Feierlaune verflogen
Czech Airlines gedenkt ihres ersten Flugs vor 90 Jahren. Zum Feiern ist der Gesellschaft aber nicht zumute
23. 10. 2013 - Text: Sabina PoláčekText: Sabine Poláček; Foto: ČSA
Als Václav König am 29. Oktober 1923 in Prag-Kbely mit Overall, Schal und Fliegerbrille den Doppeldecker besteigt, herrscht typisches Herbstwetter. Ein leichter Nebelschleier liegt über der Stadt, der allmählich von der Sonne verdrängt wird. Königs Uhr zeigt 12 Uhr und 35 Minuten, als der Flieger des Typs A-14 Brandenburg L-BARA emporsteigt. Der 26-Jährige blickt auf rostfarbene Wälder, glitzernde Weiher und Bäche herab und ist vom Gefühl des Fliegens überwältigt. Pilot Karel Brabenec neigt die fliegende Holzkonstruktion nach links, damit der einzige Passagier die Sázava betrachten kann. Václav König lacht und ruft aus der offenen Kabine winkenden Menschen am Boden zu, auch wenn er ahnt, dass sie ihn wegen des Motorengeräuschs nicht hören können. Nebelschwaden ziehen an ihm vorbei, er wirft einen Blick auf seinen Kompass, der nach Süd-Ost zeigt. Um 14.55 Uhr landet er in Bratislava-Vajnory – ein historischer Moment.
„Der erste Fluggast der Tschechoslowakischen Staatlichen Aerolinien zu sein, erfüllt mich mit großem Stolz“, sagte Václav König, der 1923 seine Eindrücke als Redakteur der Tageszeitung „Lidové noviny“ in einem Artikel niederschrieb. Heute heißt die Fluggesellschaft České aerolinie (ČSA, internationaler Name: Czech Airlines) und gehört zu den ältesten in Europa. „Damals musste sich der Pilot mit einer Landkarte begnügen. Bei starkem Nebel und im Winter waren Flüge gar nicht möglich. Heute haben die Piloten eine Verbindung zum Tower und modernste Navigationstechnik“, sagt der Sprecher von Czech Airlines Daniel Šabík.
Starke Turbulenzen
Nach 90 Jahren Bestehen hat Czech Airlines mehr als 115 Millionen Fluggäste und 900.000 Tonnen Güter und Post befördert. Im Terminal 2 des Václav-Havel-Flughafens in Prag erinnert zwar eine Ausstellung an das Gründungsjubiläum, die Geburtstagsfeier fällt jedoch aus. „Zum Feiern gibt es keinen Grund“, meint Šabík. Denn die Gesellschaft wolle den seit 2010 andauernden Umstrukturierungsprozess bis Ende dieses Jahres abschließen. „Die Maßnahmen sollen nicht nur zu Einsparungen innerhalb des Unternehmens führen, sondern es auch verschlanken und die Effektivität einzelner Prozesse erhöhen“, erläutert Šabík.
Die notwendige Schlankheitskur spiegelt sich in den Unternehmenszahlen wider: Heute besteht die Flotte von Czech Airlines aus 24 Flugzeugen – darunter 16 Airbusse, die 45 Zielorte in 27 Ländern anfliegt. Im vergangenen Jahr beförderte die Fluggesellschaft rund vier Millionen Passagiere. Zum Vergleich: 2005 erreichten 5,2 Millionen Fluggäste eine von insgesamt 117 Destinationen.
Auslöser für den Sinkflug war die Wirtschaftskrise 2009 und ihre Folgen. Czech Airlines – und auch andere Fluglinien wie Lufthansa oder American Airlines – gerieten in heftige Turbulenzen. Der Verlust im ersten Halbjahr 2009 war so groß, dass die tschechische Fluglinie vor dem Bankrott stand. Ein Verkauf durch den Staat scheiterte. Um das Unternehmen zu retten, wurde die Fluggesellschaft 2010 in eine Holding überführt. Das geschnürte Sparpaket der Regierung war jedoch mit drastischen Lohnkürzungen und Entlassungen verbunden. Als Reaktion darauf beschlossen die tschechischen Piloten eine kollektive Krankmeldung und gingen 2011 in den größten Streik der Unternehmensgeschichte. Der Streit zwischen Czech Airlines und der Pilotenvereinigung CZALPA eskalierte: Die Fluggesellschaft warf der Pilotenvereinigung vor, dass sie unrealistische Forderungen stelle und Lügen verbreite. Die Wunden sind offenbar immer noch nicht verheilt. Eine Interview-Anfrage der „Prager Zeitung“ bei CZALPA über die derzeitige Arbeitssituation der Piloten wurde kategorisch abgelehnt.
In diesem Jahr kaufte Korean Air 44 Prozent der ČSA-Anteile für nur 2,64 Millionen Euro. Das Streckennetz wurde mit neuen Flugzielen nach Asien ausgebaut, angeboten werden sogar Direktflüge von Prag nach Seoul. Die slowakische Hauptstadt, in der Václav König einst voller Stolz gelandet war, wird von Prag aus nicht mehr angesteuert. Czech-Airlines-Sprecher Šabík: „Die damals regelmäßige Flugverbindung wurde 2011 aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt.“
Meilensteine der ČSA-Geschichte
1923 Gründung der Fluggesellschaft (6. Oktober), erster Flug von Prag nach Bratislava (29. Oktober)
1930 Erste Auslandsflüge ins kroatische Zagreb
1937 Die erste Flugbegleiterin geht an Bord
1939–1945 Aufgrund des Zweiten Weltkriegs Verlust der Lufthoheit. Das Protektorat Böhmen und Mähren gehört bis 1945 dem Verkehrsgebiet der Deutschen Lufthansa an, die die ČSA-Flotte übernommen hatte
1948 Aufgrund des Eisernen Vorhangs eingeschränkte Auslandsflüge
1965 Beitritt zur Berliner Vereinbarung: ČSA erweitert Streckennetz in Europa, Asien und Afrika
1970 Eröffnung von zwei Transatlantikstrecken von Prag nach New York
1992 Umwandlung der staatlichen Fluglinie in eine Aktiengesellschaft
2001 Mitglied der SkyTeam-Allianz,
zu der 19 Fluggesellschaften zählen
2010 Gründung der Český Aeroholding;
Regierung billigt Plan zur Restrukturierung
2013 Korean Air kauft 44 Prozent der ČSA-Anteile; Kooperation mit Etihad Airways; Ausbau des Streckennetzes
Quelle: ČSA und Aircraft
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