Flimmerkasten Super Acht
Das DOX zeigt Filme und Fotografien des Avantgardekünstlers Jonas Mekas
30. 1. 2013 - Text: Linda LorenzText: Linda Lorenz; Foto: DOX
Es ist, als ob man in einem Tagtraum lebt, ohne zu wissen, wohin die Reise geht. Wer sich die Filme von Jonas Mekas ansieht, hat nicht mehr das Gefühl, im wahren Leben zu stehen. Und je intensiver dieses Gefühl aufkommt, desto stärker nimmt der Künstler den Betrachter mit in seine eigene Welt – eine, die realistischer nicht sein könnte.
Die Prager Galerie DOX widmet sich dem Tausendsassa anlässlich seines 90. Geburtstages. Mekas ist Filmemacher, Poet, Fotograf und nicht zuletzt Lebenskünstler. So schrieb er: „In einer Zeit, in der jeder erfolgreich sein und verkaufen will, möchte ich mich auf die unsichtbaren, persönlichen Dinge stützen, die kein Geld bringen und kein Brot und nicht in die Geschichte eingehen. Ich stehe für Kunst, die wir füreinander tun – als Freunde und für uns selbst.“ In Amerika gilt der gebürtige Litauer als „The Godfather of Avantgarde“. Damit sind nichts anderes als seine Filme gemeint, die den größten Anteil seines Oeuvres ausmachen. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Mekas nicht mehr in seine Heimat zurükkehren. Er ließ sich 1949 in New York nieder, wo seine Laufbahn als Filmemacher begann.
Alltagsstreifzüge
Im DOX flimmern ausgewählte Streifen über dutzende von Bildschirmen. So unter anderem auch „360 Day Project“, welchen er ursprünglich für das Internet drehte, um Anteil an einer digitalisierten Welt zu nehmen. Der Film entstand im Jahr 2007 und beschreibt jeden einzelnen Tag des Jahres in Form eines Kurzfilms. Zwischen den Filmprojektionen hängen Fotografien mit Mekas selbst oder Aufnahmen, die der Lomografie gleichen. In bunten, ausgewaschenen Farben, zum Teil überbelichtet, reihen sich aus dem Alltag gerissene Sequenzen auf einer Diaspur aneinander – mal ist ein Kind am See, mal Blumen auf dem Amaturenbrett eines Autos oder ein altes Paar im Garten zu sehen.
Mekas Ideen sind einfach, aber deren Umsetzung umso wirkungsvoller. Er gestaltete sein Leben als eine Art Tagebuch und gab seiner Kunst durch die Inszenierung des Gewöhnlichen einen hohen Identifikationsgrad. An politischer Partizipation oder gesellschaftlichen Großereignissen war er nicht interessiert. Innerhalb seiner cineastischen Streifzüge gelingt es ihm, durch schnelle Schnitte, Über-, Doppel- oder Unterbelichtung sowie dem Blick für Details ein träumerisches Schwelgen zu erzeugen.
Seine Lichtspiele stellte er auf simple Art und Weise her: Meist filmte er mit seinem Lieblingsstück, der Super8-Kamera. Wie in einem Stummfilm arbeitete der Künstler mit bildschirmfüllenden Textpassagen. Diese tippte er zuvor auf Schreibmaschine, stellte die Kamera provisorisch auf einen Stapel Bücher und filmte den Text schließlich ab. So werden seine Streifen immer wieder unterbrochen durch narrative Tagebuchzeilen wie: „August 2007, 3:37, Rain. Morning. Japan“.
Im obersten Stockwerk des DOX wartet dann das große Finale auf den Besucher: Auf einer riesigen Leinwand wird Mekas’ Film „Out-Takes from the Life of a Happy Man“ aus dem Jahr 2012 gezeigt. Darin beschreibt er die glücklichsten Jahre seines Lebens, komprimiert auf 68 Minuten. Immer wieder tauchen seine Kinder auf, seine Frau, Wasser, Jahreszeiten, Familienfeiern, Katzen, Bäume. Manchmal ist Mekas selbst im Bild, spricht Texte aus dem Off oder verwendet Originaltöne wie das Rauschen des Meeres. Die kurzen Momentaufnahmen erzeugen das Gefühl, als wäre man nur ein zufälliger Zeuge sprunghafter Erinnerungen. In gewisser Weise ist es auch so.
Jonas Mekas:…Pokračuji v cestě… Záblesky minulosti kolem… DOX (Poupětova 1, Prag 7), geöffnet: Mo., Sa./So. 10–18 Uhr, Mi.–Fr. 11–19 Uhr (dienstags geschlossen), Eintritt: 180 CZK (ermäßigt 90 CZK), bis 22. April
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