Fast ein Paradies am Ende der Welt
Krásná ist das „Dorf des Jahres“ und ein Lichtblick im grauen Grenzgebiet. Zu Besuch in der westlichsten Gemeinde des Landes
8. 10. 2015 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton
In Kapuzenpulli, Jeans und Turnschuhen bittet Bürgermeister Luboš Pokorný in die Amtsstube von Krásná (Schönbach bei Asch). In anderen Rathäusern sehen so die Mitarbeiter aus, die für den Bauhof arbeiten. Andere Gemeinden dürfen sich aber auch nicht „Dorf des Jahres 2015“ nennen. Seit 1995 wird der Titel in Tschechien an Kommunen verliehen, in denen es sich besonders gut wohnen lässt. Kriterien sind zum Beispiel, was für Kinder und Jugendliche geboten wird, wie Landwirtschaft und Umweltschutz funktionieren und wie das „gesellschaftliche Leben“ gepflegt wird.
Krásná konnte die Jury dieses Jahr in allen Punkten überzeugen, siegte zuerst auf regionaler Ebene, bevor es im September auch den nationalen Titel holte. Zum ersten Mal überhaupt gewann den Wettbewerb ein Ort im Kreis Karlovy Vary – und dann ausgerechnet ein Grenzdorf am ehemals Eisernen Vorhang, das erst seit 1990 eigenständig ist und zugleich Tschechiens westlichste Gemeinde, mit Bürgermeister in Turnschuhen und einem Galgen auf dem Dorfplatz.
Dass die Holzkonstruktion gegenüber dem Gemeindeamt aussehe wie ein Galgen, gibt der Bürgermeister selbst zu und muss lachen. Demnächst soll eine Glocke daran hängen – ein letztes Schmuckstück, das dem frisch renovierten Platz noch fehlt. Zwölf Jahre hat Krásná immer wieder am Wettbewerb um das „Dorf des Jahres“ teilgenommen, aber am Platz gegenüber dem Rathaus hatte die Jury stets etwas auszusetzen. Das Gelände, das früher dem Grenzschutz diente, sei in Privatbesitz gewesen, sagt Pokorný. Vor vier Jahren habe die Gemeinde es gekauft, ehemalige Garagen zum Kindergarten umgebaut und den Platz davor zum zentralen Platz, zum Treffpunkt für die Bürger.
Den Sieg habe Krásná aber nicht der neue Platz beschert, meint der Bürgermeister, sondern die Vereine im Ort. Dazu gehören unter anderem drei Klubs für Frauen unterschiedlichen Alters, die Freiwillige Feuerwehr und ein Reitverein – eine Menge für derzeit 549 Einwohner. Dass überhaupt so viele Menschen in der Grenzgemeinde mit dem „westlichsten Punkt der Republik“ leben, ist auch der Politik des gelernten Bauleiters Pokorný zu verdanken. Er war gerade einmal 24 Jahre alt, als er 2002 als unabhängiger Kandidat Bürgermeister wurde. Der Ort zählte damals 420 Einwohner. „Eine Gruppe von Leuten wollte etwas bewegen, die Menschen in der Gemeinde zusammenbringen. Sie haben mich gefragt, ob ich ihr Kandidat werden will.“
Er sei so „hineingestolpert“, sagt der heute 38-jährige Vater von zwei Kindern, der selbst in Krásná aufgewachsen ist. Zu Beginn seiner ersten Amtszeit musste er sich zunächst um die Kanalisation und Wasserleitungen kümmern. Es folgten mehrere Spielplätze und Sportanlagen – darunter eine Bahn für Inlineskater und ein Fußballplatz mit kostenlosem WLAN für Nutzer und Besucher – und 2012 der Kindergarten, den derzeit 26 Jungen und Mädchen besuchen. Außerdem renovierte die Gemeinde Wohnungen für Senioren und sorgte dafür, dass junge Familien günstig an Grundstücke kamen. Nicht zuletzt schaffte sie in jüngster Vergangenheit die Hundesteuer und die Gebühren für die Müllabfuhr ab. Ein Kleinbus bringt die Schulkinder seit dem vergangenen Jahr kostenfrei zum Unterricht ins benachbarte Aš.
Traumhaftes Wahlergebnis
Dass diese Politik bei den Bürgern ankommt, wundert nicht. Bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr erhielt Pokorný 213 von 222 Stimmen. Im Gemeinderat sitzen, den Bürgermeister mitgerechnet, sechs unabhängige Kandidaten und ein Vertreter der Kommunistischen Partei. „Aber auch mit ihm arbeiten wir zusammen“, betont der Rathauschef. Doch woher nimmt er das Geld für all die Projekte? Auf fünf Millionen Kronen belief sich der Haushalt im vergangenen Jahr, Krásná kam ohne Schulden aus. „Auch wenn wir eine kleine Gemeinde sind, haben wir keine Angst, große Projekte anzugehen“, sagt der Bürgermeister – und man weiß in Krásná offenbar, wie man Fördergelder beantragt. Immer wieder findet man Schilder, die darauf hinweisen, dass hier EU-Gelder geflossen sind.
