Für die Nation
Wolfgang Schwarz stellt berühmte Tschechen und ihre Beziehung zur deutschen Kultur in den Mittelpunkt seines Buches
13. 8. 2015 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: František Palacký/APZ
„Bedeutende Tschechen. Zwischen Sprache, Nation und Staat. 1800–1945“ lautet der Titel des vor kurzem veröffentlichten Buchs von Wolfgang Schwarz. Der Kulturreferent für die böhmischen Länder im Adalbert-Stifter-Verein stellt darin 15 Persönlichkeiten vor. Es sind spannend zu lesende Porträts, keine lexikalischen Artikel. Denn das Interesse von Schwarz gilt der Frage, wie sich die von ihm ausgewählten Personen zur deutschen Kultur und Sprache verhalten haben, welchen Anteil sie an dem Aufkommen der nationalen tschechischen Wiedergeburt hatten und wie sie die Habsburgermonarchie wahrgenommen und darauf reagiert haben. Für seine Betrachtungen wählte Schwarz den Zeitraum von 1800 bis 1945 aus. Bis dahin stagnierte die Entwicklung der tschechischen Sprache, die im Wesentlichen von der ländlichen Bevölkerung genutzt wurde. Deutsch war hingegen die Amtssprache in Böhmen, auf Deutsch wurde auch an den Schulen gelehrt.
Schwarz zitiert Antonín Dvořák (1814–1894): „Wer etwas lernen wollte, musste gut Deutsch können. (…) Ich habe schlecht Deutsch gekonnt, und auch wenn ich etwas wusste, konnt’ ich’s nicht gut sagen. Meine Mitschüler sahen mich scheel an und lachten mich aus.“ Und Alfons Mucha erinnert sich daran, wie die Schüler in der Schule im südmährischen Ivančice (Eibenschütz) für ein tschechisches Wort bestraft wurden: „Das betreffende Schulkind musste so lange eine schwere Holzschaufel auf der Schulter tragen, bis es ein anderes Kind Tschechisch reden hörte, dem es dann die Schaufel weitergab.“
Um 1830 gab es nur wenige patriotisch gesinnte Intellektuelle, die sich für eine Aufwertung der tschechischen Sprache und für die Propagierung einer national-tschechischen Literatur und Kultur einsetzten. Es war vor allem das Verdienst des Linguisten Josef Jungmann (1773–1847), der mit seinem fünfteiligen tschechisch-deutschen Wörterbuch der Sprache das Tor zur Moderne öffnete. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts schrieben tschechische Wissenschaftler ihre Beiträge häufig noch auf Deutsch. So verfasste auch Karel Hynek Mácha (1810–1836), der bedeutendste Vertreter der tschechischen Romantik, seine ersten Gedichte noch in dieser Sprache.
„Bloß böhmisches Pack“
František Palacký (1798–1876) förderte mit seiner „Geschichte von Böhmen“, in der er Jan Hus und die Hussiten als Freiheitskämpfer würdigte, das Nationalbewusstsein derart, dass er von den Tschechen den Ehrentitel „Vater der Nation“ erhielt. Auch seine „Geschichte von Böhmen“ erschien 1836 zunächst auf Deutsch. Bedřich Smetana (1777–1857), der neben Dvořák wohl bedeutendste Komponist einer tschechischen Nationalmusik, hat seine Tagebücher und lange Jahre auch seine Korrespondenz fast ausschließlich in Deutsch abgefasst. Seine Opern „Dalibor“ und „Libuše“ gehen ursprünglich auf ein deutsches Libretto zurück.
Ab 1850 nahm die Mehrheit der Tschechen die politische, wirtschaftliche und kulturelle Dominanz der Deutschen in den böhmischen Ländern zunehmend als eine Form der Unterdrückung wahr. Die wohl beliebteste tschechische Dichterin Božena Němcová (1820–1862) träumte bereits als Kind davon, einen großen Roman in deutscher Sprache zu schreiben. Durch die Lektüre der Schriften des Dramatikers Josef Kajetán Tyl begann sie, sich für den tschechischen Nationalismus stark zu machen. Ihr Kampf für eine Gleichberechtigung der Tschechen und ihre Abneigung gegenüber den Deutschen in Böhmen wuchs mit zunehmendem Alter. Im Jahr 1850 schreibt sie in Liberec (Reichenberg) in einem Brief, dass Handwerker, Arbeiter und Dienstmädchen fast ausschließlich Tschechen seien: „Wenn die Tschechen für die Deutschen nicht arbeiten würden, um reich zu werden, weiß ich nicht, woher sie jemanden nehmen sollten, und wenn ihnen die Tschechinnen nicht kochen und saubermachen würden und die tschechischen Bauern ihnen nichts zum Futtern bringen würden, dann sähe es schlecht für sie aus. Aber die Tschechen sind gut, sie sind dienstbar und lassen sich alles gefallen, während jeder Deutsche sich als Herr aufführt. Und die Tschechen sind doch bloß für sie bümsches Pack, Gesindel, Diebe (…). Gäbe es doch eine ordentliche Revolution gegen sie, sollen sich die Tschechen doch zusammenschließen und sie dorthin über die Grenze treiben, wohin sie gehören (…).“ Auch die Opernsängerin Ema Destinová (1878–1930) trat öffentlich für eine nationale Unabhängigkeit ein. Im Jahr 1918 singt sie bei zahlreichen Auftritten, unter anderem auch im noch kaiserlichen Wien, zum Abschluss ihrer Vorstellung die tschechische Nationalhymne „Kde domov můj“.
Den Deutschen ebenbürtig
Von Leoš Janáček (1854–1928) berichtet seine Frau, er habe zwar hervorragend die deutsche Sprache beherrscht, als bekennender Panslawist jedoch einen starken Hass auf die Sprache entwickelt. Am Ende weigerte er sich sogar, in der Familie Deutsch zu sprechen. Seine Frau musste dann ihrer Mutter und Großmutter, die kein Tschechisch verstanden, übersetzen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Janáčeks Kompositionen ausgerechnet durch den Deutschen Max Brod und die Aufführungen seiner Werke in Deutschland, zum Beispiel in Berlin und Köln, weltberühmt wurden.
Von tschechischer Seite setzt sich am eindrücklichsten Karel Čapek (1890–1938) noch wenige Monate vor der Besetzung des Sudetenlandes für eine Verständigung zwischen Deutschböhmen und Tschechen ein. Dem Autor des Romans „Die Sache Makropulos“ sind der Kommunismus und Faschismus genauso zuwider wie ein fanatischer tschechischer Nationalismus.
Auch dem weltberühmten Schuhfabrikanten Tomáš Baťa (1876–1932) und dem „tschechischen Edison“, dem Erfinder František Křižík (1847–1941), hat Schwarz in seine Reihe der großen Tschechen aufgenommen. An ihrem Beispiel belegt er, dass sie auch auf dem Gebiet der Wirtschaft und Technik den Vorsprung der Deutschen wettmachen konnten.
In weiteren Kurzbeschreibungen stellt Schwarz weitere 60 Persönlichkeiten dar, wobei sein Interesse wiederum ihrer Einstellung zu den deutsch-tschechischen Nationalitätenkonflikten gilt. Schwarz hat seine Porträts mit vielen Illustrationen und Fotos bereichert. Es ist ihm hervorragend gelungen, ein breites Publikum für das Thema anzusprechen.
Wolfgang Schwarz: Bedeutende Tschechen. Zwischen Sprache, Nation und Staat. 1800–1945. München Deiningen 2015, 194 Seiten, 8 Euro, ISBN 978-3-940098-13-9
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?