bringt die Dinge in Ordnung. Das wird auch bei der anstehenden Verhandlung des Zentralkomitees eine Rolle spielen.
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