Wer einen allzu gelackten Ort erwartet, wird allerdings enttäuscht, wenn er von Aš nach Krásná kommt. Am Ortseingang liegt rechts eine Backsteinruine, aus deren Fenstern schon Bäume wachsen, eine ehemalige Brauerei, die zuletzt als Lager für Getreide und Gemüse diente. Links befindet sich das Firmengelände einer Gießerei. Das ehemalige Brauereigelände sei in Privatbesitz, sagt der Bürgermeister, da könne die Gemeinde wenig ausrichten. Die Gießerei ist mit 250 Angestellten der größte, das heißt der einzige große Arbeitgeber in Krásná. Wer nicht dort unterkommt, ist in der Regel in Aš beschäftigt oder in Deutschland.
Die Nähe zur Grenze sei ein großer Vorteil für seine Gemeinde, glaubt Pokorný, als trennende Linie nehme er sie nicht mehr wahr. Mit den Partnergemeinden Rehau und Regnitzlosau in Bayern sowie Adorf und Bad Elster in Sachsen arbeitet er zusammen, die Kindergartengruppen planen gemeinsame Ausflüge, die Freiwilligen Feuerwehren rüsten sich zusammen für den Ernstfall. Und an einem Sonntagabend sind in der Dorfkneipe Sokolovna mehr Tische von Sachsen besetzt als von Einheimischen. Zum Abschied klopfen sie auch auf die Tische der tschechischen Gäste: „Ahoj“, sagen die Deutschen, „Auf Wiedersehen“ antworten die Tschechen. Vor allem „aus dem Osten“ kämen deutsche Gäste, sagt die Wirtin. „Denen aus dem Westen ist es bei uns wohl nicht vornehm genug.“
Der Bürgermeister hat so einen Unterschied nicht bemerkt. Mit den bayerischen Partnern aus Rehau habe die Gemeinde zum Beispiel den alten Friedhof der „verschwundenen Ortschaft“ Újezd (Mähring) erneuert. Im Gegensatz zu Mähring verschwand Schönbach nach dem Zweiten Weltkrieg nicht ganz von der Landkarte, sondern wurde als Krásná ein Teil der wenige Kilometer entfernten Stadt Aš. Nach der Samtenen Revolution erkämpften sich die Bürger jedoch ihre Unabhängigkeit zurück – 1990 wurde das 1331 erstmals erwähnte Krásná, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehr als 2.000 Einwohner zählte, wieder zur selbständigen Gemeinde.
Alle sollen mitentscheiden
Vielleicht klappt es deswegen so gut mit dem Zusammenhalt, weil die Bewohner von Krásná sich ihre Gemeinde gemeinsam erstritten haben. Natürlich gibt es auch im „Dorf des Jahres“ Schattenseiten. Sehen kann man sie zum Beispiel, wenn man sich auf den Weg zum „westlichsten Punkt der Republik“ macht. Zuerst kommt man an einzelnen Höfen vorbei, dann an einsamen Plattenbauten, die vor sich hin verfallen. Doch es brennt Licht in manchen Fenstern. In den Ruinen wohnt jemand. Das sei leider ein sogenannter „Ort der sozialen Ausgrenzung“, nickt Pokorný mit bedauernder Miene. Aber dann schimpft er nicht auf die Roma, wie es andere Provinzbürgermeister tun würden. In den nächsten Monaten werde die Gemeinde die Häuser kaufen, sagt er, die Bewohner sollen woanders untergebracht und die Gebäude abgerissen werden. Die Familien, die derzeit noch dort lebten, seien integriert, kämen zu kulturellen Veranstaltungen im Ort und auch die Gemeinde beschäftige einige Roma.
Pokorný erzählt das alles ganz sachlich, lässt sich mehr aus der Nase ziehen anstatt mit seinem Erfolg anzugeben. Er wolle „so nah wie möglich“ an den Bürgern dran sein, sagt er. In der Praxis heißt das zum Beispiel, dass alle mitentscheiden sollen, was die Gemeinde mit den zwei Millionen Kronen macht, die ihr nun zusätzlich zur Verfügung stehen – eine Million brachte die Auszeichnung „Dorf des Jahres“ im Kreis Karlovy Vary, eine weitere Million der Landessieg. Ein Treffen mit den Bürgern ist geplant, damit sie vorschlagen können, was ihrer Meinung nach fehlt. „Dann werden wir sehen, was am wichtigsten ist“, sagt der Bürgermeister und schleicht in Kapuzenpulli, Jeans und Turnschuhen davon. Vielleicht ist das Outfit ja ein Teil des Erfolgsgeheimnisses.
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