Fragwürdige Praktiken
Otomar Kittnar von der Medizinischen Fakultät der Karls-Universität über gestiegene Bewerberzahlen aus dem Ausland und die zunehmende Kommerzialisierung des Studiums
8. 10. 2014 - Text: Eva Famulla, Foto: Univerzita Karlova
Die fünf Medizinischen Fakultäten der Prager Karls-Universität bieten unabhängig voneinander ein Studium in englischer Sprache an, die erste bereits seit 1992. Professor Otomar Kittnar ist Prodekan am Institut für Physiologie und zuständig für die englischsprachigen Klassen. Im PZ-Interview spricht er über die Situation der tschechischen Studenten und den ökonomischen Vorteil eines Studiengangs für Ausländer.
Das Medizinstudium wird in Tschechien immer populärer. Die Zahlen der Bewerber – vor allem aus Großbritannien, Norwegen oder Deutschland – steigen auch an Ihrer Fakultät von Jahr zu Jahr. Warum?
Otomar Kittnar: Zunächst einmal denke ich, dass das ein Trend der vergangenen Jahre war und wir uns nun dem Maximum nähern. Die vergleichsweise hohe Zahl der Interessenten, die übrigens in keinem ausgewogenen Verhältnis zur geringen Anzahl an Studienplätzen steht, hat viele Gründe. Zum einen liegt das an den gestiegenen Studiengebühren in vielen Ländern, zum anderen aber auch an dem wachsenden Ansehen unserer Fakultät. Das hängt wiederum mit unseren im Ausland arbeitenden Absolventen zusammen, die mit ihren Fähigkeiten die hohe Qualität von Lehre und Forschung an der Medizinischen Fakultät der Karls-Universität unter Beweis stellen.
Wenn Medizin-Studienplätze in Tschechien zwar immer begehrter, aber nicht mehr werden: Gehen dann nicht auch immer mehr tschechische Bewerber leer aus?
Kittnar: Nein. Denn die Anzahl zugelassener Studenten für das tschechische und das englische Studienprogramm sind voneinander unabhängig. Wir haben strikte Limits und können die Grenze von 120 Zulassungen für das englische Programm nicht überschreiten, selbst wenn die Zahl der Interessenten weiter angestiegen ist. Zum Vergleich: Das tschechische Programm sieht derzeit fast 500 Studienplätze vor, also vier Mal so viel.
Und das reicht aus?
Kittnar: Die Kapazitäten aller Medizinischen Fakultäten in Tschechien sind auf die Bedürfnisse des tschechischen Gesundheitswesens abgestimmt. Es kann aber durchaus problematisch sein, wenn unsere Absolventen in Scharen ins Ausland gehen, weil sie dort besser bezahlt werden.
Die internationalen Studenten, die nach Prag kommen, können in der Regel noch kein Tschechisch. Dabei sind doch gerade die Kommunikation zwischen dem Arzt und dem Patienten äußerst wichtig – und die spielt sicher auch beim praktischen Teil der Ausbildung eine Rolle.
Kittnar: Zum Unterricht gehört auch ein Grundkurs der tschechischen Sprache, der die Studenten in den ersten drei Jahren auf die Kommunikation mit tschechischen Patienten vorbereitet. Dabei geht es nicht um eine perfekte Grammatik, sondern darum, sich einfach ausdrücken zu können. Im Großen und Ganzen sind drei Jahre Tschechisch-Unterricht in einem tschechischsprachigen Umfeld vollkommen ausreichend.
Nur wenige ausländische Studenten bleiben nach dem Abschluss ihres Studiums in Tschechien. Wie Sie bereits selbst gesagt haben, liegt das wohl auch daran, dass sie in ihren Heimatländern mehr Geld verdienen. Da stellt sich die Frage: Warum bieten Sie einen englischsprachigen Studiengang an, wenn es dabei nicht um die Ausbildung von in Tschechien praktizierenden Ärzten geht?
Kittnar: Im Prinzip machen wir das aus drei Gründen. Zum Ersten wollte sich unsere Fakultät nach 1989 der Welt öffnen, also Studenten aus vielen Ländern aufnehmen und ein internationales akademisches Umfeld schaffen. Zum Zweiten können wir durch den englischsprachigen Unterricht an internationalen Austauschprogrammen teilnehmen. Und zum Dritten hat das natürlich auch wirtschaftliche Gründe. Die Studiengebühren für englischsprachigen Unterricht – das betrifft also auch Tschechen – sind höher als die vom Bildungsministerium unterstützten tschechischsprachigen Studiengänge, die im Übrigen auch von Ausländern belegt werden können.
In vielen Ländern haben sich bereits Agenturen gegründet, die sich darauf spezialisiert haben, Abiturienten, die Medizin studieren wollen, an ausländische – also auch an tschechische – Universitäten zu vermitteln. Natürlich gegen Bezahlung. Sehen Sie dieser Entwicklung nicht mit Sorge entgegen? Es geht immerhin um eine Kommerzialisierung des Studiums.
Kittnar: Natürlich ist das beunruhigend und wirft moralische Fragen auf. Auf der anderen Seite muss man ganz klar sagen, dass auch die Ausbildung zum Business geworden ist. Ich fürchte, solange die Menschen dafür bereit sind, solche Summen zu bezahlen, wird sich daran nur schwer etwas ändern lassen. Auch wir sind uns diesem Problem bewusst und treten dem zum Beispiel dadurch entgegen, indem wir solche Vermittlungsgebühren nach der Immatrikulation übernehmen. Unsere ausländischen Studenten sollten solche Agenturen nicht dafür bezahlen, dass sie bei uns studieren können.
Die Fragen stellte Eva Famulla.
„Online-Medien sind Pioniere“
Kinderwunsch nicht nur zu Weihnachten