Frust und Freude

Frust und Freude

Deutschland und Tschechien lieferten sich bisher viele spannende Duelle. Am Ende jubelte oft der Außenseiter

6. 10. 2016 - Text: Helge Hommers, Foto: Michal Kamaryt, ČTK

Wenn Deutschland und Tschechien am zweiten Spieltag der WM-Qualifikation in Hamburg aufeinandertreffen (Samstag, 8. Oktober, 20.45 Uhr), sind die Rollen so klar verteilt wie nur selten zuvor. Der amtierende Weltmeister peilt den Gruppensieg an – als Zwischenstation auf dem Weg zum erneuten Titelgewinn in zwei Jahren in Russland. Das Team von Neu-Nationaltrainer Karel Jarolím hingegen befindet sich im Umbruch und hofft auf den zweiten Tabellenplatz, der zur Relegation reichen könnte. Klangvolle Namen wie noch vor wenigen Jahren sind aus dem tschechischen Kader verschwunden. Einzig Kapitän Tomáš Rosický steht – zumindest auf dem Papier – noch für den Glanz vergangener Zeiten. Der 36-Jährige wird im Topspiel der Gruppe C aber ebenso verletzungsbedingt fehlen wie Vladimír Darida von Hertha BSC Berlin. So müssen es international eher unbekannte Spieler wie Sparta-Rückkehrer Václav Kadlec und Italien-Legionär Ladislav Krejčí richten. Die Bilanz spricht klar für den Gastgeber: 14 deutschen Siegen stehen drei Unentschieden und sechs tschechische – beziehungsweise tschechoslowakische – Erfolge gegenüber. Zur Einstimmung auf das Nachbarschaftsduell blickt die PZ auf spannende Vergleiche zurück, bei denen der Favorit einige Male das Nachsehen hatte.

3. Juni 1934 in Rom, WM-Halbfinale
Gleich bei ihrer ersten WM-Teilnahme schafften die Teams den Sprung unter die besten Vier. Im Halbfinale standen sich beide Mannschaften überhaupt zum ersten Mal gegenüber. Klarer Favorit war die tschechoslowakische Auswahl, die vorwiegend aus Profi-Fußballern von Sparta und Slavia Prag bestand. Das deutsche Team lief hingegen mit Amateurspielern auf, die vor Turnierbeginn in einem Trainingslager ausgewählt wurden. Spielentscheidend sollten jedoch die Torhüter sein: Während František Plánička (Slavia Prag) beim einzigen Tor der Deutschen keine Chance hatte, machte Willibald Kreß vom Dresdner SC bei allen drei Gegentreffern durch den späteren Torschützenkönig Oldřich Nejedlý eine unglückliche Figur. Für den langjährigen Stammtorwart sollte es die letzte Partie im Nationaltrikot sein. Im Finale mussten sich die Tschechoslowaken knapp den Italienern beugen. Die Gastgeber holten sich den Titel mit einem 2:1 nach Verlängerung – unter tatkräftiger Mithilfe des Schiedsrichters. Deutschland feierte dank eines 3:2-Sieges gegen das österreichische „Wunderteam“ einen versöhnlichen Abschluss und beendete das Turnier unerwartet auf dem dritten Platz.

20. Juni 1976 in Belgrad, EM-Finale
Böse Zungen behaupten, dass der Ball, den Uli Hoeneß im Elfmeterschießen in den Belgrader Nachthimmel drosch, immer noch gesucht wird. Zugleich stellte der Fehlschuss das Ende einer Ära dar, die das deutsche Nationalteam mit dem EM-Sieg 1972 und den WM-Titel 1974 geprägt hatte. Die EM 1976 gewann aber der Überraschungsfinalist aus der Tschechoslowakei dank des in „Schwejk-Manier“ getretenen Strafstoßes von Antonín Panenka. Auf dem Weg ins Endspiel hatte das Team um den überragenden Torhüter Ivo Viktor England bezwungen und im Halbfinale den Vizeweltmeister aus den Niederlanden mit 3:1 nach Verlängerung aus dem Turnier geworfen. Deutschland hingegen mühte sich durch die Qualifikation, in der das Team von Helmut Schön sogar auf Schützenhilfe aus Malta angewiesen war. Und im Halbfinale gegen Jugoslawien brachte erst die späte Einwechslung des Debütanten Dieter Müller, der einen Dreierpack erzielte, die Wende. Im Endspiel lag das deutsche Team bereits nach 25 Minuten mit 0:2 im Hintertreffen. Erneut der junge Müller – designierter Nachfolger seines Namensvetters Gerd – und ein Last-Minute-Treffer von Bernd Hölzenbein brachten die DFB-Auswahl in die Verlängerung. Dann lief Hoeneß an – „wie in Trance“, erinnerte er sich später.

1. Juli 1990 in Mailand, WM-Viertelfinale
Nach dem Einzug ins WM-Halbfinale kam Libero Klaus Augenthaler die Stimmung in der deutschen Kabine so vor, „als wären wir ausgeschieden“. Teamchef Franz Beckenbauer trat gegen eine Wasserkiste und resümierte: „Dümmer, als wir uns in der Schlussphase angestellt haben, kann man kaum noch spielen.“ Zwar hatte Kapitän Lothar Matthäus das deutsche Team bereits Mitte der ersten Halbzeit nach einem Foul am lauffreudigen Jürgen Klinsmann per Elfmeter in Führung geschossen. Danach waren es aber vorwiegend die Tschechoslowaken, die sich eben so oft wie gefährlich nach vorn kombinierten. Ein Tor fiel allerdings nicht, obwohl das Team um Torjäger Tomáš Skuhravý im Achtelfinale noch Costa Rica mit 4:1 besiegt hatte. Zudem schwächte sich der Außenseiter nach einer roten Karte für Kreativspieler Ľubomír Moravčík wegen „ungebührlichen Schuhschleuderns“ gegen den österreichischen Schiedsrichter Helmut Kohl selbst. Anstatt die Überzahl zu nutzen, brachte sich der spätere Weltmeister mehrfach in die Bredouille und den „Kaiser“ auf die Palme.

30. Juni 1996 in London, EM-Finale
Vorn wirbelte die Kreativabteilung um Pavel Nedvěd, Karel Poborský und Patrik Berger, nach hinten sicherte das Bundesliga-Trio Miroslav Kadlec, Radoslav Látal und Jiří Němec kompromisslos ab. Kein Wunder, dass die tschechische Auswahl, die bei der „Euro 96“ für Furore sorgte, als Goldene Generation in die Fußball-Geschichte einging. Leichtfüßig zauberte sich das Team von Trainer Dušan Uhrin ins Endspiel, wo der spielstarke Außenseiter auf ersatzgeschwächte Deutsche traf. „Bundes-Berti“ hatte so viele Ausfälle zu kompensieren, dass er sogar Jens Todt nachnominieren durfte und für die Ersatztorhüter Feldspieler-Trikots beflocken ließ. So weit kam es zwar nicht, doch bis zur 73. Minute befanden sich die Tschechen auf der Siegerstraße – Berger hatte einen mehr als fragwürdigen Elfmeter verwandelt. Dann schlug die große Stunde des Italien-Legionärs Oliver Bierhoff, der angeblich nur auf Empfehlung von Monika Vogts, der damaligen Ehefrau des Bundestrainers, nominiert wurde. Erst traf er in gewohnter Manier per Kopf und in der Verlängerung schließlich per Golden Goal mit dem schwachen „Linken“.

23. Juni 2004 in Lissabon, EM-Vorrunde
Die Chancen, dass beide Teams nach dem letzten Vorrundenspiel jubeln dürfen, standen gut. Denn neben den bereits für das Viertelfinale qualifizierten Tschechen, das seine Stammspieler schonte und nur mit einer „B-Elf“ antrat, brauchte die deutsche Nationalmannschaft „nur“ zu gewinnen, um ebenfalls weiterzukommen. Anfangs sah es noch gut aus: Michael Ballack knallte den Ball sehenswert aus 20 Metern in die Maschen. Doch die tschechische Elf, bei der neun Leistungsträger fehlten, steckte nicht auf und kam zum hochverdienten Ausgleich – der aus der Bundesliga bekannte Marek Heinz schlenzte einen Freistoß in den Winkel. Nach der Pause sorgte der eingewechselte Superstar und spätere EM-Torschützenkönig Milan Baroš im Nachschuss für das Ausscheiden der Deutschen, die zahlreiche Tormöglichkeiten ungenutzt ließen. „Ich bin traurig und enttäuscht von der Gesamtleistung der Mannschaft“, urteilte Rudi Völler über sein letztes Spiel als Teamchef. Sein Gegenüber Karel Brückner stellte hingegen heraus, „dass wir keine A- und B-Mannschaft haben, sondern 23 gute Spieler“. Ein Kollektiv, das nach der Vorrunde als Topfavorit auf den Turniersieg galt. Doch im Halbfinale traf es auf Otto Rehhagels Defensivspezialisten aus Griechenland und eine minimalistische Spielweise, die zum Titelgewinn führte. So hatte wenigstens ein Deutscher gut lachen.

17. Oktober 2007 in München, EM-Qualifikation
Nach dem „Sommermärchen“ bei der Heim-WM schwamm die deutsche Nationalmannschaft auf einer Euphoriewelle, die die Schützlinge von Neu-Nationaltrainer Jogi Löw auch durch die EM-Qualifikation trug: Bereits drei Spieltage vor Schluss sicherte sich das Team um Kapitän Ballack die Endrundenteilnahme. Auch Tschechien hatte zunächst im Stadion von Sparta Prag nach einem Doppel­pack von Kevin Kurányi mit 1:2 das Nachsehen. Das Rückspiel in München empfand der Gastgeber anscheinend als bedeutungsloses Auslaufen: Bereits in der ersten Halbzeit musste ein bemitleidenswerter Timo Hildebrand nach Toren von Libor Sionko und Marek Matějovský zweimal hinter sich greifen. Beide Vorlagen lieferte Mittelstürmer Jan Koller. Nach dem Seitenwechsel erhöhte Jaroslav Plašil sogar auf 3:0 – was das Münchener Publikum mit lautstarken Pfiffen quittierte. Bundestrainer Löw sprach danach von einem „Tag zum Vergessen“.